Hamburg. Telefahrdienst Vay startet Pilotversuch. Was die Politik davon hält und was künftige Nutzer jetzt wissen sollten.

Eine Berührung auf der Smartphone-App genügt, dann fährt der Kia e-Niro ohne Fahrer bis vor die Haustür, der Kunde steigt ein, übernimmt die Kontrolle und braucht sich nach Fahrtende um überhaupt nichts zu kümmern. Bald Wirklichkeit auf Bergedorfs Straßen – denn das Pilotprojekt des zunächst teilautonomen Fahrens des Telefahrdienstes Vay gemeinsam mit der Hamburger Verkehrsbehörde (BVM) soll noch in diesem Jahr im Bezirk beginnen. Nun hatte auch Bergedorfs Ausschuss für Verkehr und Inneres Gelegenheit, das Projekt kennenzulernen.

Grundsätzlich bewegen sich die Parameter der vollelektrischen Premiere weiter im Ungefähren: Friederike Reuter von Vay nannte weder einen konkreten Starttermin noch Details zum genauen Betriebsgebiet oder zu Preisen. Es fehlen weiterhin Ausnahmegenehmigungen für ein Fahrzeug ohne Sicherheitsfahrer, für den Testbetrieb sowie die Straßenzulassung. Die Verhandlungen mit der BVM laufen dazu. Preismäßig bewegt sich der Telefahrspaß „im Bereich anderer Car-Sharing-Angebote“, so Reuter. Abgerechnet werde nach gefahrener Strecke.

Fahrerlose Taxis: Vay-Fahrer sitzt in einem Studio

Gesteuert werden die Fahrzeuge von Telefahrern aus einem Studio heraus. Solche Telefahrstudios gibt es in Berlin, dem Hauptsitz des Start-ups, und in Hamburg. Reuter versichert: „Ein Telefahrer kontrolliert das Fahrzeug genau wie jemand, der direkt am Steuer sitzt.“

So sieht der Fahrerplatz aus, der irgendwo in einem Studio steht.
So sieht der Fahrerplatz aus, der irgendwo in einem Studio steht. © Friederike Reuter/Vay | Friederike Reuter/Vay

Der Bezirk Bergedorf sei aus mehreren Gründen ausgewählt worden. Ein entscheidender: „Hier ist das Angebot an Car-Sharing-Angeboten überschaubar“, urteilt Friederike Reuter. „Es geht darum, solche Angebote besser über die Stadt zu verteilen und bestimmte Gebiete besser zu bedienen“. Die Bergedorfer Nutzungsdaten dienen als „Blaupause“ für weitere Standorte.

Bergedorfs Politik steht Vay nicht ablehnend gegenüber, sieht aber einige Aspekte kritisch. So wurde etwa die Anbindung und die Netzverfügbarkeit in den Vier- und Marschlanden nachgefragt, Vay nutzt für die Technik mehrere 4G-Mobilfunknetze.

Fahrerlose Taxis für Bergedorf: Politiker haben Fragen

Jörg Froh (CDU) dazu: „Zu 99 Prozent sind die Menschen aus dem Landgebiet auf zwei Autos angewiesen. Auf das zweite zu verzichten könnten sich viele vorstellen, wenn es eine verlässliche Alternative gäbe.“ Die Busverbindungen ins Landgebiet reichen dafür nicht aus. Ob Vay dort als Alternative taugt, kann Friederike Reuter heute noch nicht beantworten: „Zu Anfang werden wir nicht alles abdecken können.“

Auch der Nutzen Vays erschließt sich nicht jedem: So fragt Petra Petersen-Griem (SPD) nach dem „Mehrwert für die Verkehrswende“ und sieht ein weiteres Problem: „Eigentlich wollen wir doch weg von Individualverkehr. Mit den Telefahrern machen wir auch Taxifahrer arbeitslos.“ Vay sieht sich nicht als Konkurrenz zu Taxis, sondern eher als Variante auf dem Car-Sharing-Markt. Der Telefahrer-Job sei insbesondere für Frauen, die sich beispielsweise aufgrund der Gefahr bei Nachtfahrten nicht Taxifahrerinnen werden wollen, eine sehr attraktive Variante.

Fahrerlose Taxis: Die wichtigsten Fragen und Antworten

Wie groß ist der Vay-Fuhrpark, wie viele Wagen düsen durch Bergedorf?

16 Fahrzeuge gibt es nach Angaben des Unternehmens, ein noch zu bestimmendes Kontingent daraus soll dann im flächenmäßig größten Hamburger Bezirk unterwegs sein. Die genaue Zahl an Telefahrern ist nicht bekannt, allerdings soll diese Anzahl stetig steigen. Friederike Reuter (Vay) dazu: „Das ist ein attraktiver Job in einem tollen Team, das in Pausen zum Beispiel zusammen Tischtennis spielt.“

Sind Unfälle mit den Taxis ausgeschlossen?

Vay könne dies nicht gänzlich ausschließen, nennt aber Gründe für ein geringeres Unfallrisiko. So säßen die Telefahrer in den Studios in Berlin und Hamburg vollkommen ohne jedwede Ablenkung, also beispielsweise ohne plötzliche Anrufe auf dem Handy oder Kindergeschrei auf dem Rücksitz. Sie können bei der Fahrt unter anderem auf Kameras mit 360-Grad-Sicht für perfekte Perspektiven beispielsweise in engen Kurven zurückgreifen.

Die Latenzzeiten sind laut Friederike Reuter „kürzer als ein Wimpernschlag“. Wenn jedoch das Mobilfunknetz zusammenbrechen sollte, sei dies zwar nicht zu verhindern, aber: „Wir sind darauf vorbereitet und können zu jeder Zeit in der gleichen Fahrspur den Wagen stoppen.“ Die Testfahrten immer mit Sicherheitsfahrer hinter dem Steuer laufen bereits seit mehr als zwei Jahren auf Berliner und Hamburger Straßen.

Kann wirklich jeder Vay nutzen, auch ohne Führerschein?

Für den Vay-Genuss braucht es einen Führerschein, das Angebot gilt auch für mobilitätseingeschränkte Menschen. Die Vay-App kann man ab sofort herunterladen oder sich online auf einer Warteliste eintragen.

Über welche Reichweite verfügt ein Vay-Fahrzeug?

Langstrecken sollen in Zukunft ebenfalls abgedeckt werden, stehen aber laut Vay „nicht an priorisierter Stelle“. Im Pilotprojekt soll es zunächst einmal ausschließlich darum gehen, wo denn die Bergedorfer gern hin möchten, etwa ob sie nur im Bezirk oder auch im Hamburger Stadtgebiet unterwegs sein wollen.

Sind Taxi-Fahrten etwa nach Wentorf, Geesthacht oder Reinbek möglich?

Vorerst nicht, da es sich um ein Hamburger Versuchsprojekt handelt, Ausnahmegenehmigungen und Zulassungen für die Hansestadt, nicht aber für die andere Bundesländer gelten. Dazu sagt Matthias Höhne von der Verkehrsbehörde: „Der Vorwurf der Kleinstädterei ist ein Stück weit richtig. Die Hürden sind einfach geringer, wenn alles zunächst nur in einem Bundesland spielt.

Was braucht es neben Zulassung und Genehmigungen noch bis zum Start?

Das Unternehmen wünscht sich in den nächsten Wochen Feedback und wird die Bergedorfer gezielt ansprechen. Im Zentrum steht dabei die Nachfrage und wo genau die Vay-Autos benötigt werden.

Wird es einen 24-Stunden-Fahrservice geben?

Vorerst nicht. Angedacht ist zunächst einmal, dass der Telefahrdienst zu Hauptverkehrszeiten genutzt werden kann. Nachts läuft dann der Ladevorgang des vollelektrischen Kia e-Niro.

Welche Vision steht hinter dem Fahrprojekt Vay?

Das zeitnah als vollautonom geplante Fahrangebot soll laut Friederike Reuter auf lange Sicht die Anschaffung eines eigenen Pkw vor der Haustür ersetzen: „Wir wollen preisgünstiger sein. Zudem stehen viele private Pkw den Großteil der Zeit einfach nur rum.“ Zudem stehe der Ansatz der letzten Meile im Fokus, also der Transport von der Haustür bis zum öffentlichen Nahverkehr wie etwa dem Bergedorfer Bahnhof.

Wie sind die Eckdaten des Unternehmens Vay?

Im Jahr 2018 wurde das Unternehmen gegründet, das mittlerweile 150 Mitarbeiter an drei Standorten zählt. Die Zentrale sitzt in Berlin, Außendestinationen mittlerweile in der Hamburger Speicherstadt sowie in Portland (USA).