Hamburg. Mehr als 600 Hamburger Praxen bestreikt. Ärzte werfen Lauterbach Betrug und Fake News vor – und drohen weitere Maßnahmen an.

Die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten in Hamburg haben mit einem flächendeckenden Protest und Praxisschließungen ihrem Unmut gegen die Politik von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und der gesamten „Ampel“-Regierung in Berlin Luft gemacht. Rund 1300 Ärztinnen und Ärzte sowie Medizinisches Fachpersonal (MFA) kamen am Mittwochmorgen in die Kassenärztliche Vereinigung (KV), um mit einer Fortbildung zur Notfallmedizin den ihnen verbotenen „Streik“ doch zu praktizieren.

Ärzte in Hamburg streiken – Hunderte Praxen geschlossen

Nach KV-Angaben hatten am Morgen 600 oder 700 Praxen von Haus- und Fachärzten geschlossen. Der Arztruf 116 117 und die Notfallpraxen der KV in Altona, Harburg, am Bundeswehr- und am Marienkrankenhaus waren für Patienten erreichbar.

In nie vorher gehörten Wutreden haben sich der Vorsitzende der Vertreterversammlung, Dr. Dirk Heinrich, und andere zu den Plänen Lauterbachs geäußert. Es geht um die Neupatientenregel, die wieder gestrichen werden soll, was zu einer Absenkung der Honorare in diesem Bereich führe. Und es geht um einen Inflationsausgleich, der notwendig sei, weil die Ärzte ihre Preise nicht selbst machen.

Ärzte-Streik in Hamburg: Video von Karl Lauterbach

Von „Betrug“ war die Rede, von „Fake News“, die er und sein Ministerium verbreiteten, von „unsozialem Verhalten“. Heinrich präsentierte den Demonstranten ein Video, das Lauterbach im Bundestag 2019 zeigt. Dort lobte er noch als Abgeordneter die Regeln, die er nun wieder abschaffen will. Lauterbach sagte, er wisse „als Praktiker“, welchen Aufwand neue Patienten für Ärzte bedeuteten. Heinrich kommentierte beißend: „Er als Praktiker! Das ist Amtsanmaßung. Dieser Mann hat noch nie als Praxisinhaber eine Praxis von innen gesehen.“

Ärzteprotest gegen Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in Hamburg: Dr. Dirk Heinrich zeigt ein Video aus einer Bundestagsdebatte 2019.
Ärzteprotest gegen Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in Hamburg: Dr. Dirk Heinrich zeigt ein Video aus einer Bundestagsdebatte 2019. © Georg Wendt/dpa

Heinrich verteidigte den Protest: „Wir müssen für unsere Patienten auf die Straße.“ Außerdem griff er die Pläne zum Gesundheitskiosk an, die Lauterbach verdreht habe. Heinrich gilt als Mitinitiator des Gesundheitskiosk in Billstedt, dem drei große Krankenkassen die Mittel streichen wollen. In Billstedt gibt es Gesundheitsberatungen vorrangig von nicht-ärztlichem Personal. Heinrich sagte mit Blick auf die Medizinischen Versorgungszentren (MVZ), die zunehmend in die Hände von Kapitalgebern gelangen: „Soll dann auch ein Gesundheitskiosk in Blankenese oder Othmarschen aufmachen? Oder gibt es künftig für die Reichen Ärzte und für die Armen nur die Krankenschwester?“

Kinderärzte: Keine Termine für junge Eltern mit Babys

Heinrich lobte ausdrücklich Bürgermeister Peter Tschentscher und Sozialsenatorin Melanie Leonhard (beide SPD), die verstanden hätten, dass die geplanten Regeln die Versorgung aller Patientinnen und Patienten in Hamburg verschlechterten. Sie stemmten sich im Bundesrat gegen das Gesetz, in dem es eigentlich um die Finanzen der gesetzlichen Krankenkassen geht. Um deren Defizit von 17 Milliarden Euro zu finanzieren, sollen auch die Ärzte Einschnitte hinnehmen.

Kinderärztin Dr. Claudia Haupt sagte, schon heute würden Eltern „mit Neugeborenen auf dem Arm“ nach Praxen für die Versorgung ihrer Babys suchen. „Das Fass läuft über. Diese Politik ist extrem unsozial.“ KV-Chef John Afful konnte anhand von Abrechnungszahlen nachweisen, dass allein in Hamburg seit 2019 insgesamt 6,1 Millionen Neupatienten davon profitiert hätten, dass die Ärzte ihre Sprechstunden ausgeweitet und mehr „Neue“ aufgenommen hätten. In Wilhelmsburg habe es im Vergleich zu 2019 34 Prozent mehr Neupatienten gegeben, in Steilshoop 22 Prozent, in Billstedt 25 Prozent.

Ärzte in Hamburg drohen mit Vier-Tage-Woche

Afful: „Die Leistungen sind endlich zu 100 Prozent bezahlt worden.“ Zurzeit erhielten Hamburgs Ärzte nur rund 80 Prozent dessen vergütet, was sie an Leistungen erbringen.

Heinrich kündigte an, der Protest gehe weiter, bis die Politik sich ändere. In weiteren Bundesländern blieben die Praxen zu. Andere Länder hätten auf die Budgetierung damit reagiert, dass sie einfach Tausende Arztsitze unbesetzt lassen. Es werde weitere Tage geben, an denen die Praxen aus Protest geschlossen blieben, so Heinrich. Habe das keinen Erfolg, „dann machen wir die Vier-Tage-Woche“.