Hamburg. Nach dem Alleingang Hamburgs stehen die Zeichen erst mal auf Konfrontation mit Niedersachsen und Schleswig-Holstein.

Es gibt in der Politik Probleme, die nicht vorhersehbar sind. Da gilt es, Krisenmanagement zu betreiben, umsichtig zu handeln und „auf Sicht zu fahren“, wie es dann häufig hübsch bemäntelnd heißt, wenn man auch nicht so genau weiß, wie es weitergeht. Die Corona-Pandemie ist ein aktuelles Beispiel, die Folgen des russischen Angriffskrieges mit Energiekrise und Inflation ein anderes.

Aber es gibt auch Probleme, die sich lange ankündigen und deren Tragweite durch Nichthandeln und Zuwarten zunimmt bis zu einem Kulminationspunkt, an dem sich die Schwierigkeiten nicht mehr ignorieren lassen. In diese Kategorie verdrängter oder ignorierter politischer Streitfälle gehört die aktuelle Auseinandersetzung zwischen den norddeutschen Bundesländern über den Umgang mit den großen und immer größeren Mengen des Schlicks im Hafen und im Elbstrom.

Nun soll es doch noch einen Schlick-Gipfel geben

Im Prinzip ist Hamburg auf die Hilfe der beiden Nachbarländer und Elbanrainer Schleswig-Holstein und Niedersachsen angewiesen. Die Kapazität der mit Schleswig-Holstein vereinbarten Verklappungsstelle im Bereich der Tonne E3 bei Helgoland ist weitgehend erschöpft. Hier ist wohl Ende November bereits Schluss. Neue Vereinbarungen mit den Nachbarländern gibt es derzeit nicht. Jetzt ist die Not groß, und Hamburg steht, was die Verbringung des Hafenschlicks angeht, gewissermaßen mit dem Rücken zur Wand.

In dieser Situation haben sich Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und der zuständige Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos) zu einem Alleingang entschieden. Die Hamburg Port Authority (HPA), also die Hafenbehörde, hat am 9. November einen Antrag zur Genehmigung der Ablagerung des Hafenschlicks vor der Insel Scharhörn in der Nähe des dortigen Naturschutzgebiets und des Unesco-Weltnaturerbes Wattenmeer bei der zuständigen Umweltbehörde gestellt. Da es sich bei dem Areal nahe der Vogelschutzinsel um Hamburger Staatsgebiet handelt, ist eine formale und rechtliche Genehmigung Niedersachsens und Schleswig-Holsteins nicht erforderlich.

Tschentscher schien von der Chance auf Einigung wenig überzeugt

Wie angespannt die Lage bei der Schlick-Thematik im rot-grünen Senat ist, zeigte sich am Dienstag. Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) drängte in der Senatsvorbesprechung darauf, vor der Entscheidung für Scharhörn – die Wirtschaftsbehörde spricht lieber neutral von der „Verbringungsstelle Hamburger Außenelbe“ – zu einem Gipfel der Wirtschafts-, Verkehrs- und Umweltminister der drei Länder einzuladen, um wenigstens eine gemeinsame Perspektive für die künftige Schlickablagerung zu erreichen.

Tschentscher schien von der Chance auf eine Einigung im letzten Augenblick wenig überzeugt, aber er beauftragte Westhagemann immerhin, zu einem solchen Gipfel einzuladen. Allerdings: Angesichts des immensen, aber eben absehbaren Problemdrucks hätte dies längst geschehen müssen. Bislang wurde nur auf der Fachebene der Behörden und Ministerien gesprochen – bekanntlich ohne Erfolg.

Von einem Konzept sind die drei Länder weit entfernt

Eine politische Lösung müsste also her. Und eigentlich streben SPD und Grüne laut ihrem Koalitionsvertrag die Kooperation mit den Nachbarländern sogar ausdrücklich an. „Für ein verbessertes Sedimentmanagement, zur Sicherstellung der erforderlichen Wassertiefenunterhaltung … und um Effekte wie das sogenannte tidal pumping (Tidestrom transportiert die Sedimente nicht mehr ausreichend in die Nordsee, die Red.) zu verhindern, wird gemeinsam mit dem Bund und unter Beteiligung von Schleswig-Holstein und Niedersachsen ein zukunftsfähiges und flexibel-adaptives Konzept entwickelt und umgesetzt“, heißt es auf Seite 46 des Vertrags.

Doch davon sind die drei Länder weit entfernt. Im Gegenteil: Vor allem Niedersachsen ist auf Konfrontation eingestellt. Die neue rot-grüne Koalition in Hannover hat die Ablehnung des Standortes Scharhörn für Baggergut aus dem Hamburger Hafen ausdrücklich in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Und der frühere Umwelt- und jetzige Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) hat bereits eine Klage vor dem Verwaltungsgericht für den Fall angekündigt, dass Hamburg seine Scharhörn-Pläne in die Tat umsetzt. So viel zur Solidarität unter Parteifreunden.

Schleswig-Holstein fühlt sich von Hamburg übergangen

Schleswig-Holstein fühlt sich von den Hamburgern übergangen, nicht beteiligt. Das hat der neue schleswig-holsteinische Umweltminister Tobias Goldschmidt (Grüne) im Abendblatt-Interview in dieser Woche deutlich zum Ausdruck gebracht. Wirtschaftsstaatsrat Andreas Rieckhof (SPD) habe die Kieler Umweltstaatsrätin Katja Günther (Grüne), so ist zu hören, lediglich über den Hamburger Plan informiert, war aber nicht an der Meinung der Schleswig-Holsteiner interessiert. Günther war bis zum vergangenen Jahr Justizstaatsrätin in Hamburg. Man kennt sich also ...

Die hiesigen Grünen sind in einer schwierigen Lage. Sie waren bekanntlich immer grundsätzlich gegen die Elbvertiefung, mussten sie aber als Preis für die Regierungsbeteiligung akzeptieren. Zudem halten die Grünen von der andauernden Ausbaggerei nicht zuletzt aus ökologischen Gründen wenig. Alexander Porschke, erster grüner Umweltsenator, hat schon vor mehr als 20 Jahren eine norddeutsche Hafenkooperation gefordert. Das bedeutet nichts anderes, als dass im Ergebnis die größten Containerschiffe Hamburg gerade nicht mehr anlaufen würden. An der Stelle verstehen die Hamburger Sozialdemokraten keinen Spaß. Dass der Hafen unantastbar ist, gehört zur DNA der SPD an Elbe und Alster. Von dem sonst so ruhigen Tschentscher heißt es, er werde sofort emotional und laut, wenn der Hafen infrage gestellt werde.

Die Grünen wissen das, und sie wollen nicht in den Verdacht geraten, sie arbeiteten länderübergreifend mit ihren Parteifreunden an einer Schwächung des Hafens. Diese „Erzählung“ der SPD soll aus grüner Sicht unbedingt vermieden werden. Da lässt der Bürgerschaftswahlkampf 2025 schon grüßen.

Grüne Umweltbehörde stimmt Scharhörn-Plan unter Bedingungen zu

Kerstan sagte in der Senatsvorbesprechung, seine Behörde werde die Schlickversenkung bei Scharhörn wasserrechtlich genehmigen. Zwei bis 2,5 Millionen Tonnen Sediment können dort pro Jahr abgeladen werden – etwa die Hälfte der anfallenden Menge. Allerdings wies der Umweltsenator darauf hin, dass die Genehmigung an Bedingungen geknüpft sei. So sei die Zulassung auf zwei Jahre begrenzt – gelte also nur für den aktuellen Notfall. Zudem dürfe der Schlick nur bei Ebbe abgeladen werden.

Hamburg kann aber auch trotz der behördlichen Genehmigung schnell in eine prekäre Lage geraten. Wenn Niedersachsen gegen die Verklappung bei Scharhörn wie angekündigt klagt, kommt es auf die Reaktion des Gerichts an. Falls es die sofortige Aussetzung der Baggerei bis zu einer Entscheidung anordnet, dürfte nichts mehr bei Scharhörn passieren. Dann wäre die Not der Hamburger noch größer, und Teile des Hafens drohten zu versanden – ein Grund mehr, nach einer politischen Lösung mit Niedersachsen und Schleswig-Holstein zu suchen.

Tschentscher: Schleswig-Holstein verdiene gut am Schlick

Warum fällt es gerade den Sozialdemokraten so schwer, mit den Nachbarländern in dieser für den Hafen so existenziellen Frage zu kooperieren? Die erste Antwort: Nach dem Eindruck vieler Mitstreiter ist Tschentscher von den Nachbarn enttäuscht, namentlich von seinem Parteifreund, Niedersachsens Ministerpräsidenten Stephan Weil, der nicht zuletzt eigene Interessen mit dem JadeWeserPort in Wilhelmshaven vertritt. Außerdem weist Tschentscher gelegentlich darauf hin, dass die Schleswig-Holsteiner an der Schlickverbringung bei der Tonne E3 auch gut verdienen, und unterstellt, dass sie die Preise in die Höhe treiben wollen. Schließlich müsse Hamburg ohnehin alles selbst finanzieren – derzeit 95 Millionen Euro pro Jahr –, obwohl doch die Funktionsfähigkeit des größten deutschen Seehafens im Interesse aller sei.

Jenseits der Hamburger Landesgrenzen ist jedoch auch eine völlig andere Interpretation zu hören. Da wird dann auf die Hamburger Arroganz verwiesen, auf die Eigenart der Hanseaten, immer alles selbst und allein regeln zu wollen und nur im äußersten Notfall mal an die Tür der Nachbarn zu klopfen. „Da ist viel Porzellan zerschlagen worden“, sagt einer, der es wissen muss.

Eins ist klar: Die Lage ist bedrohlich. Die Elbvertiefung hat nicht das gewünschte Resultat gebracht. Die Verschlickung ist so stark, dass die größten Pötte den Hafen voll beladen doch nicht wie geplant erreichen können. Mehr noch: Auch kleinere Schiffe haben in einigen Hafenbecken schon Schwierigkeiten. Für die Funktionsfähigkeit, sprich die Erreichbarkeit des Hamburger Hafens ist die Schlick-Baggerei also unerlässlich.