Hamburg. Wo ist die Stadt am schönsten? Teil 15, die Neustadt: Zwischen Hochglanz und Vergnügen trifft Sterneküche auf alternative Szene.

Sieben Millionen Touristen im Jahr können nicht irren. Die Alster. Die Elbe. Der Michel. Die Wallanlagen. Und an jeder Ecke eine Überraschung, selbst für Einheimische, die glauben, alles zu kennen. In der Neustadt schlägt Hamburgs Herz. Und – versprochen! – in der Neustadt findet jeder, was er will. Mal mondän, mal bodenständig, mal linksalternativ bunt – und manchmal sogar ein bisschen verrucht.

Ganz ehrlich: Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen und wo ich aufhören soll, die Neustadt zu beschreiben. Grob gesagt hat Hamburgs bester Stadtteil drei Gesichter: das auf Hochglanz polierte Passagenviertel zwischen Binnenalster und Stadthausbrücke, das weniger bekannte, aber besonders liebenswerte Quartier rund um den Großneumarkt und das – durch die sechsspurige Ludwig-Erhard-Straße vom nördlichen Teil abgeschnittene – Portugiesenviertel südlich des Michels. Hier verläuft nicht nur die vermutlich schönste U-Bahn-Strecke der Welt, zwischen Baumwall und Landungsbrücken direkt an der Waterkant. Hier ist die Welt zu Gast bei Freunden!

Ein Stadtrundfahrt-Bus fährt am Michel vorbei.
Ein Stadtrundfahrt-Bus fährt am Michel vorbei. © HA | Norman Raap

Hamburg-Neustadt lockt mit skandinavischen und südländischen Spezialitäten

Die vier nordischen Seemannskirchen sind vor allem auch wegen ihrer skandinavischen Weihnachtsmärkte beliebt. Die Finnen locken ganzjährig mit Sauna, Café und Spezialitäten-Shop. Ganz zu schweigen von den vielen südländischen Restaurants, Cafés und Pastelarias, die mehr als nur Galao (portugiesischer Milchkaffee), Pasteis de Nata (Puddingtörtchen) und Meeresfrüchte anbieten: Im Viertel duftet es 365 Tage im Jahr nach Urlaub im sonnigen Süden.

Neustadt: Das sind die Fakten

  • Einwohner: 12.920
  • Davon unter 18: 1449
  • Über 65: 1859
  • Durchschnittseinkommen: 34.521 € (2013)
  • Fläche: 2,3 km²
  • Anzahl Kitas: 11
  • Anzahl Schulen: 1 Grundschule, 1 Stadtteilschule
  • Wohngebäude: 646
  • Wohnungen: 7548
  • Niedergelassene Ärzte: 194
  • Straftaten im Jahr 2018: Erfasst: 5063; Aufgeklärt: 2367

Für alle drei Teile der Neustadt gilt: Wer hier wohnt oder arbeitet, darf dort leben, wo andere ihre Ferien verbringen. Sie ist zwar nicht so „neu“, wie der Name sagt, aber eine echte „Stadt in der Stadt“, inklusive Behörden, Bezirksamt, Justiz und Untersuchungsgefängnis. Die Polizei ist gleich mit zwei „Großstadtrevieren“ vertreten: Das echte PK 14 steht an der Caffamacherreihe, während die neue TV-Wache aus der gleichnamigen ARD-Serie 2020 – scheinbar! – am Rande der Fleetinsel liegen wird. In Wahrheit steht die Kulisse im Tonndorfer Studio und wird fürs Fernsehen auf die Heiligengeistbrücke am Hotel Steigenberger montiert.

Ein beliebter Drehort sind auch die Gerichtsgebäude. Womit wir schon am Tiefpunkt angelangt sind. Unter dem Sievekingplatz liegt Deutschlands tiefster U-Bahnhof. Die U2-Haltestelle Messehallen liegt 26 Meter unter der Erde.

Staatsoper, Laeiszhalle und Cotton Club

Auch für Musikfreunde ist der Stadtteil ein Hit: Da sind zum einen die Staatsoper und die Laeiszhalle, deren Großer Saal mit 2025 Plätzen fast an die Elbphilharmonie (2100 Plätze) heranreicht, die selbst nur wenige Meter von der Neustadt entfernt ist. Im Engelsaal am Valentinskamp feiern Marlene Dietrich und Heinz Erhardt regelmäßig ein Comeback. Jazz-Fans kommen im Cotton Club auf ihre Kosten.

Wer lieber Pop, Rock oder Punk hört, wird im Gängeviertel fündig. Das seit 2009 von Künstlern und Kreativen eroberte Quartier mit seinen Galerien, Ateliers, Bühnen und Cafés ist immer für eine Überraschung gut. Dazu gehört auch ein alternativer Sex-Shop an der Caffamacherreihe. Direkt daneben, an der Speckstraße 60, stand bis zum Zweiten Weltkrieg das Geburtshaus von Johannes Brahms (1833–1897), nach dem der frühere Karl-Muck-Platz vor der Laeisz­halle benannt wurde. Außerdem erinnert im Komponistenquartier an der Peterstraße ein kleines Museum an das Genie aus dem Gängeviertel.

Fachwerkhaus im Bäckerbreitergang
Fachwerkhaus im Bäckerbreitergang © HA | Norman Raap

Was viele nicht wissen: Die hübsche Peterstraße und die Neanderstraße mit ihren Fachwerkhäusern und barocken Klinkerfassaden – bekannt aus „Buddenbrooks“-Filmen – sind nicht ganz das, wonach sie aussehen. Tatsächlich ließ der Unternehmer Alfred C. Toepfer dort in den 1960er-Jahren teilweise neue Wohnhäuser bauen und lediglich mit alten Fassaden verblenden. Gleich gegenüber können die Neustädter in ihrem „Central Park“ (Planten un Blomen) entspannen oder sich auf der größten Rollschuhbahn der Hansestadt austoben, die sich im Winter stets in Deutschlands größte Open-Air-Eisbahn verwandelt.

Vom entspannten Szeneviertel bis zum quirligen Jungfernstieg

Auf dem nahen Großneumarkt treffen sich die Einheimischen wie auf einem Dorfplatz zum Wochenmarkt. Der Schriftsteller Uwe Timm setzte dem idyllischen Fleckchen ein literarisches Denkmal, denn dort – und nicht in Berlin – kam es kurz nach dem Krieg zur „Entdeckung der Currywurst“. Für „Entdecker“ der unbekannten Neustadt eignen sich die umliegenden Straßen Kohlhöfen, Poolstraße und Wexstraße am besten. Auch dort gibt es portugiesische Spezialitäten, Leckereien aus Schweden, sehr gute Italiener, einen (Maß-)Schuhmacher, kleine Weinhandlungen, urige Kneipen, Kunstgalerien, einen Plattenladen und, und, und ... An der Poolstraße liegt im Hinterhof die wohl einzige Autowerkstatt der Welt in einer Tempelruine.

Von diesem entspannten Szeneviertel bis zum quirligen Jungfernstieg sind es nur fünf Minuten zu Fuß durch das Passagenviertel. Eine Art „Vergnügungsviertel“ liegt am Stephansplatz: mit Spielbank, Hofbräuhaus, Cinemaxx und – bis vor Kurzem – einem Rotlichtbetrieb, der nur eine Häuserecke vom altehrwürdigen und urhanseatischen Übersee-Club am Neuen Jungfernstieg entfernt war.

Daneben finden sich zwei der besten Restaurants Deutschlands, das Haerlin (zwei Sterne) und das Nikkei Nine im Vier Jahreszeiten. Und an der feinen ABC-Straße am Gänsemarkt kleiden sich sogar die Kanzlerin und „Tagesschau“-Sprecherin Judith Rakers ein. Gentrifizierung ist hier ein Fremdwort: Es gibt viele Sozialwohnungen und zwei soziale Erhaltungsverordnungen zum Schutz der Mieter. Die meisten neuen Wohnungen sind nicht billig, aber sie entstehen oft in Baulücken oder auf Gewerbegrundstücken, ohne alteingesessene Bewohner zu verdrängen.

Abendblatt-Leserin Astrid Hinck lebt seit 42 Jahren in der Neustadt. Sie schätzt den „dörflichen Charakter“ („Man kennt sich!“) und sagt: „Der Stadtteil befindet sich gerade in einem Generationswechsel. Es zieht immer mehr junge Familien mit Kindern hierher.“ Hinck ist im Vorstand des Hamburg St. Pauli Turnvereins mit Sitz an der Peterstraße (1000 Mitglieder, darunter 600 Kinder). „Wenn man sich mit den Neustädtern unterhält, ist die geschlossene Meinung: Hier ziehen wir auf keinen Fall weg.“ Und wenn man doch mal weg muss, geht das per ICE vom Dammtor, per Flughafen-S-Bahn oder per Schiff. Der City-Sporthafen neben der Überseebrücke ist das „Neustädter Tor zur Welt“. Gehen Sie doch auch einmal auf Entdeckungsreise! Als Gast. In der eigenen (Neu-)Stadt. Sieben Millionen Menschen können nicht irren.

Neustadt: Das sind die Highlights

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Der schönste Fernsehturm

Stadtteilserie: Der Michel

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    Der Michel ist nicht nur das Wahrzeichen, sondern bietet auch Hamburgs höchste ganzjährig geöffnete Aussichtsplattform. 452 Stufen (wahlweise auch ein moderner Lift) führen auf den schönsten Fernseh-Turm (123 Meter) mit Rundblick auf Stadt, Hafen und Elbe. Oft auch abends geöffnet (nachtmichel.de). Werktags spielt um 21 Uhr ein Turmbläser.

    Jungfernstieg

    Stadtteilserie: Jungfernstieg

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      Die Flaniermeile ist 1235 als Damm aufgeschüttet worden, um die Alster aufzustauen. 1799 eröffnete hier die erste Eisdiele Deutschlands, 1838 wurde die Fahrbahn als erste deutsche Straße asphaltiert, 1841 das frisch gedichtete „Lied der Deutschen“, die heutige Nationalhymne, uraufgeführt. 1931 ging hier der erste Unterwasser-Bahnhof Deutschlands in Betrieb (heute U1).

      Großneumarkt

      Stadtteilserie: Großneumarkt

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        Der malerische Mittelpunkt des Stadtteils bleibt ein Kleinod: Unter den Linden treffen sich die Neustädter mittwochs und sonnabends auf dem Wochenmarkt. Traditionskneipen wie das Thämers und das Schmale Handtuch sowie internationale Restaurants verströmen an sonnigen Tagen mediterranes Flair – eine Piazza wie in Italien, mitten in Hamburg.