Hamburg. Hamburger Praxisärzte beschließen drastische Maßnahmen. Sogar Notfallpraxen könnten geschlossen werden. Was das bedeutet.

  • Hamburger Ärzte wollen Notdienst deutlich einschränken
  • Notfallpraxen könnten geschlossen werden
  • Arztruf 116 117 ebenfalls betroffen

Keine gute Nachricht für Patientinnen und Patienten in der anhaltenden Infektwelle: Die niedergelassenen Ärzte in Hamburg beabsichtigen, den Notdienst erheblich einzuschränken. Das würde die acht Notfallpraxen betreffen, den fahrenden Notdienst und insgesamt das Angebot um den Arztruf 116 117. Hintergrund ist ein Honorarstreit mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und den Krankenkassen um eine Bezahlung aller ärztlichen Leistungen. Die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) hat einstimmig einen Antrag des Orthopäden Dr. Torsten Hemker beschlossen, der in diese Richtung zielt. Hemker ist auch Ärztlicher Geschäftsführer der Facharztklinik Hamburg (am UKE).

Hemker, dessen Antrag dem Abendblatt vorliegt, hatte wie die meisten Praxisärzte nicht mehr hinnehmen wollen, dass Lauterbach die Neupatientenregel gestrichen hat, die Ärzte aber gleichzeitig aus ihrem Budget die explodierenden Kosten für die Notfallpraxen und den Arztruf größtenteils tragen sollen.

Notfallpraxen in Hamburg: Ärzte drohen mit Schließung

Rund 20 Millionen Euro kostet der Notdienst jedes Jahr in Hamburg. Ein Drittel tragen die Krankenkassen, zwei Drittel die Ärzte aus ihrem Budget. Da dieses Budget jetzt sinkt bei steigenden Patientenzahlen und explodierenden Energiepreisen und Inflation, erwarten die Ärzte erhebliche Verluste. KV-Chef John Afful sagte am Donnerstag: „Der Notdienst, den wir in den vergangenen Jahren stark ausgeweitet haben – von zwei auf acht Notfallpraxen – ist zwar der komfortabelste in ganz Deutschland, aber auch hochdefizitär. Im vergangenen Jahr haben wir im Notdienst insgesamt 365.000 Patientinnen und Patienten versorgt.“

Die Krankenkassen widersprechen der KV und den Kassenärzten: Der Verband VDEK (u.a. Techniker, Barmer, DAK) erklärte, eine „gute und qualitativ hochwertige Notdienst-Versorgung“ sei den Kassen ein wichtiges Anliegen. Über das Budget für niedergelassene Ärzte, Psychotherapeuten und Notdienst werde einmal im Jahr verhandelt. Wie die KV das Geld verteile, könnten die Krankenkassen nicht beeinflussen. Für das Jahr 2023 liege das „einvernehmlich verhandelte Gesamtbudget“ bei rund 1,4 Milliarden Euro. Die Kassen zahlten „zusätzlich und freiwillig“ sechs Millionen Euro für den Notdienst. „Die Notdienst-Versorgung in der Hansestadt ist daher besser als gesetzlich vorgesehen finanziert.“

Hamburg: „Es droht konkret die Schließung von Notfallpraxen“

In Hemkers angenommenen Antrag heißt es: „Die Vertreterversammlung fordert den Vorstand der KV auf, bis spätestens zur Vorlage des Haushaltsplanes 2024 einen Plan zur Kosteneinsparung für den ärztlichen Notdienst vorzulegen, sodass die Verwaltungskosten zukünftig für den Notdienst wieder auf 0,65 Prozent zurückgefahren werden können.“ Dieser Beitrag war von 0,65 Prozent auf 0,95 Prozent erhöht worden, also um etwa die Hälfte.

Das klingt wenig, macht bei einem KV-Umsatz in Hamburg von 1,3 Milliarden Euro aber Millionensummen aus, Die Ärzte beschlossen damit auch diesen Passus aus Hemkers Antrag: „Das sollte entweder durch Schließungen von Notfallpraxen und/oder Einschränkungen des fahrenden Notdienstes und/oder Kostenerstattung durch Krankenkassen oder Bund oder Land erfolgen.“

Afful sagte: „Es droht ganz konkret die Schließung von Notfallpraxen, wenn hier nicht in Zusammenarbeit mit den Krankenkassen und der Stadt Hamburg schnell wirklich tragfähige Lösungen gefunden werden.“

Arztruf 116 117: Angebot eingeschränkt?

Das bedeutet, dass entweder die Krankenkassen demnächst stärker an den Kosten beteiligt werden oder die Stadt Hamburg – sonst werden Notfallpraxen schließen müssen oder die weißen Autos des rollenden Notdienstes seltener zu Hausbesuchen ausfahren. In der Corona-Pandemie machten die Ärztinnen und Ärzte dieses mobilen Notdienstes unter anderem Tausende Abstriche für PCR-Tests.

Hemker erklärte: „Wir wollen die Hamburger Bevölkerung versorgen, aber nicht mehr zum Nulltarif“. Er bedauert, dass die Krankenkassen wegen des Spargesetzes, das auch sie betrifft (GKV-Finanzstabilisierungsgesetz) keinen Beitrag gegen die Kostenexplosion leisten. Aber: „Es ist den Vertragsärzten und -psychotherapeuten deshalb nicht zuzumuten, dass sie Mehrleistungen für die Notfallversorgung aus ihrer geminderten Vergütung bezahlen!“

Die Notfallpraxen in Hamburg

  • St. Pauli/Altona, Stresemannstraße 54
  • Eppendorf, UKE, Martinistraße 52
  • Wandsbek, Bundeswehrkrankenhaus, Lesserstraße 180
  • Hohenfelde, Marienkrankenhaus, Alfredstraße 9
  • Harburg, Asklepios Klinik, Eißendorfer Pferdeweg 62
  • Reinbek (Schleswig-Holstein/an der Landesgrenze), St. Adolf-Stift, Hamburger Straße 41
  • Ottensen, Altonaer Kinderkrankenhaus, Bleickenallee 38 (Kinderärztliche Notfallpraxis)
  • Rahlstedt, Kinderkrankenhaus Wilhelmstift, Liliencronstraße 130 (Kinderärztliche Notfallpraxis)
  • Heimfeld, Helios Mariahilf, Stader Straße 203 C (Kinderärztliche Notfallpraxis)
  • Asklepios Klinik Nord/Heidberg (Kinderärztliche Notfallpraxis)

KV Hamburg: Dr. Michael Reusch Vorsitzender des Ärzte-Parlaments

Unterdessen wurde der Niendorfer Hautarzt Dr. Michael Reusch (68) als Nachfolger von Dr. Dirk Heinrich zum Vorsitzenden der Vertreterversammlung der KV gewählt. Als sein Stellvertreter bleibt der Allgemeinmediziner Dr. Björn Parey (55) aus Volksdorf weiterhin im Amt.

Reusch sagte: „Auf der einen Seite haben wir einen demografischen Wandel, der zu einem erheblich wachsenden Bedarf an ärztlicher und psychotherapeutischer Versorgung führt. Auf der anderen Seite stehen nur beschränkte personelle und finanzielle Ressourcen zur Verfügung.“ Reusch sagte, die Sparmaßnahmen hätten das „System ins Wanken“ gebracht.

Parey erklärte: „Die Politik muss erkennen, dass die Vollfinanzierung aller erbrachten Leistungen die absolute Voraussetzung zum Erhalt des ambulanten Systems ist, so wie wir es heute kennen.“ Die Ärzte könnten es sich bei steigenden Zahlen von Patientinnen und Patienten „schlicht nicht leisten, dass jede fünfte Behandlung nicht vergütet wird“.