Hamburg. Trotz scharfer Kritik an der Wirtschaftspolitik sorgt der scheidende Senator Michael Westhagemann für eine ungewöhnliche Szene.
Politiker haben in Deutschland und darüber hinaus nicht den besten Ruf. Dabei gilt oft: Je weiter weg die Menschen von der Politik sind, desto größer ihre Vorurteile. Wer Abgeordnete und Regierungsmitglieder dagegen aus der Nähe beobachtet, zum Beispiel im Hamburger Rathaus, sieht in aller Regel unerhört engagierte Menschen, die für ihre Themen brennen, sieben Tage die Woche arbeiten und dabei oft auf ihre Gesundheit keine Rücksicht nehmen.
Einer von ihnen ist Michael Westhagemann. Monatelang hatte der parteilose Wirtschaftssenator eine Krebserkrankung vor der Öffentlichkeit geheim gehalten und war trotzig weiter zur Arbeit erschienen – weil er „seine“ Themen wie den Aufbau einer großen Wasserstoff-Infrastruktur in Hamburg unbedingt weiter vorantreiben wollte.
Hamburger Senat: Westhagemann und Stapelfeldt scheiden im Dezember aus
Dieses Engagement dankte die Bürgerschaft dem 65-Jährigen, der demnächst aus dem Amt scheiden wird, am Mittwoch mit einer Geste, wie man sie im Rathaus nur sehr selten erlebt: Nachdem Westhagemann seine letzte Rede im Parlament gehalten und mit den Worten „Es war mir eine Ehre“ geschlossen hatte, erhoben sich Abgeordnete aller Fraktionen sowie die Senatsmitglieder und applaudierten lange. Der Noch-Senator war sichtlich gerührt.
Passend dazu gab es auch viel Lob aus unterschiedlichen Fraktionen für die ebenfalls ausscheidende Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (66, SPD). Sie hatte an diesem Tag allerdings nur eine Nebenrolle, da es in der Aktuellen Stunde vornehmlich um den Wechsel im Wirtschaftsressort ging – und dabei fielen nicht nur feierliche Worte.
Bürgermeister will Senat verjüngen und die Frauenquote erhöhen
Wie berichtet, erfolgt die Personalrochade weitgehend in beiderseitigem Einvernehmen. Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hatte schon lange den Plan, etwa zur Halbzeit der Wahlperiode seinen Senat zu verjüngen und damit gleichzeitig die Frauenquote zu erhöhen. Für Stapelfeldt rückt Karen Pein (49, SPD), bisher Geschäftsführerin der städtischen Projektentwicklungsgesellschaft IBA Hamburg, in den Senat auf. Westhagemanns Job übernimmt die bisherige Sozialsenatorin Melanie Leonhard (45, SPD). Ihre Nachfolge tritt Gesundheitsstaatsrätin Melanie Schlotzhauer (51, SPD) an. Die Bestätigung der neuen Senatorinnen durch die Bürgerschaft soll am 15. Dezember erfolgen.
CDU-Fraktionschef Dennis Thering dankte Westhageman für seinen Einsatz, schränkte aber umgehend ein: „Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass Sie sich häufiger gegen die wirtschaftsfeindliche Politik von SPD und Grünen durchgesetzt hätten.“ Sowohl beim Streit um das Wiederanfahren des Kohlekraftwerks Moorburg (hatte Westhagemann entgegen der Senatslinie erwogen) als auch in der Debatte um ein Flüssiggasterminal im Hafen (lehnte er anders als der Bürgermeister ab) habe der Wirtschaftssenator den Kürzeren gezogen.
SPD weist Kritik am Bürgermeister als „Getöse“ zurück
Rot-Grün vernachlässige den Hafen als Keimzelle der Stadt, kritisierte Thering und prophezeite Melanie Leonhard, sie werde sich auf dem Feld auch auf Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) nicht verlassen können: „Dieser steht im Zweifel Seit’ an Seit’ mit dem grünen Umweltsenator Jens Kerstan und gegen die künftige neue Wirtschaftssenatorin.“
Eine eigenwillige Interpretation, die im Regierungslager für höhnisches Gelächter sorgte: „Bei den letzten Worten mussten Sie selbst aufpassen, dass sie ernst bleiben“, konterte SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf und befand: „Ein typischer Thering: mit viel Getöse und mit wenig Inhalt.“ In Wahrheit habe die CDU in ihrer Regierungszeit den Hafen heruntergewirtschaftet, während die SPD seit 2011 hunderte Millionen in den Hafen und Zukunftstechnologien wie Wasserstoff und Quanten-Computing investiere.
Wiese (CDU): Westhagemann zuletzt „orientierungslos durchs Senatsgehege gelaufen“
Auch Westhagemann listete in seiner Rede im wesentlichen solche und andere Erfolge auf. Dabei fiel auf, dass die Leidenschaft des ehemaligen Industriemanagers, den Tschentscher 2018 als Quereinsteiger in den Senat geholt hatte, vor allem Innovationen im Bereich erneuerbare Energien gilt. Den Hafen erwähnte er nur kurz: Für den Schlick-Streit mit Niedersachsen und Schleswig-Holstein werde man schon eine Lösung finden.
CDU-Wirtschaftsexperte Götz Wiese sprach von einer „Festtagsrede“ und erlaubte sich auch persönliche Kritik am Wirtschaftssenator: „Ihre Abberufung jetzt war folgerichtig. Natürlich waren Sie am Ende auch die sprichwörtliche lahme Ente, die mal orientierungslos durchs Senatsgehege gelaufen ist, mal im Schlick festgesteckt hat und mal nicht mit nach Südamerika fliegen darf.“ Das war eine Anspielung auf eine ausgedehnte Reise des Bürgermeisters mit einer Wirtschaftsdelegation, aber ohne Westhagemann.
„Wenn Frau Leonhard scheitert, scheitert die SPD hier in Hamburg“
Melanie Leonhard komme zwar „mit Hausmacht, Erfahrung und solider Amtsführung“, das sei gut, so Wiese. Aber sie müsse Wirtschaftspolitik auf dem „kleinsten gemeinsamen Nenner“ machen, dem unveränderten Koalitionsvertrag: „Ich sage Ihnen: Wenn Frau Leonhard scheitert, scheitert die SPD hier in Hamburg.“
Grünen-Fraktionschef Dominik Lorenzen, der kürzlich für mächtig Streit in der Koalition gesorgt hatte, als er die Elbvertiefung als „endgültig gescheitert“ bezeichnet hatte, stellte sich am Mittwoch an die Seite der SPD: In Wahrheit hätten CDU-Politiker im Bund die Elbvertiefung „versemmelt“. Die Grünen seien zwar keine großen Fans der Fahrrinnenanpassung, aber dennoch gelte: „Wir Grünen in Hamburg stehen zum Hamburger Hafen, zu seinen Beschäftigten und dem Koalitionsvertrag.“
Linke spricht von „Mist“, AfD lobt „Leuchtturm“ Westhagemann
Norbert Hackbusch (Linke) befand: „Nicht nur die Elbvertiefung ist gescheitert, sondern die gesamte Hafenpolitik des Senats.“ Statt angekündigter 20 Millionen Container würden nach wie vor nur neun Millionen umgeschlagen: „Alle Ihre Versprechungen haben sich als Mist herausgestellt“, schimpfte er in Richtung Senat.
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AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann lobte Westhagemann als „Leuchtturm“ im Senats der aber kaum Unterstützung vom Bürgermeister erhalten habe. Es sei ein „Armutszeugnis“, dass mit Leonhard eine „Parteisoldatin“ das Amt übernehme.
Hamburger Senat: Treuenfels (FDP) wundert sich über rot-güne Einigkeit
Anna von Treuenfels (FDP) erinnerte an den Streit von SPD und Grünen um die Elbvertiefung und wunderte sich über die rot-grüne Einigkeit in der Debatte: „Das nimmt Ihnen doch kein Mensch ab.“ Sie hoffe, dass Leonhard sich als Wirtschaftssenatorin gegen die Grünen durchsetze: „Das traue ich ihr auch zu.“