Hamburg. Krankenhäuser gegen Praxen: Kassenarztchef Afful nennt Asklepios-Aussagen „weltfremd“ und „unsinnig“. Streit um Notaufnahmen eskaliert.

Eine Grippewelle wie seit Jahren nicht, RS-Viren, die Kinder befallen und eine Debatte, die eskaliert: Die Not der Notaufnahmen und der überlasteten Arztpraxen in Hamburg hat zu erheblicher Verstimmung innerhalb der Ärzteschaft und zu Verwerfungen zwischen den Krankenhäusern und der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) geführt. Die Wut der niedergelassenen Mediziner richtet sich nicht nur gegen eine vermeintlich falsche Politik von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Sie nimmt auch die Aussagen der Asklepios-Leitung ins Visier.

Medizin-Vorständin Dr. Sara Sheikhzadeh und ihr Kollege Joachim Gemmel hatten eine Task Force unter Leitung des Senates gefordert, um die katastrophale Situation in den Notaufnahmen in den Griff zu bekommen. Der Chef des Ärzteparlaments der KV, Dr. Dirk Heinrich, hatte im Abendblatt die Bereitschaft der Niedergelassenen erklärt, daran teilzunehmen, wenn diese Task Force „sinnvolle Ansätze“ hervorbringe.

Notfallpraxen: Heftiger Streit um Versorgung

Heinrich sagte am Mittwochabend bei der Vertreterversammlung der KV, seiner letzten als Vorsitzender: „Wenn wir Piloten wären, würden wir jetzt streiken, wo wir am meisten gebraucht werden. Wir tun es nicht, weil wir eine ethische Verantwortung haben.“

Heinrich machte Asklepios-Vorstand Gemmel heftige Vorwürfe. „Er erdreistet sich zu behaupten, unsere Heimversorgung sei schlecht und fordert einen heimärztlichen Dienst. Herr Gemmel weiß überhaupt nicht, wie wir arbeiten. Wir haben den fahrenden Notdienst ausgeweitet, den Arztruf und jetzt acht Notfallpraxen mit einem Integrierten Notfallzentrum am Marienkrankenhaus, in dem wir erfolgreich die Patienten steuern können.“

Notaufnahmen: Asklepios-Aussagen "weltfremd und unsinnig"

Asklepios schlug außerdem vor, weitere Notfallpraxen der KV einzurichten und die Öffnungszeiten dort auszuweiten. Der Rettungsdienst solle außerdem diese Notfallpraxen anfahren, um dort Patienten zu versorgen, die „absehbar einer ambulanten Behandlung bedürfen und nicht zwingend in eine voll ausgestattete zentrale Notaufnahme gehören“. Das betreffe etwa kleine und ältere Wunden oder Beschwerden, die bereits seit Längerem bestehe.

KV-Vorstandschef John Afful nannte die Asklepios-Aussagen „weltfremd“ und unsinnig“. Afful sagte: „Der Asklepios-Konzern soll bitte seine ureigenen Aufgaben selbst erfüllen und nicht versuchen, diese auf andere abzuwälzen. Die Behauptung von Asklepios, dass die Krankenhäuser die aktuelle Ausnahmesituation überwiegend alleine stemmen würden, ist an Absurdität kaum zu überbieten.“ Die Öffnungszeiten in den Notfallpraxen seien bereits in den vergangenen Jahren „massiv ausgebaut“ worden.

"Karl Lauterbach setzt Praxen unter massiven Druck"

Dr. Jana Husemann, Vorsitzende des Hausärzteverbandes.
Dr. Jana Husemann, Vorsitzende des Hausärzteverbandes. © Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Am Mittwoch erklärten mehrere niedergelassene Ärzte, dass sie bereits die überwiegende Last der Patientinnen und Patienten trügen und dass sie aus ihren Budgets bereits die Notfallpraxen finanzierten. Dr. Andreas Bollkämper vom Protest-Komitee der KV-Ärzte und Radiologe in Wandsbek sagte: „Während die Krankenhäuser sich großzügiger Unterstützungspakete durch die Politik erfreuen, gehen die Praxen komplett leer aus: kein Inflationsausgleich, keine staatliche Unterstützung bei massiv steigenden Energie- und Personalkosten. Den Praxen werden sogar noch Mittel entzogen.“

Bollkämper spielte auf die Streichung der Neupatientenregel an, nach der Praxen ihre Leistungen für diese Gruppe zu einhundert Prozent bezahlt bekommen. „Das muss zwangsläufig zu Leistungskürzungen führen. Die Bundesregierung setzt die Praxen unter massiven Druck – und nimmt die Verschlechterung der Versorgung für unsere Patientinnen und Patienten billigend in Kauf.“

Die Hausärzte-Verbandsvorsitzende Dr. Jana Husemann sagte: „Jede Hausarztpraxis macht seit Pandemiebeginn mehr Überstunden, als es Klinikärztinnen und -ärzte jemals leisten dürften.“ Die Bundespolitik spare die ambulante Medizin kaputt. Husemann forderte das Ende der Honorar-Budgets, einen Inflationsausgleich und einen Bonus für die Medizinischen Fachangestellten. „Darüber hinaus muss die Versorgung der Notfallpatientinnen und -patienten von den Krankenkassen bezahlt werden und nicht von der sowieso zwangsrabattierten Ärzteschaft im ambulanten Bereich.“

Hausärzte: Wir behandeln Millionen Patienten in der Infektwelle

Hausärztin Dr. Silke Lüder aus Neuallermöhe sagte: „Ebenso belastet wie die Kinderarztpraxen sind derzeit aufgrund der herrschenden Infektwellen auch die Hausarztpraxen. Wo werden die vielen Millionen Einwohner, die augenblicklich krank sind, behandelt? In den Kliniken? Nein, die behandeln wir Hausärztinnen und Hausärzte, die außerdem den ganzen ambulanten Notdienst stemmen und in den diversen Notfallpraxen und im fahrenden Notdienst nachts und am Wochenende Dienst schieben.“ Die Zahl der Notfallpraxen sei auf acht angewachsen. Der Großteil der Kosten werde von den Niedergelassenen allein getragen.“

Für den Verband der Kinder- und Jugendärzte sagte die Hamburger Vorsitzende Dr. Claudia Haupt: „Die sehr hohe Belastung der kinderärztlichen Versorgung in Hamburg hat mehrere Ursachen; eine wesentliche ist die chronische Unterfinanzierung des Systems. Wir erhalten einen großen Teil unserer Leistungen von den Kassen nicht bezahlt. Das so wichtige Vorhaben der Bundesregierung, Haus- und Kinderärzte zu entbudgetieren, ihnen also alle Leistungen künftig voll zu vergüten, steht zwar im Koalitionsvertrag, wird aber definitiv nicht umgesetzt.“

Krankenhaus Hamburg: Eskaliert die Lage zum neuen Ärztestreik?

Schon bei der letzten Protestveranstaltung gegen Lauterbachs Politik hatten die Ärzte damit gedroht, erneut für halbe Tage die Praxen zu schließen. Auch eine Viertagewoche hielten sie für denkbar, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen.

Aus der Sozialbehörde hieß es am Dienstagabend, die medizinische Versorgung sei sichergestellt. Um ihre eigene Handlungsfähigkeit auch im Übergang von Senatorin Melanie Leonhard zu Melanie Schlotzhauer zu demonstrieren, hieß es: Die KV bemühe sich „nach Aufforderung der Behörde“, das Angebot der Notfallpraxen zu verbessern. Und: „In den Krankenhäusern können daneben Handlungsspielräume entstehen, in-dem planbare Eingriffe zu einem anderen Zeitpunkt durchgeführt werden.“ Im Übrigen sei man ohnehin immer mit allen Beteiligten im Gespräch. Und eine Task Force? Die Behörde wartet offenbar auf Terminvorschläge.