Hamburg. Schleswig-Holstein fühlt sich nicht ausreichend in Hamburgs Pläne eingebunden. Umweltminister Tobias Goldschmidt macht nun Druck.
Schleswig-Holstein ist verstimmt. Das nördlichste Bundesland fühlt sich von Hamburg überfahren und wirft dem Nachbarn vor, Fakten zu schaffen statt sich verständigen zu wollen. Worum es geht? Um die Verklappung von Baggergut aus dem Hafen und der Fahrrinne der Elbe.
Im Exklusiv-Interview fordert Schleswig-Holsteins Umweltminister Tobias Goldschmidt (Grüne): „Wir müssen davon wegkommen, uns immer nur dann mit dem Thema zu beschäftigen, wenn wieder neue Zulassungen für die Verklappung von Baggergut anstehen.“
Schlick aus Elbe: Hamburg hat ein Problem
Jährlich baggert Hamburg fünf bis sieben Millionen Kubikmeter Schlick aus dem Hafen und der Fahrrinne der Elbe, getrocknet bleiben davon noch rund 2,5 Millionen Tonnen übrig. Die Mengen steigen nach der jüngsten Elbvertiefung.
In der Vergangenheit hatte Hamburg das Baggergut an zwei Stellen wieder ins Wasser gekippt – bei Tonne E 3 nahe Helgoland und vor Neßsand, der kleinen Elbinsel an der Landesgrenze. Das Problem: Die Flut hat die Sedimente von Neßsand recht zügig wieder zurück in den Hafen getragen. Der Abwurfplatz ist jetzt Geschichte.
Stattdessen hat die Hafenbehörde HPA eine Fläche neben der Vogelschutzinsel Scharhörn ausgemacht. Sie gehört zu Hamburg, liegt aber in der Nähe von Vogelschutzgebieten und dem Weltnaturerbe Wattenmeer.
Schlick: Kontingent vor Helgoland bald ausgeschöpft
Die HPA hatte erst vergangene Woche bei der Hamburger Umweltbehörde beantragt, Schlick hier verklappen zu dürfen. Das lehnen Umweltverbände und das Land Niedersachsen kategorisch ab, jetzt wehrt sich auch Schleswig-Holstein gegen den Hamburger Alleingang. Kiel macht zudem Druck gegen eine Entsorgung von Baggergut am Standort Neuer Lüchtergrund.
Nicht zuletzt dürfte noch im November auch das Kontingent ausgeschöpft sein, das sich Hamburg von Schleswig-Holstein bei Tonne E 3 vertraglich gesichert hat. Lässt Schleswig-Holstein Hamburg jetzt im Stich? Was Schleswig-Holsteins Umweltminister dazu sagt.
Hamburger Abendblatt: Herr Goldschmidt, ist Schleswig-Holstein unsolidarisch? Immerhin wollen Sie die bislang praktizierte Verklappung des Elbeschlicks vor der schleswig-holsteinischen Küste nicht mehr hinnehmen.
Tobias Goldschmidt: Nein, wir sind nicht unsolidarisch. Seit 2005 unterstützen wir Hamburg dabei, das Baggergut an der Tonne E 3 zu verklappen. Die Tonne liegt zwischen Helgoland und Scharhörn und weit entfernt von Küstenregionen und Schutzgebieten auf schleswig-holsteinischem Staatsgebiet. Wir erteilen hierfür als Land seit Jahren die Genehmigungen. Auch in Zukunft werden wir uns hier konstruktiv zeigen. Und das, obwohl auch dieser Standort für uns nicht unproblematisch ist. Wesentlich kritischer ist jedoch, dass Hamburg nun ohne formales Beteiligungs- oder Zulassungsverfahren unserer Landesregierung mit dem Neuen Lüchtergrund eine weitere Verbringstelle ansteuern will. Und auch die Nutzung von Scharhörn könnte Realität werden. Bei der Nutzung dieser Verbringstellen sind im Gegensatz zur Tonne E 3 erhebliche ökologische Auswirkungen auf den Nationalpark schleswig-holsteinisches Wattenmeer zu befürchten.
Im Hafen arbeiten rund 155.000 Menschen aus der Metropolregion. Der Hafen gilt als einer der größten Arbeitgeber für Menschen aus Schleswig-Holstein. Deshalb müsste Ihr Bundesland doch auch ein Interesse an einem funktionierenden Betrieb haben.
Sie haben absolut recht. Der Hamburger Hafen ist auch für Schleswig-Holstein von zentraler Bedeutung. Er ist der wirtschaftliche Dreh- und Angelpunkt für die Metropolregion und für ganz Nordeuropa wichtig. Genau deshalb unterstützt Schleswig-Holstein ja auch Hamburg seit 2005 bei der Lösung seines Baggerproblems. Es kann aber nicht allein von Hamburg und Schleswig-Holstein gelöst werden. Wir brauchen beim Sedimentmanagement gemeinsame Lösungen von Bund und Küstenländern, die auch langfristig durchtragen. Das bedeutet auch, dass wir die ökologischen Probleme, welche die Verbringer erzeugen können, nicht ausblenden dürfen. Es muss doch darum gehen, Wirtschaft und Ökologie zusammenzubringen sowie umweltrechtlichen Anforderungen Rechnung zu tragen. Und das kann auch gelingen. Wenn zum Beispiel der Schutz des Wattenmeeres oder anderer Schutzgebiete untergebuttert wird, dann haben wir alle verloren.
Haben Sie das Gespräch mit dem Hamburger Senat schon gesucht?
Ja. Und dabei haben wir immer wieder deutlich gemacht, dass die Gemengelage so komplex ist und so viele Akteure involviert sind, dass wir neben dem notwendigen Austausch auf Ebene der Fach- und Vollzugsbehörden auch auf hoher Ebene an einen Tisch kommen müssen. Es wäre gut, wenn Hamburg hierzu die Initiative ergreifen würde.
Was könnte ein „runder Tisch“ zu diesem Thema überhaupt bringen?
Das Unesco-Weltnaturerbe Wattenmeer und der Welthafen Hamburg sind großartige Perlen für unsere Region. Es geht also um viel. Schon deshalb müssen wir davon wegkommen, uns immer nur dann mit dem Thema zu beschäftigen, wenn wieder neue Zulassungen für die Verklappung von Baggergut anstehen. Tragfähige Lösungen werden wir am besten erreichen, wenn alle betroffenen Akteure frühzeitig und ergebnisoffen ihre verschiedenen Perspektiven einbringen, Lösungen erdacht werden und Verbindlichkeit hergestellt wird: Hamburg, Niedersachsen, der Bund und das Land Schleswig-Holstein. Im Idealfall gelingt es uns, ein gemeinsames Format zu verstetigen.
Wo soll Hamburg denn seinen Schick loswerden, wenn die beiden norddeutschen Küstenländer ihn nicht haben wollen?
Es geht hier nicht um das St. Florians-Prinzip, es geht um langfristige und zukunftsfähige Lösungen. Dazu gehört meines Erachtens auch, mal ganz neu zu denken oder frühere Überlegungen neu zu bewerten: Warum nicht zumindest Teile des Sediments stärker als bisher an Land nutzen – beispielsweise beim Bau von Deichen? Schleswig-Holstein wäre bereit, hier erste Projekte mit Hamburg zu starten.
Schleswig-Holstein hatte die Elbvertiefung, die die aktuellen Probleme verursacht, unterstützt. War das rückblickend betrachtet ein Fehler?
Zumindest ist die Situation durch die Elbvertiefung nicht leichter geworden. Aber lamentieren hilft nicht. Wir müssen nach vorne schauen und Probleme lösen.