Heiner Stoltze fährt 60 Jahre Taxi – chauffierte Beatles, Stones, ABBA. Den berühmten Sänger mit Hut musste er im Regen rausschmeißen.
- Heiner Stoltze hatte die Beatles, Mick Jagger und ABBA in seinem Taxi
- Die Liebe brachte den Hamburger von der Seefahrt auf die Straße
- Mit 82 Jahren Hamburgs dienstältester Taxifahrer
Hamburg – Neulich, erzählt er, habe er einen Fahrgast am Flughafen Hamburg gehabt, der in die Rothenburgstraße wollte. „Und der schien nervös zu sein. Hat mich immer über den Rückspiegel so komisch angeguckt“, erzählt Heiner Stoltze. „Bis ich ihn gefragt habe, ob mit meiner Frisur was nicht stimme?“ Mit der war alles in Ordnung.
Nervös war der Mann, weil Stoltze weder sein Navi angeschaltet noch nach dem Weg gefragt hatte. „Wieso?, hab ich nur gesagt. Vierte Querstraße links von der Ausschläger Allee.“ Der Rest war Staunen. „Das“, habe der Fahrgast versichert, „habe ich ja seit 30 Jahren nicht mehr erlebt." Ja, dass Taxifahrer sich in der Stadt auskennen, ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Aber mit ‘n büschen Erfahrung geht das schon.
Taxi: Heiner Stoltze (82) ist Hamburgs dienstältester Fahrer
Heiner Stoltze hat sogar ‘n büschen mehr Erfahrung. Gut 60 Jahre, um genau zu sein. Der 82-Jährige ist der mit Abstand dienstälteste Taxifahrer der Stadt. Und schnackt so herrlich hamburgisch, wie es auch in Hamburg selten geworden ist.
Es gibt Geschichten, die sind eigentlich zu klischeehaft, um wahr zu sein. Die über Heiner Stoltze ist so eine. Denn bevor er Taxifahrer wurde, ist er zur See gefahren. „Gleich nach der Schule habe ich als Moses angefangen.“ Moses? „So nannte man damals die Schiffsjungen zu Beginn der Ausbildung.“
Ein Jahr lang war der in Hohenfelde Aufgewachsene auf einem Kümo in Nordsee und Ostsee unterwegs, dann ging es auf große Fahrt. Südamerika, Kuba, Mexiko. „Damals waren wir ja noch immer drei, vier Tage im Hafen. Mit einem Stückgutfrachter, Container gab es ja noch nicht“, erzählt er. Also reichlich Zeit für Landgang. Mit allem, was dazugehört. „Sagen wir mal so. Da haben wir nix anbrennen lassen“, sagt er und hat einen Blick dabei, der keine Fragen offenlässt.
Ein Seemann brachte Heiner Stoltze zum Taxifahren
Sein Herz verloren hat er aber dann doch in Hamburg. Und weil sie keine Seemannsbraut sein wollte, hat Stoltze den Traum, irgendwann mal Kapitän zu werden, aufgegeben. Er machte den Lkw-Führerschein und fuhr für eine Spedition – bis ihn ausgerechnet ein Seemann zum Taxifahren brachte.
„Wir hatten eine Betriebsfeier, und ich habe mir dun ein Taxi gerufen – und zufällig kam ein Fahrer, mit dem ich zwei Jahre lang auf einem Schiff gewesen war“, erzählt Stoltze. „Der hat so geschwärmt, dass ich dann auch einen Taxischein gemacht hab.“ 1962 war das.
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Die erste Zeit war er angestellt. 17 Wagen hatte der Chef. Nur vom Steuernzahlen hielt der nicht so viel. „Da war dann von einem Tag auf den anderen Schluss. Aber das war gut, denn ich konnte günstig eines der Autos kaufen und habe mich selbstständig gemacht.“
Ein schwarzer Mercedes 180 war das. Wie viele Wagen er seitdem hatte, weiß er nicht mehr so genau, „aber so zehn Stück müssen das gewesen sein“. Da war auch mal ein Simca dabei, und ein Ford Granada („da hatte ich nicht so viel Geld“), heute fährt er einen E-Klasse-Mercedes. „Mit dem habe ich nur Ärger. Der beste Wagen, das war ein Mercedes 250 D, 124er-Baureihe.“ Den hat er gebraucht von einem Kollegen gekauft, mit 440.000 Kilometern auf der Uhr. „Neun Jahre bin ich den noch gefahren – da waren es dann 1,34 Millionen Kilometer. Mit einem Motor!“, erzählt er.
Heiner Stoltze hatte die Beatles, Mick Jagger und ABBA in seinem Taxi
Aber über seine Fahrgäste hat er natürlich noch viel mehr zu erzählen. Er hatte die Beatles im Auto („Die waren nett, ganz zurückhaltend. Aber die Tour von der Freiheit zum Hotel Pacific war nicht so doll.“), Mick Jagger stieg auch bei ihm ein („hat keinen Ärger gemacht“), und ABBA – oder besser gesagt: eine Hälfte – hat er mal nach Jenfeld gebracht.
„Das war lustig. Da sind Agnetha und einer der beiden Jungs, ich weiß nicht mehr welcher, auf dem Kiez eingestiegen. Und die andere Hälfte war in einer Wohnung in Hohenhorst“, erinnert er sich. Die sollten abgeholt werden, haben aber nicht aufgemacht. „Haben das Klingeln nicht gehört. Die Wohnung war im Erdgeschoss. Und weil das kurz nach Silvester war, hatte ich noch einen Kanonenschlag übrig – den hat Agnetha angezündet und auf den Balkon geworfen. Das ganze Haus war wach, nur die beiden von ABBA nicht. Da sind wir zurück auf den Kiez gefahren.“
Freddy Quinn wollte nicht zahlen, da rief Stoltze die Polizei
Einmal in Fahrt, erzählt Stoltze eine Anekdote nach der anderen. Über Freddy Quinn, den er zwei Jahre lang immer aus der Washington Bar abgeholt hat; über den Fernsehstar aus den Siebzigern, der sagte, er wolle nach Blankenese, dabei wohnte er viel weiter weg – und dann nicht den Aufschlag bezahlen wollte. „Ging um sieben D-Mark. Da habe ich einen Peterwagen gerufen. Und der Polizist hat gesagt: Sieben D-Mark wollen Sie haben? Ihre Kollegen nehmen das Doppelte.“
Und dann war da noch die Geschichte mit dem deutschen Musiker, den wirklich jedes Kind kennt. „Der ist auch auf dem Kiez ins Auto getorkelt, war stockbesoffen und wollte ins Hotel. Hat aber nur gepöbelt.“ Schneller solle er fahren, über Rot solle er fahren, gefälligst beeilen solle er sich. „Das ging mir so auf die Nerven, dass ich ihm gesagt habe, er soll den Sabbel halten, sonst fliegt er raus.“
Er hat aber nicht den Sabbel gehalten. „Hat in Strömen geregnet. Und an der Musikhalle habe ich angehalten, ihm noch nett die Tür aufgehalten und rausgeschmissen. Und er dann: Weißt du eigentlich, wer ich bin? Ja, hab ich gesagt: Du bist doch der Rex Gildo. Da war er erst richtig sauer. Und stand dann da im Regen, mit seinem Hut.“
Unglaubliche Geschichte mit einer Betrunkenen in Rahlstedt
Unvergesslich ist Heiner Stoltze auch eine Fahrt im Dezember 2019. Da hat ihn eine nicht mehr so ganz blutjunge Dame nach einer Weihnachtsfeier im Portugiesenviertel rangewinkt. „Die wollte nach Rahlstedt und hatte so richtig was geladen“, erzählt Stoltze. „Und als die dann komische Geräusche machte, habe ich gefragt, ob ich nicht lieber mal rechts ranfahren solle – und dass das anderenfalls mit der Reinigung und Verdienstausfall ganz schön teuer werden könnte.“ Sie wollte aber nicht. Ein paar Kilometer später dann lieber doch. Die Sache wurde über einem Gartenzaun erledigt.
„Als wir uns Rahlstedt näherten, fragte ich, wo genau sie denn hinwolle? Und da hat sie so komisch genuschelt.“ Und gesagt, er solle umdrehen – sie habe bei dem Malheur wohl ihre Zähne verloren. Stoltze hat ihr dann eine Taschenlampe geliehen, um die Suche zu erleichtern. „Und wie sie da so rumstöbert, geht im Haus das Licht an und ein Fenster auf. Da stand ein uralter Mann im weißen Nachthemd, sah aus wie ein Geist.
Als er erfahren hat, was los war, rief der nur: So eine Sauerei in meinem schönen Garten – das machen Sie jetzt erst mal wieder sauber.“ Und dann ist er mit einem Eimer rausgekommen, und sie musste den Zaun sauber machen. „Aber er hat ihr auch noch frisches Wasser geholt, damit sie die Zähne waschen konnte.“
Überfall in den Siebzigern – Taxifahrer Stoltze hat alles erlebt
Nein, es ist wirklich keine Übertreibung, wenn Heiner Stoltze sagt, er könne wohl zwei, drei Bücher füllen mit all den Erlebnissen aus den sechs Jahrzehnten. Ein paar unangenehme waren natürlich auch dabei. Vor allem, als er überfallen wurde und ein Messer an der Kehle hatte. „120 D-Mark hab ich ihm gegeben“, erzählt er lapidar. Ne, schön sei das nicht gewesen, aber auch schon sehr lange her.
„Das war wohl Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger.“ Dass sich jemand im Auto übergeben musste, ist auch vorgekommen, „aber nur einmal!“ Er fahre immer rechtzeitig rechts ran. „Mit all den Jahren bekommt man reichlich Menschenkenntnis“, sagt er.
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In Wallung kommt er eher bei anderen Themen. Etwa, weil er neulich mit Tempo 56 geblitzt wurde. „Ich dachte, ist ja nicht schlimm. Aber die hatten plötzlich eine Tempo-30-Zone eingerichtet, aber das Schild so versteckt, dass man es kaum sehen kann.“ Die Sache ist noch nicht ausgestanden.
Richtig geärgert hat er sich auch, weil er 25 Euro Strafe zahlen musste – wegen Rauchens im Auto. „Das mach ich selten und natürlich nur ohne Fahrgäste bei offenem Fenster. Ich musste trotzdem zahlen.“ Und dann natürlich die Baustellen. „Das ist manchmal wirklich schlimm, vor allem zuletzt an der Elbchaussee. Bei den Umleitungen hätte sogar ich fast mal das Navi angemacht“, sagt Stoltze.
Taxifahrer Stoltze: „Am meisten haben sich die Fahrgäste verändert“
In den vergangenen Jahren ist das Geschäft ohnehin schwierig geworden. Natürlich wegen Corona, aber auch wegen der Konkurrenz. Viele haben aufgegeben. „Moia ist schon ein Problem“, sagt er. „Dabei verbrennen die doch nur Geld.“ Hinzu komme die Inflation und die Energiekrise. „Da können oder wollen sich viele eben kein Taxi mehr leisten.“
Und was hat sich am meisten geändert in all den Jahren? „Die Fahrgäste“, sagt er spontan. „Viele sind mürrischer geworden, ernster.“ Andererseits: „Ich schnack ja ganz gern, und viele finden das gut.“ Relativ häufig höre er den Satz: „Das war die schönste Taxifahrt seit Jahren.“ Auch deswegen hat er immer noch Spaß am Job.
„Das Taxi ist wirklich sein Leben“, sagt seine Tochter Sylvia Heiden. „Wenn er mal bei uns zum Essen ist, wird er spätestens beim Nachtisch nervös und sagt: Nu muss ich aber ins Taxi.“ Dabei kann er sich die Zeit frei einteilen, wie es ihm passt. „Ich fange meistens nachmittags an, und dann fahre ich so lange, wie ich Lust habe.“ Und dann geht es in die Wohnung nach Schnelsen.
So soll es noch eine ganze Zeit lang weitergehen. „Meine Zulassung habe ich gerade verlängert“, erzählt Stoltze. Taxifahrer müssen regelmäßig einen Eignungstest machen, den hat er problemlos bestanden. Und wie lange gilt der? „Fünf Jahre“, sagt Stoltze. Und so lange will er auch noch fahren. Mindestens.