Hamburg. Der Chef der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, erwartet stark steigende Beiträge. Werden Privatversicherte von der Politik verschont?
Wenn Jens Baas an das Bild denkt, das gerne über die Krankenversicherungen verbreitet wird, fallen ihm „Emergency Room“ und andere Seifenopern ein. Der Vorstandsvorsitzende der Techniker Krankenkasse (elf Millionen Versicherte) sagte dem Abendblatt: „Das ist wie früher in amerikanischen Arztserien: Da ist die hübsche Assistenzärztin, da ist der Oberarzt. Die haben meistens was miteinander. Dann ist da der Chefarzt, der immer etwas schrullig ist, aber irgendwie okay. Und es gibt ein fieses, kleines Hutzelmännchen von der Krankenversicherung, das nicht bezahlen will. Dann tricksen die anderen den aus – und es gibt ein Happy End. Die Politik versucht, uns in dieses Klischee reinzudrängen.“
Baas mitsamt Kolleginnen und Kollegen als „Hutzelmännchen“ – es wäre niedlich, wenn die Lage nicht so erst wäre, dass sie mehr als 70 Millionen gesetzlich Versicherte betrifft und die Arbeitgeber ebenso. Der TK-Chef beklagt im Abendblatt eine verzerrte Realitätsdarstellung, die auf die Politik von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zurückgeht.
Weil die Kassen 17 Milliarden Euro an Defizit aufweisen, hat er das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz durchgepaukt. Es fordert von allen im Gesundheitswesen einen Beitrag und hat quasi die kompletten Reserven der Kassen aufgelöst. Baas sagte: „Das Problem dieses Gesetzes ist: Die Hauptlast tragen die Beitragszahlenden.“
Jens Baas: Beiträge der Krankenversicherung steigen
Denn was den Krankenkassen weggenommen werde, sei das Geld der Versicherten. „Das macht die Politik geschickt: immer so zu tun, als sollten die Krankenkassen das bezahlen. Aber was wir bezahlen, zahlen immer die Beitragszahlenden!“ Baas erwartet, dass die Krankenkassenbeiträge für die Versicherten stärker steigen als zuletzt, möglicherweise sogar mehrmals im Jahr.
„Wenn nichts passiert, gibt es keine andere Option als den Versicherten und ihren Arbeitgebern noch höhere Beiträge abzuverlangen. Was ist, wenn es irgendwann 20 Prozent des Einkommens sind? Auch die Wirtschaft würde dann rebellieren.“
Privatversicherte zahlen nicht an Gesundheitskostenübernahme
Arbeitnehmer zahlen 2023 an Kassenbeiträgen 14,6 Prozent vom Brutto plus durchschnittlich 1,6 Prozent an Zusatzbeiträgen. Bei diesen 16,2 Prozent wird es laut Baas‘ Prognose nicht bleiben. Er beklagt, dass die Privatversicherten bei der „staatlichen Aufgabe“ der Gesundheitskostenübernahme von Leistungsbeziehern und Geflüchteten nicht belangt würden.
Das könnte man damit erreichen, dass diese Kosten aus dem allgemeinen Steuertopf gezahlt werden. Lauterbachs Gesetz regelt zwar einen Zuschuss, der langt aber laut Baas bei Weitem nicht.
Investitionen von Krankenhäuser bezahlen Kassen
Lauterbach sagte bei Verabschiedung des Gesetzes: „Das Versprechen der gesetzlichen Krankenversicherung bleibt auch in Krisenzeiten erhalten. Trotz eines historisch großen Defizits haben wir Leistungskürzungen verhindert und lassen die Zusatzbeiträge nur begrenzt steigen.“ Baas empfindet das als kurzsichtig. Und er will an die immer weiter steigenden Ausgaben ran.
„Für Investitionen in die Krankenhäuser sind die Bundesländer zuständig, die kommen aber seit Jahren ihrem gesetzlichen Auftrag nicht nach. Also zahlen die Krankenhäuser auch die Instandhaltung und Neuanschaffungen aus dem Geld, das die Krankenkassen für die Behandlung von Patientinnen und Patienten zur Verfügung stellen.“
"Jetzt werden die Defizite immer größer"
In Hamburg kritisieren die großen Krankenhäuser seit Jahren, dass die Investitionsmittel vom Senat zu gering seien. Lauterbachs Krankenhausreform empfindet Baas als „Klein-Klein“. Er hat nur noch drei Arten von Kliniken vor Augen: die auf dem Land, die eine Notfallversorgung machen, sich aber auch für ambulante Operationen öffnen dürfen, die großen Häuser als „Spezialisten“ und die Unikliniken, die auch ausbilden und forschen.
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„Über Jahre hätte man dank der guten Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung eine große Krankenhausreform machen können. Das wurde verpasst, weil man dachte: Geld ist ja da. Jetzt werden die Defizite immer größer und der Druck bei einzelnen Bereichen wie der Kinder- und Jugendmedizin wächst.“
Mit Krankenhäusern Milliardär werden?
Im Abendblatt hatte Asklepios-Vorständin Sara Sheikhzadeh ähnlich argumentiert. Man müsse unrentable kleine Krankenhäuser schließen. Das sei auch für die Patienten medizinisch sinnvoll, weil die Behandlungsqualität aufgrund mangelnder Routine bei einzelnen Operationen nicht so gut sein könne wie bei Spezialisten. Baas, der als Krankenhausarzt reichlich Erfahrung sammelte, bevor er zur TK kam, nennt als Beispiel Prostata-Krebs: „Wenn Sie hingegen in ein zertifiziertes Zentrum mit entsprechender Erfahrung gehen, stehen die Chancen, den Krebs zu heilen und kontinent und potent zu bleiben, besser.“
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Gegen das Klischee von den Krankenkassen und ihren „Hutzelmännchen“ geht er beredt vor: „Unser Job ist es, im Sinne unserer Versicherten für möglichst wenig Geld eine möglichst gute Versorgung zu machen. Wir müssen keine Gewinne von 20, 25 Prozent erwirtschaften wie Pharmafirmen oder Krankenhausbetreiber, deren Eigentümer ja auch Milliardäre werden können.“