Hamburg. Christian Gerloff über wirtschaftliche Einbußen, Mangel an Pflegekräften und Bauverzögerungen und die Situation in Notaufnahmen.

Mit etwa 14.400 Mitarbeitenden ist das Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) einer der größten Arbeitgeber in Hamburg. Pro Jahr werden dort eine halbe Million Patienten behandelt.

Mit dem neuen Ärztlichen Direktor Prof. Christian Gerloff an der Spitze steht das Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) vor einem Umbruch. Mehr als 14.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie jährlich Hunderttausende Patienten müssen sich nach dem dritten Jahr der Corona-Pandemie neuen Realitäten stellen. Es fehlen etliche Pflegekräfte, Betten sind gesperrt – und Gerloff spricht im Abendblatt-Interview sogar von einem Ärztemangel, der schon vor den Toren Hamburgs extrem spürbar sei.

Hamburger Abendblatt: Herr Prof. Gerloff, in welchem wirtschaftlichen Zustand haben Sie das UKE zu Jahresbeginn übernommen?

Christian Gerloff: Das UKE pendelt seit 2010 mit einer Abweichung von 0,2 oder 0,3 Prozent um die schwarze Null – kein Profit, aber auch kein Defizit. Letztlich hat aber die Corona-Pandemie bei uns für Mehraufwände und Mindererlöse gesorgt. Wir zahlen etwa die aufwendigen Hygienemaßnahmen, das Zelt zum Testen, zusätzliche Security. Mindererlöse ergeben sich daraus, dass wir durch die Pandemie erheblich weniger Patientinnen und Patienten versorgen können, aber steigende laufende Kosten haben.

Dem UKE kam in der Pandemiebekämpfung in Hamburg eine zentrale Rolle zu.

Ja, das sehen wir auch als Aufgabe einer Universitätsklinik. Andererseits mussten wir deswegen auch viele Betten freihalten, weil anfangs nicht klar war, wie sich das Infektionsgeschehen entwickelt. Auch das dadurch notwendige Verschieben von planbaren Operationen kann schrecklich und medizinisch problematisch sein, wenn jemand etwa auf eine Krebsoperation oder auf einen Hirnstimulator wartet.

Wie viele Intensivbetten sind aktuell wegen fehlender Pflegekräfte im UKE gesperrt?

Es sind 30 Prozent, von 140 Beatmungsbetten also fast jedes dritte. Das war auch eine Absprache mit der Pflege. Wenn die Mitarbeitenden nicht mehr können, müssen wir handeln. Dabei haben wir zuletzt über 200 Pflegekräfte hinzugewonnen. Und wir würden noch viel mehr einstellen. Doch die gibt es nicht.

Pflegende der Intensivstationen hatten mehrfach über „ständige Überlastung“ geklagt und gewarnt, die Sicherheit der Patienten sei gefährdet. Meistens versorge ein Pflegender drei oder mehr Patienten statt wie empfohlen nur zwei Patienten. Ist es inzwischen zu einer Einigung gekommen?

Ja, es gibt nun eine Entlastungsvereinbarung. Sie wird bis Juni technisch umgesetzt. Wenn Intensivpflegende Mehrarbeit leisten müssen, weil die Situation es erfordert, bekommen sie ein Punktebudget und dafür freie Tage. Gemessen wird dies an einem 1:2-Betreuungsschlüssel: Wird er überschritten, gibt es den beschriebenen Mehrbelastungsausgleich.

Wie wollen Sie trotz Fachkräftemangel den Personalbedarf in der Pflege decken?

Unser Pflegedirektor Joachim Prölß arbeitet seit gut zehn Jahren kontinuierlich daran, das Gesamtpaket für Mitarbeitende zu verbessern – vom Fahrradleasing über die Proficard für den HVV bis zu flexiblen Arbeitszeiten. Zudem haben wir unser Einstellungskonzept ausgeweitet, etwa indem wir Pflegekräften aus dem Ausland, die noch nicht gut deutsch sprechen, Betreuer zur Seite stellen, die diese Pflegekräfte auf Deutsch direkt am Patienten schulen. Außerdem haben wir mehr Ausbildungsplätze für Pflegende geschaffen. Bis sich das auswirkt, dauert es eine Weile. 2022 mussten wir uns auch mit Zeitarbeitskräften behelfen, um die festangestellten Pflegenden zu entlasten.

In den vergangenen Wochen sind die Notaufnahmen Hamburger Kliniken übergelaufen von Patienten mit Grippe und Atemwegsinfekten, aber auch mit Menschen, die keinen Termin beim Facharzt bekommen haben. Wie haben Sie darauf reagiert?

Wir haben schon vor längerer Zeit Netzwerke mit anderen Kliniken gebildet, auch außerhalb von Hamburg. Jedes Wochenende ist es allerdings so, dass wir Patienten nicht übernehmen können, obwohl sie unsere Behandlung bräuchten. Das ist schmerzlich. Andere müssen wir verlegen und können es nicht.

UKE-Experten warnen vor Impflücken und deren Folgen


  • Hamburgs Krankenhäuser bleiben Jobmaschinen

  • Schmidt-Chanasit: „Werden weiterhin Infektionswellen sehen“

  • Woran liegt das?

    Die Notaufnahme ist maximal belastet. Wir können die Patienten nicht auf unsere Stationen nehmen, weil wir andere Patienten von dort nicht weiterverlegen können. Wir telefonieren uns die Finger wund, um einen Patienten in ein anderes Haus zu verlegen: 40 bis 50 Telefonate sind keine Seltenheit, der Spitzenwert waren 90 Gespräche. Ich habe schon vor zehn Jahren gesagt, dass wir ein digitales System brauchen, eine Plattform, auf der alle angeschlossenen Häuser in Echtzeit sehen können, wo Betten frei sind, wer wen aufnehmen kann. Die Patientendaten kann man dort anonymisiert eingeben mit ein paar Kernfakten – und schon wäre ein Austausch für alle einsehbar.

    Um finanzielle Einbußen durch die reduzierte Bettenauslastung und Ausfälle von Personal zu kompensieren, hatte Hamburg bis 2021 mehr als 58 Millionen Euro an Corona-Sondermitteln für das UKE bereitgestellt. Für 2022 will der Senat dem Vernehmen nach Mindererlöse in Höhe von 33,4 Millionen Euro kompensieren. Reicht das?

    Wir möchten als nicht profitorientiertes städtisches Haus die schwarze Null erreichen. Was wir an Personalmangel haben durch Krankheit und Quarantäne können wir ein Stück weit überkompensieren. Aber wenn wir uns nach medizinischen Regeln richten und unser Personal mit Respekt behandeln, haben wir eine Lücke. Wir sind immer noch im Krisenmodus. 2022 war ein noch härteres Jahr als 2021, das schwierigste der Pandemie, weil die Erschöpfung des Personals und die höheren Fehlquoten auf wieder steigende Patientenzahlen gestoßen sind.

    Es könnte bald auch an Ärzten in Hamburg mangeln.

    Es mangelt jetzt schon an Ärzten, nur noch nicht in der Metropolregion Hamburg. Bei ganz vielen um die Ecke liegenden Krankenhäusern gibt es Fachkräftemangel auch auf ärztlicher Ebene.

    Könnten Sie darauf nicht reagieren, indem sie mehr Medizinstudienplätze anbieten?

    Doch, das würden wir gerne tun. Aber diese zusätzlichen Plätze müssen finanziert werden. Die Kosten für ein Medizinstudium belaufen sich auf gut 180.000 Euro – gerechnet ohne die nötige Infrastruktur. Wir haben intensiv auch mit der Wissenschaftsbehörde diskutiert. Wenn die nötige Infrastruktur da ist, könnten wir uns 50 zusätzliche Plätze pro Semester vorstellen – aktuell bieten wir 365 Medizinstudienplätze für jedes neue Semester an.

    Für dieses Jahr war vorgesehen, den Neubau des Prostatakrebszentrums (Martini-Klinik) und den Neubau für das Universitäre Herzzentrum zu eröffnen. Klappt das?

    Nein, nicht ganz. Beim Herzzentrum gibt es eine Verzögerung von etwa sieben Monaten wegen Rohstoffmangels. Wir haben zum Beispiel zeitweise keinen Stahl bekommen, deshalb ging es nicht weiter. Die Eröffnung erfolgt 2024. Die Martini-Klinik und das neue Immunforschungszen­trum HCTI werden 2023 fertiggestellt.

    Nach Ihrer Einschätzung als Neurologe: Gibt es bald Therapien gegen demenzielle Erkrankungen wie Alzheimer?

    Eine Heilung bei Alzheimer ist nicht in Sicht. Aber es werden Antikörpertherapien kommen, die den Verlauf der Erkrankung abmildern. Das ist schon ein Durchbruch. Ein solches neues Medikament gegen Alzheimer, Lecanemab, könnte noch in diesem Jahr in Europa zugelassen werden.