Hamburg. Die Senatsmitglieder Westhagemann und Stapelfeldt wollten und sollten nicht mehr. Die Hintergründe zum Senatsumbau.
Am Ende ging alles sehr schnell, so schnell, dass selbst die unmittelbar Beteiligten und Betroffenen erst am Sonntagabend davon erfuhren, dass Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) die Senatsumbildung am Montag vollziehen wollte.
Nach den gängigen Kriterien der politischen Lehre war das eine Machtdemonstration: Der Erste Bürgermeister, ausgestattet qua Verfassung mit der Richtlinienkompetenz, ist Herr des Verfahrens und entscheidet autonom auch über den Zeitpunkt des Wechsels. Die leichten Irritationen bei den Noch-Senatsmitgliedern und ihren Nachfolgenden nimmt Tschentscher offenbar gelassen in Kauf.
Senat Hamburg: Umbildung wurde lange vorbereitet
Rücktritt oder Rauswurf? Das ist eine der ersten Fragen, die bei Kabinettsumbildungen gestellt wird. So viel ist klar: Dieses Revirement der Landesregierung ist von langer Hand vorbereitet worden. Nach Informationen des Abendblatts hatte Tschentscher bereits bald nach der Bürgerschaftswahl mit Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) und Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos) gesprochen.
Mit Blick auf die Corona-Pandemie wolle er, Tschentscher, sein Personaltableau zunächst nicht verändern, plane aber etwa zur Mitte der Legislaturperiode eine Senatsumbildung. Richtung nächste Bürgerschaftswahl 2025 sollten die ältesten Senatsmitglieder Stapelfeldt (66) und Westhagemann (65) die Landesregierung dann verlassen, um Platz für frische Kräfte und neue Ideen zu machen.
Wollte Westhagemann bleiben?
Der Senator und die Senatorin waren mit Tschentschers Plan einverstanden, auch als er die beiden Anfang dieses Jahres noch einmal darauf ansprach und als Termin das Jahresende ankündigte. Dass Stapelfeldt nach mehr als sieben Jahren an der Spitze der Stadtentwicklungsbehörde und insgesamt elf Jahren im Senat amtsmüde war, hatte sich längst herumgesprochen. Sie soll sogar bereit gewesen sein, früher aus dem Amt zu scheiden.
Etwas anders war der Verlauf wohl bei Westhagemann, der angesichts der Energiekrise (Stichwort: Wasserstoffwirtschaft) im Sommer wieder mehr Gefallen an seinem Job gefunden haben soll. Trotz seiner Krebserkrankung soll er Tschentscher nach Abendblatt-Informationen vorgeschlagen haben, doch noch länger im Amt zu bleiben. Was der ablehnte. Wenige Tage nach dem Gespräch schrieb Westhagemann dem Bürgermeister einen Brief, in dem er ankündigte, sein Amt Ende des Jahres zur Verfügung stellen zu wollen. Niemand sollte dem Wirtschaftssenator nachsagen können, er sei aus dem Amt gedrängt worden ...
Wohnungsbauzahlen in Hamburg gesunken
Dass Stapelfeldt und Westhagemann aus dem Amt scheiden, ist nicht nur eine Frage des Alters und der Gesundheit. Beide waren in ihrer Amtsführung umstritten. Stapelfeldt wird vorgehalten, auf dem zentralen Feld der Stadtentwicklungspolitik nicht sichtbar genug gewesen zu sein und nicht genug eigene Akzente gesetzt zu haben. Dass die Wohnungsbauzahlen zuletzt deutlich gesunken sind, wird ihr zumindest SPD-intern aber nicht angelastet.
Zum einen sind die attraktiven und leicht zugänglichen freien Flächen in der Stadt kaum mehr vorhanden, zum anderen wirkt sich die Krise in der Bauwirtschaft aus. Stapelfeldt wird andererseits zugute gehalten, dass sie auf Bundesebene Mieterinteressen wirksam vertreten hat – etwa zuletzt mit der Bundesratsinitiative zur Einführung einer Kappungsgrenze von 3,5 Prozent bei Indexmieten.
Streit um Elbverschlickung auch Westhagemann angelastet
Dass das Thema Elbverschlickung zu schwerwiegenden Verwerfungen zwischen Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hamburg geführt hat, wird nicht zuletzt Westhagemann angelastet. Als Seiteneinsteiger in die Politik – vor gut vier Jahren von Tschentscher in den Senat geholt – fehlte dem Ex-Siemens-Manager häufig nicht nur das politische Fingerspitzengefühl, sondern auch die Durchsetzungsfähigkeit. Übrigens: Westhagemann hat jetzt mit genau vier Amtsjahren Anspruch auf eine Senatspension.
Mehr Durchsetzungsfähigkeit und politisches Konfliktmanagement verspricht sich Tschentscher von Melanie Leonhard, bislang Sozial- und Gesundheitssenatorin. Der Historikerin, die ohne Wirtschaftsexpertise die Behörde am Alten Steinweg übernimmt, wird zugetraut, sich schnell in die neue Thematik einzuarbeiten.
Tschentscher umging bei der Senatsumbildung die SPD-Bürgerschaftsfraktion
Als SPD-Landesvorsitzende ist sie ein politisches Schwergewicht und fest in ihrer Partei verwurzelt und akzeptiert – auch über die Grenzen des Stadtstaats hinaus. Leonhards vordringlichste Aufgabe wird es sein, zügig einen Ausweg aus der verfahrenen Lage beim Thema Verschlickung zu finden und auch langfristig eine tragfähige Lösung zu entwickeln. Ein politisches Signal ist es zudem, dass zum ersten Mal eine Frau an der Spitze der Wirtschaftsbehörde stehen wird.
Dass Gesundheitsstaatsrätin Melanie Schlotzhauer (SPD) an die Spitze der Sozialbehörde rückt, ist einerseits naheliegend und doch auch ein wenig überraschend. An der fachlichen Eignung der Verwaltungswirtin besteht kein Zweifel, doch gibt es in einer Partei wie der SPD auch andere profilierte Sozialpolitikerinnen wie die stellvertretende Bürgerschaftsfraktionschefin Ksenija Bekeris. Auffällig ist, dass Tschentscher bei seiner Personalrochade die SPD-Fraktion übergeht. Er setzt mit Schlotzhauer, die er zudem auch in ihrem früheren Amt als Altonaer SPD-Kreisvorsitzende kennt, auf Kontinuität in der Sozialbehörde, wohl auch weil die Pandemie noch nicht überwunden ist.
Andy Grote bleibt
Nicht nur aufseiten der Opposition, auch in der SPD wird die Frage diskutiert, warum nicht auch Innensenator Andy Grote (SPD), der mehrfach für negative Schlagzeilen sorgte – etwa wegen seiner illegalen Party während des Corona-Lockdowns –, abgelöst wird. Doch Tschentscher hält die Fehltritte des Senators augenscheinlich weiterhin nicht für so gravierend, dass ein Rücktritt erforderlich ist.
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Ein Mann geht, und zwei Frauen kommen – neben Schlotzhauer die IBA-Chefin Karen Pein (SPD) als neue Stadtentwicklungssenatorin. Tschentscher bessert die Frauenquote auf: Künftig werden fünf der zwölf Senatsposten weiblich besetzt sein. Tschentscher hat bei seiner Auswahl auch die parteiinterne Machtarithmetik beachtet: Pein kommt wie Stapelfeldt aus dem SPD-Kreisverband Eimsbüttel. Die SPD Altona wird mit Schlotzhauer erstmals wieder im Senat vertreten sein.
Senat Hamburg: Trennung von beiden Seiten gewünscht
Rücktritt oder Rauswurf? Am Ende ist es von beidem etwas. Stapelfeldt und Westhagemann wollten nicht mehr, sie sollten aber auch nicht mehr. Das nennt man wohl eine Trennung in gegenseitigem Einvernehmen.