Hamburg. Elbvertiefung, Schlickverklappung oder eine neue Bahntrasse – Hannover lehnt vieles ab, was Hamburg wichtig ist. Nun will man reden...

Das Leben schreibt manchmal Geschichten, die kann man sich gar nicht ausdenken. So wie diese: In Niedersachsen regiert mit dem Sozialdemokraten Stephan Weil seit 2013 ein gebürtiger Hamburger. Seit wenigen Tagen führt er eine rot-grüne Koalition an – wie in Hamburg.

Eine der engsten Vertrauten von Weil ist seine Regierungssprecherin Anke Pörksen – die Ehefrau von Jan Pörksen, dem Chef der Hamburger Senatskanzlei. Und neuerdings gibt es in Hannover nun eine stellvertretende Ministerpräsidentin der Grünen, die gleich Hamburg heißt: Julia Willie Hamburg.

Alles nur Zufall? Klar. Dennoch könnte man auf die Idee kommen, dass das Verhältnis der beiden Nord-Länder bestens sein müsste – zumal Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) ja auch noch in Niedersachsen aufgewachsen ist.

Zwischen Hamburg und Hannover tun sich tiefe Gräben auf

Doch von Harmonie ist derzeit nichts zu spüren, im Gegenteil. Zwischen Hamburg und Hannover tun sich tiefe Gräben auf. Dafür sorgt der Koalitionsvertrag, den Stephan Weil und Julia Willie Hamburg in dieser Woche präsentiert haben. Denn manches, was das neue Bündnis zu Papier gebracht hat, wird in der Hansestadt als pure Provokation wahrgenommen.

Etwa diese: „Die neunte Elbvertiefung ist ökologisch gescheitert“, wird auf Seite 17 lapidar festgestellt. Die „ungelöste Bewältigung der enorm gestiegenen Baggergutmengen“ belege das. Allein diese Sätze sorgen bei Hafenvertretern und Wirtschaftspolitikern in Hamburg, die 20 Jahre lang für die Fahrrinnenanpassung gekämpft hatten, für erhöhten Puls.

Schlick: Rot-Grün in Hannover droht Hamburg sogar mit Klage

Dabei ist der Hinweis durchaus berechtigt, denn nur wenige Monate nach Abschluss der Elbvertiefung sorgt der Schlick schon wieder für Probleme und begrenzt die Befahrbarkeit des Flusses für sehr große Schiffe. Der Senat sucht daher händeringend nach einem Ort in der Nordsee, an dem er die Sedimente dauerhaft ablagern kann und hat dabei die Gegend nördlich von Scharhörn im Blick.

Doch obwohl das Hamburger Staatsgebiet ist, kommt aus Hannover massiver Gegenwind: „Wir lehnen Schlickverklappungen vor der Vogelschutzinsel Scharhörn strikt ab und werden nötigenfalls rechtliche Schritte ergreifen“, stellt das neue Bündnis in ungewöhnlicher Schärfe klar. Begründet wird das nicht, aber wie zu hören ist, sorgt man sich an der Leine, dass der Schlick in den niedersächsischen Teil des Nationalparks Wattenmeer treiben könnte. Doch damit nicht genug.

Ausbau der Elbe, A20-Weiterbau – überall droht Knatsch im Norden

Die sogenannte „Elbe-Reststrecke“ zwischen Hitzacker und Dömitz soll nach dem Willen von Rot-Grün „nicht ausgebaut werden“, was die Erreichbarkeit Hamburgs mit dem Binnenschiff erschweren könnte. Die Fortsetzung der Autobahn 20 von Schleswig-Holstein durch einen Elbtunnel bei Glücksstadt und weiter bis nach Wilhelmshaven – also eine Westumfahrung Hamburgs, an die auch die im Bau befindliche A26 anschließt – sieht man nur noch „in der Verantwortung des Bundes“. Nachdem die Niedersachsen-SPD die Küstenautobahn im Wahlkampf noch „konsequent“ weiterbauen wollte, bietet man dem Bund nun spitzfindig Nachhilfe beim Klimaschutz an.

Umgekehrt lief es bei einem für Hamburg und den gesamten Deutschlandtakt bedeutenden Bahnprojekt: dem möglichen Neubau der Verbindung nach Hannover auf einer kürzeren Trasse entlang der A7. Dafür hatten sich die Grünen in ihrem Wahlprogramm noch offen gezeigt, doch nach massivem Protest von Bürgern entlang der potenziellen Trasse hatte Ministerpräsident Weil schon vor der Wahl versprochen, dass er an dem 2015 vereinbarten Ausbau der bestehenden und längeren Bestandsstrecke festhalte – so steht es jetzt auch im Koalitionsvertrag. Aus Hamburger Sicht gefährdet dies schlicht die Mobilitätswende, also das Ziel, mehr Personen und Güter in kürzerer Zeit auf der Schiene zu transportieren.

Kienscherf: „nicht glücklich über diesen Koalitionsvertrag“

In der Hansestadt ist daher das Entsetzen über den neuen Kurs in Hannover weit verbreitet. „Ich bin nicht nicht glücklich über diesen Koalitionsvertrag“, bekennt SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf offen. „Er ist nicht von norddeutschen Gemeinsamkeiten geprägt, sondern baut Gegensätze auf.“ Er sehe daher erheblichen Gesprächsbedarf und appelliert an die Landesregierungen, sich bald zusammenzusetzen. Auch Markus Schreiber, hafenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, fordert die beiden Nordländer zur Zusammenarbeit auf: „Säbelrasseln hilft nicht weiter.“

Der FDP-Landesvorsitzende Michael Kruse, der sich im Bundestag viel mit den betreffenden Verkehrsprojekten beschäftigt, wird noch deutlicher: „Die rot-grüne Landesregierung in Niedersachsen ist ein Blockadebündnis für die Hamburger Wirtschafts- und Verkehrspolitik“, sagt er. „Gemessen daran, dass der Hamburger Hafen einer der größten Arbeitgeber in Niedersachsen ist, finden Hamburger Interessen bei Rot-Grün in Hannover kaum Berücksichtigung.“ Kruse vermutet, „dass der Einfluss von Peter Tschentscher und Katarina Fegebank offenkundig an der Hamburger Stadtgrenze endet“.

Die Hamburger Grünen sehen Koalitionsvertrag entspannter

Ist das wirklich so? Der Bürgermeister pflegt bekanntlich enge Verbindungen zur Bundesregierung um seinen Vorgänger Olaf Scholz. Auch Tschentscher und Weil verstehen sich grundsätzlich gut, nicht zuletzt, weil die beiden Parteifreunde einen ähnlich zurückhaltenden Politikstil pflegen. Die Grünen in der Hansestadt wiederum sehen den Koalitionsvertrag in Niedersachsen entspannter als ihr roter Regierungspartner. Dass sie die Elbvertiefung und die Schlickverklappung nur aus Koalitionsräson mittragen, ist bekannt.

Fraktionschefin Jenifer Jasberg, die wie Julia Willie Hamburg in Göttingen studiert hat, unterhält noch beste Kontakte nach Niedersachsen. Als dort der Koalitionsvertrag vorgestellt wurde, twitterte sie, dass es ja keine neue Feststellung sei, dass die Elbvertiefung gescheitert ist und würdigte, dass Hannover sich nun „ernsthaft“ mit dem Schlickmanagement beschäftigen wolle. So kann man eine Kampfansage auch umdeuten.

Bahntrasse zwischen Hamburg und Hannover: Konfliktpotenzial

Inner-Grün mehr Konfliktpotenzial hat die Bahntrasse: Hamburgs Verkehrssenator Anjes Tjarks ist ein Anhänger des Deutschlandtakts und würde, wenn dieser ohne eine Neubaustrecke nicht funktioniert, diese auch befürworten. Manche seiner Parteifreunde in Niedersachsen sehen das möglicherweise ähnlich, sind nun aber an den Koalitionsvertrag gebunden.

Ohnehin gilt: Anders als in Schleswig-Holstein, wo rund die Hälfte der 2,9 Millionen Einwohner in der Metropolregion Hamburg wohnt und sich dieser in unterschiedlicher Weise zugehörig fühlt, ist diese Verbundenheit nur bei einem kleinen Teil der acht Millionen Niedersachsen vorhanden. Zum Landkreis Harburg, dessen Hauptstadt und Namensgeber einst der heutige Hamburger Stadtteil war, sind die gegenseitigen Verflechtungen zwar immer noch äußerst ausgeprägt.

Bedeutung des Hamburger Hafens wird in Niedersachsen nur bedingt geteilt

Doch dahinter nimmt dieses Gefühl schnell ab – die „Metropolregion Hannover Braunschweig Göttingen Wolfsburg“ versteht sich schon als ganz eigenes Kraftzentrum. Man könnte sagen: Mit jedem Kilometer, den man sich von Hamburg wegbewegt, trägt die Haltung, dass der Hafen der Hansestadt von nationaler Bedeutung ist, dass auch zehntausende Menschen im Umland gut von ihm leben und daher ganz Norddeutschland ein Interesse an seiner Erreichbarkeit über Wasser und Schiene haben sollte, etwas weniger.

Stattdessen setzt man in Niedersachsen auf Wilhelmshaven. Dass Hamburg es vor Jahren abgelehnt hat, sich am neuen Tiefwasserhafen zu beteiligen und lieber die Elbe noch einmal ausbaggern wollte, hat man in Hannover nicht vergessen. In der Landeshauptstadt wird kaum verhehlt, dass Elbvertiefung und Schlickverklappung auch abgelehnt werden, weil es perspektivisch Ladung nach Wilhelmshaven bringen könnte.

Niedersachsen möchte Hamburg an Tiefwasserhafen beteiligen

Obwohl der JadeWeserPort noch lange nicht ausgelastet ist, möchte die neue Landesregierung ihn perspektivisch sogar ausbauen und schlägt dabei auch eine Brücke zu den Nachbarn im Norden: „Eine Kooperation mit den Ländern Bremen und Hamburg ist anzustreben“, heißt es im Koalitionsvertrag. Ziel sei es, „den Wettlauf der Häfen um öffentliche Subventionen, Hafengebühren und immer neue Flussvertiefungen zu beenden“.

Manches davon dürfte an der Elbe für Stirnrunzeln sorgen. Den durchschaubaren Plan, die dicken Pötte im JadeWeserPort abzufertigen und Hamburg nur noch die kleineren Schiffe zu überlassen, wird man in der Hansestadt kaum mittragen. Aber es ist ja immerhin mal ein Gesprächsangebot – und schließlich hatte niemand anderes als Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos) schon vor zwei Jahren gefordert: „Wir müssen bei den Häfen anfangen, norddeutsch zu denken und nicht in Landesgrenzen.“

Kommende Woche treffen sich die Wirtschaftsminister

Genau darüber wird nun zu reden sein. Und wie der Zufall es will, besteht schon kommende Woche Gelegenheit dazu. Am Donnerstag und Freitag treffen sich die norddeutschen Wirtschaftsminister. In Hamburg. Niedersachsens Vertreter Olaf Lies (SPD) stammt übrigens aus Wilhelmshaven. Könnte man sich nicht besser ausdenken.