Hamburg. Michael Westhagemann tritt aus gesundheitlichen Gründen als Senator ab. Doch es gab auch Differenzen mit Tschentscher.
Als Michael Westhagemann im Oktober 2018 das Amt des Hamburger Wirtschaftssenators antrat, war klar, dass er einiges anders machen würde als sein Vorgänger Frank Horch. Beide waren Industriemanager gewesen und als Seiteneinsteiger in die Politik gewechselt.
Aber während Horch den klassischen Hafensenator gab, der nach langem Ringen die Elbvertiefung durchsetzen konnte, galt Westhagemanns Leidenschaft – der zuvor als Vorstandschef für die Siemens AG in der Region Nord das Geschäft mit der Windenergie vorantrieb – einem anderen politischen Thema: den erneuerbaren Energien, insbesondere der Wasserstoffwirtschaft. Und angesichts der aktuellen geopolitischen Entwicklung muss man heute feststellen, dass er mit dieser politischen Agenda seiner Zeit voraus war.
Senat Hamburg: Westhagemann stellt Amt zur Verfügung
„Wir nennen ihn im Senat Mister Hydrogen, also Mister Wasserstoff“, stellte Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) seinen Wirtschaftssenator unlängst einigen ausländischen Investoren vor. Und Westhagemann hätte auf diesem Feld sicher noch einiges bewirken können. Doch am Sonntagabend wurde bekannt, dass Westhagemann sein Amt im Zuge einer Regierungsumbildung Mitte Dezember aufgeben wird.
Die Entscheidung kam nicht überraschend, schon seit Wochen wurde im Rathaus mehr oder weniger offen darüber spekuliert, dass personelle Veränderungen im Senat zu erwarten seien. Gleichwohl kommt Westhagemanns Rückzug doch sehr abrupt. Schon in dieser Woche nimmt er laut Terminkalender des Senats keine offiziellen Termine mehr wahr.
„Ich hatte vor einem Jahr eine Krebsdiagnose bekommen“
Die Gründe für sein Ausscheiden sind vielfältig. Ein wesentlicher Grund ist sehr ernst: „Ich hatte vor einem Jahr eine Krebsdiagnose bekommen“, sagt Westhagemann dem Abendblatt. Wegen massiver Probleme mit den Stimmbändern hatte der passionierte Raucher damals Ärzte aufsuchen müssen. Sie fanden einen bösartigen Tumor. „Die Erkrankung war Gott sei Dank in einem frühen Stadium, sodass es mir heute gut geht. Dennoch habe ich mir damals die Frage gestellt, wie es in meinem Leben weitergeht“, sagt Westhagemann heute.
Wurde seine kurze Auszeit und seine kratzige Reibeisenstimme bei öffentlichen Auftreten danach offiziell damit erklärt, dass er an den Folgen einer Lungenentzündung laboriere, unterzog sich der Senator in Wahrheit einer Krebstherapie. 23-mal habe er sich in einem Hamburger Klinikum bestrahlen lassen – und dennoch arbeitete er weiter. „Die Ärzte haben die Therapie freundlicherweise immer früh morgens vorgenommen, sodass ich anschließend ins Büro fahren konnte. Ich wollte nicht, dass das publik wird.“
Immer wieder gab es Differenzen
Als er erfuhr, dass Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) zur Hälfte der Legislaturperiode eine Regierungsumbildung plane, hat Westhagemann ihn über seinen Rückzug informiert: „Ich habe dem Bürgermeister im Juli einen Brief geschrieben, dass ich gerne Ende November aus dem Amt ausscheiden würde, wurde aber überredet, noch bis zu den Haushaltsberatungen der Bürgerschaft Mitte Dezember weiterzumachen.“
Auch ohne die gesundheitlichen Gründe stellt sich die Frage, wie lange Westhagemann noch Wirtschaftssenator geblieben wäre. Denn zwischen ihm und Tschentscher sowie den Grünen in der Regierungskoalition gab es zunehmend Differenzen. Nicht zuletzt, weil er Tschentscher vorwarf, eine zu Grünen-freundliche Politik zu betreiben. Dass Westhagemann jetzt Mitte Dezember in der Bürgerschaftsdebatte noch einen Haushalt verteidigen muss, den er eigentlich nicht mehr vertritt, ist ihm ein Gräuel.
„Benötigt hätte ich 200 Millionen Euro“
Gerade einmal 20 Millionen Euro hat er für die Förderung wirtschaftlicher Innovationen herausschlagen können. „Benötigt hätte ich 200 Millionen Euro“, sagte er einmal. Letztlich scheiterte er als parteiloser Senator wie sein Vorgänger daran, dass er keine wirkliche Hausmacht im Senat hatte. Solange sich Westhagemann des Rückhalts des Bürgermeisters und der SPD sicher war, konnte er im Senat etwas bewirken. Doch gerade dieser Rückhalt war in den vergangenen Wochen geschwunden.
Ein Beispiel dafür ist das schwimmende Flüssiggas-Terminal, das der Senat im Hamburger Hafen realisieren will. Als Tschentscher die Pläne öffentlich vorstellte, sagte Westhagemann bereits in einem kleinen Kreis, dass er überlege, seinen Verbleib im Senat an die Frage zu knüpfen, ob dieses Terminal tatsächlich installiert werde. Er war dagegen. Zum einen fürchtete er zu große Einschränkungen für die Hafenwirtschaft.
Westhagemann warnte vor Fusion der HHLA und Eurogate
Zum anderen nahm er an, dass seine Wasserstoff-Pläne in Moorburg darunter leiden könnten. Erst als Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) kürzlich verkündete, dass man nun eine kleinere Lösung für das Gasterminal verfolge, machte Westhagemann seinen Frieden damit. Übrigens die Mail, in der Kerstan seine Kollegen über die Nachricht informierte, ging an alle beteiligten Behörden. Nicht aber an Westhagemann.
Über Kreuz lag der Wirtschaftssenator auch mit Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) als es um die geplante Fusion der Hafenunternehmen HHLA und Eurogate ging. Während Dressel den Zusammenschluss massiv vorantrieb, sah Westhagemann als ehemaliger Industriemanager zahlreiche Unwägbarkeiten und die Gefahr, dass die HHLA ihre Funktion als Steuerungsinstrument der Hafenpolitik verlieren könnte.
Westhagemann hat im Senat viele Dinge angestoßen
Nun also verkündet Mister Wasserstoff seinen Rückzug. Was bleibt, ist seine Innovationsfreude, mit der er Dinge im Senat angestoßen hat, die auch nicht mehr zurückgedreht werden. In erster Linie geht es dabei natürlich um Wasserstoff. Er sieht darin den Energieträger der Zukunft und schwört Hamburgs Unternehmen bei jedem öffentlichen Auftritt darauf ein. Westhagemann sprach bereits bei Amtsantritt 2018 von Sektorenkopplung, also der Vernetzung von Energie mit Industrie, Verkehr und Wohnungswirtschaft, da kannten viele die Bedeutung des Wortes kaum.
Er verkündete den Bau eines 100-Megawatt-Elektrolyseurs in Moorburg, als die Grünen noch diskutierten, ob sie für oder gegen Wasserstoff sind. Inzwischen baut Kerstan Wasserstoffleitungen für die Industrie. Jenseits der üblichen Politikerrhetorik hat sich Westhagemann seine direkte Art bewahrt und unverblümt als erstes Senatsmitglied den Hafenentwicklungsplan als „völlig veraltet“ bezeichnet.
Senat: Westhagemann beendet politische Karriere
Westhagemann ist ein innovativer Kopf, der beispielsweise auf einer Konferenz in Tokio leidenschaftlich darüber diskutierte, ob man Offshore-Windräder auf dem Meer auch auf schwimmenden Inseln realisieren könne. Aber er ist in ökonomischen Fragen auch ein Liberaler. Als Hamburg sein Stromnetz verstaatlichen wollte, stellte sich der damalige Vorsitzende des Industrieverbands an die Spitze der Gegenbewegung – bekanntlich erfolglos.
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In erster Linie ist der gelernte Starkstrom-Elektriker und studierte Informatiker aber ein Pragmatiker, der ideologisch gefärbte Politik ablehnt. Und als Pragmatiker hat er jetzt entschieden, dass seine politische Karriere endet. Westhagemann, der in diesem Sommer 65 Jahre alt wurde, will nun etwas kürzertreten, sich häufiger in seiner westfälische Heimat aufhalten und mehr Zeit mit seiner Frau, den Kindern und Enkeln verbringen. „Ich werde mir über die Weihnachtstage Gedanken machen, wie es weitergeht“, sagt der gebürtige Beckumer. Ob er in Hamburg künftig nur noch Privatier oder mehr sein wird? Die Frage lässt er offen.