Hamburg. Sprecher Christian Hieff nennt verbindliche Untersuchungen „diskriminierend“. Das ist seine Begründung.

Mit deutlichen Worten wendet sich der ADAC Hansa gegen verbindliche Tests zur Überprüfung der Fahrtüchtigkeit von Seniorinnen und Senioren. „Diese Tests haben kaum einen Aussagewert und helfen nicht, das Problem in den Griff zu bekommen. Letztlich sind sie auch diskriminierend“, sagt ADAC-Sprecher Christian Hieff im Gespräch mit dem Abendblatt. Auch sei der bürokratische Aufwand dafür viel zu hoch.

Auch ADAC sieht ein „sich verschärfendes Problem“

Wie berichtet, hatte sich zuletzt Altonas Bezirksamtsleiterin Stefanie von Berg (Grüne) für solche Tests eingesetzt. Der bekannte Rechtsmediziner Prof. Klaus Püschel für solche Tests unterstützt ihren Vorstoß. Anlass war die Häufung von Verkehrsunfällen in und an der Waitzstraße in Groß Flottbek, an denen überproportional häufig Seniorinnen und Senioren beteiligt waren. Auch Hieff sieht – genau wie von Berg und Püschel – im Zusammenhang mit dem Thema angesichts der alternden Gesellschaft ein sich verschärfendes Problem, das nicht relativiert werden dürfe. Allerdings seien die klassischen Tests alleine nicht der richtige Weg zur Lösung.

Tests in anderen Ländern sind meist rein medizinische Untersuchungen

Es fange schon damit an, dass die Fahrtauglichkeitsprüfungen, die in anderen Ländern praktiziert werden, zumeist rein medizinische Tests seien. „Dann werden bei Fahrerinnen oder Fahrern Gehör, Sehfähigkeit und Reaktionsvermögen untersucht“, berichtet Hieff, aber beispielsweise keine Autofahrten simuliert. „Wo ist denn dann der Aussagewert solcher Tests?“, fragt Hieff. „Sie können niemals ein Augenblicksversagen verhindern.“

Statistik: Zahl der „Rentner-Autounfälle“ in Ländern mit Testpflicht nicht niedriger

Statistiken belegten entsprechend, dass die Zahl der „Rentner-Autounfälle“ in Ländern mit Testpflicht auch gar nicht signifikant niedriger sei als in Ländern ohne diese. Hieff berichtet von einer knapp 70 Jahre alten Verwandten, die als Luxemburgerin regelmäßig solche Tests mitmache. „Erst vor Kurzem hat diese Dame, die noch mitten im Leben steht und total jugendlich wirkt, Gas und Bremse verwechselt und einen Unfall mit sehr hohem Sachschaden verursacht“, so Hieff. Ein Tester habe ihr zuvor „keinerlei Einschränkungen“ bescheinigt. „Jeder hätte dieser Frau ohne zu zögern seinen Autoschlüssel in die Hand gedrückt, wenn sie danach gefragt hätte“, vermutet Hieff.

Tests dürfen keine „TÜV-Siegel“ sein

Hinzu komme, dass sich die körperliche und geistige Gesundheit gerade im hohen Alter sehr schnell ändern könne. „Ein Check kann daher immer nur eine Momentaufnahme sein“, so Hieff, „und im schlimmsten Fall wird der bestandene Test sogar noch als eine Art TÜV-Siegel verstanden, das die kritische Selbstreflexion verhindert.“

ADAC: Unverständnis über Püschel-Äußerung

Doch die Kritik des ADAC-Sprechers richtet sich auch gegen die Art und Weise, wie Statistiken im Zusammenhang mit autofahrenden Seniorinnen und Senioren interpretiert werden. Rechtsmediziner Professor Klaus Püschel hatte im Abendblatt gesagt, dass es nicht ausreiche, die Zahl der autofahrenden alten Menschen gegen die polizeilich registrierten Unfälle gegenzurechnen. „Es geht nicht nur um Häufigkeit von Unfällen, sondern um das Setzen der Ursachen“, so Püschel vor wenigen Tagen. „Diese Argumentation erschließt sich mir nicht“, sagt Christian Hieff.

Generation 65 Plus ist nur an 16 Prozent der Unfälle beteiligt

„Uns liegen Zahlen vor, wonach die Generation 65 plus nur an 16 Prozent der Unfälle mit Personenschäden beteiligt ist, obwohl sie 21 Prozent der Bevölkerung ausmacht. Das ist doch sehr aufschlussreich.“ Hieffs Fazit: „Wenn man sich die Statistik anschaut, erscheint ein verpflichtender Test als unverhältnismäßig.“

„Reden hier nicht über Auto-Poser und Fahr-Rambos“

Nachlassende körperliche Fähigkeiten würden von vielen Seniorinnen und Senioren durch Erfahrung und besonders umsichtige Fahrweise wettgemacht, ohne dass das in der Öffentlichkeit groß thematisiert werde, kritisiert Hieff. „Wir reden hier ja nun nicht über Auto-Poser und Fahr-Rambos“, so Hieff.

„Großes Spektakel“ um Unfälle an der Waitzstraße

„Die vielen Unfälle an der Waitzstraße sind eine schlimme Sache, die niemand kleinreden darf“, sagt der ADAC-Mann. Wahr sei aber auch, dass es darum „ein großes Spektakel“ gebe. „Wenn auf dem Land ein Betrunkener mit 100 Sachen durch einen Ort rast und gegen einen Baum fährt, ist das eine Meldung in der Lokalpresse“, sagt Hieff, „aber die Unfallhäufung an der Waitzstraße sorgt wegen ihrer Rätselhaftigkeit gleich landesweit für Schlagzeilen.“ Dass täglich viele Hundert Ältere mit dem Auto durch die „Waitze“ führen, ohne dass etwas passiere, „interessiert nicht weiter“.

Seniorinnen und Senioren heute „anders“ mit dem Auto unterwegs

Was also ist zu tun? Zunächst müsse sich die Gesellschaft damit auseinandersetzen, dass sich die Biografien der älteren Autofahrerinnen und -fahrer stark verändert haben und das auch weiter tun werden. Aufgrund der demografischen Entwicklung seien heute nicht nur deutlich mehr Seniorinnen und Senioren als früher mit dem Auto unterwegs, so Christian Hieff, sondern sie seien auch „anders“ unterwegs. „Noch vor rund 25 Jahren sind 70 Jahre alte Frauen kaum Auto gefahren“, sagt Hieff. „Dass sie es heute tun können und dabei auch deutlich weitere Strecken zurücklegen, sollten wir als eine Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen begreifen.“

ADAC mahnt zu mehr Gelassenheit und Toleranz

Entsprechend mahnt Christian Hieff zu mehr Gelassenheit und Toleranz bei dem Thema. Statt verbindlicher Tests setzt er auf Freiwilligkeit. Der ADAC biete für Seniorinnen und Senioren auf dieser Basis den Fahr-Fitness-Check an. „Der Check besteht aus einer Vorbesprechung, einer 45-minutigen Fahrt im eigenen Auto mit einem qualifizierten Fahrlehrer als Beifahrer, gemeinsamer intensive Auswertung und individueller Beratung sowie Empfehlungen zu weiterer Teilnahme am Straßenverkehr.“ Zudem müssten Angehörige nicht mehr fahrtüchtiger alten Menschen diesen ins Gewissen reden und ihnen gegebenenfalls auch den Autoschlüssel wegnehmen. Dafür hatten sich auch, wie berichtet, von Berg und Püschel ausgesprochen.

ADAC ebenfalls für einfachere Betriebssysteme – mit Einschränkung

Klaus Püschels Forderung im Abendblatt, Fahrzeuge besser auf die psychischen und motorischen Fähigkeiten älterer Menschen abzustimmen, zum Beispiel mithilfe einfacherer Schaltungen und übersichtlicherer Displays, findet Hieff richtig. „Moderne Assistenzsysteme wie Notbrems-, Spurhalte- oder Tote-Winkel-Assistenten können einen wichtigen Beitrag zur Verkehrssicherheit leisten und gerade für ältere Menschen eine wichtige Unterstützung sein“, so der ADAC-Mann. Allerdings müsse moderne Technik „selbsterklärend und intuitiv bedienbar“ sein, sonst störe sie und lenke zu sehr vom Verkehrsgeschehen ab.