Hamburg. Die Stiko-Regeln und warum nicht jeder die vierte Impfung braucht: Die wichtigsten Antworten zum Virus und seinen Varianten.

Corona in Hamburg hat eine neue Chiffre: „Ereignisse” – das ist das Kennwort für all die, die sich bei Herbstbeginn 2022 die in mehr als zwei Corona-Pandemiejahren immer wieder wellenartig in Mode gekommenen Fragen stellen: Impfen? Jetzt? Wo? Womit? Trotz klarer Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (Stiko) bleibt es eine Frage der: Ereignisse. So nennen Ärzte und Impf-Experten eine Impfung gegen das Coronavirus oder eine Infektion. Wer gerade ein Ereignis hatte, also zum Beispiel mit der nach wie vor in Deutschland dominierenden Variante BA.4 oder BA.5 angesteckt wurde, der genießt Immunschutz und Zeit bis zum nächsten Piks. Das Abendblatt fasst die Antworten auf oft gestellte Fragen zusammen.

Corona Hamburg: Wer braucht eine Booster-Impfung?

Generell alle über Zwölfjährigen, sagt die Stiko. Dabei geht es darum, im Falle einer Infektion einen schweren Krankheitsverlauf zu vermeiden und das Risiko „deutlich zu reduzieren“, das Virus weiterzugeben. Der Mindestabstand zum letzten Ereignis beträgt sechs Monate, in Sonderfällen kann er reduziert werden. Wer ohne jede Impfung zum Beispiel zweimal infiziert war, sollte sich dennoch mindestens eine Spritze abholen, empfiehlt die Stiko (hybride Immunität).

Für wen ist die vierte Impfung angesagt, also die zweite Auffrischung oder zweiter Booster?

Wer drei Ereignisse hatte, kann sich sechs Monate später die nächste (vierte) Spritze abholen. Voraussetzung: Risikogruppen mit besonderen Erkrankungen, Mitarbeit im Gesundheitswesen oder generell Menschen ab 60.

Und wenn ich entgegen der Stiko-Empfehlung den zweiten Booster unbedingt möchte?

Dr. Dirk Heinrich war Sprecher der medizinischen Leiter im Impfzentrum.
Dr. Dirk Heinrich war Sprecher der medizinischen Leiter im Impfzentrum. © HA | Roland Magunia

Hier lohnt sich ein Gespräch mit dem Impfarzt. Der frühere Sprecher der medizinischen Leiter im Impfzentrum, Dr. Dirk Heinrich, sagte: „Eine vierte Impfung ist auch ohne Stiko-Empfehlung möglich, denn es ist ein zugelassener Impfstoff. Allerdings übernimmt der Staat dann nicht die Verantwortung. Dass die Stiko ihre Empfehlung anpasst und zum Beispiel das Alter senkt, ist möglich. Allerdings müssen dann neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen.“

In den städtischen Hamburger Impfzentren wird nach Stiko geimpft, in den Arztpraxen gibt es abweichende Praktiken. Einige beharren auf den Stiko-Empfehlungen mit Verweis darauf, dass eine vierte Impfung Immungesunde unter 60-Jährige nicht deutlich besser schütze. Andere sagen: Auf Patientenwunsch machen wir es, weil die Impfung keinen wissenschaftlich belegten Schaden verursachen wird.

Sollte man einen Antikörpertest machen, wenn man unsicher ist, ob man noch ausreichenden Immunschutz hat?

Das ist nach Auskunft von Ärzten Geldverschwendung. Die dabei ermittelten Laborwerte können die Fragen nach dem Sinn eines weiteren Piks nicht verlässlich beantworten. Impfarzt Heinrich meint: „Ein Antikörpertest zur Überprüfung des Immunstatus ist wenig sinnvoll. Denn es gibt keinen Grenzwert, der anzeigen könnte: Jetzt sollte wieder geimpft werden oder auch nicht.“

Wo bekomme ich die neuen Impfstoffe, die besonders gut gegen die Omikron-Untervarianten BA.4 und BA.5 schützen sollen?

Die städtischen Impfstellen wie am Flughafen (Terminal Tango) und in den Harburg Arcaden bieten diese Wirkstoffe laut Sozialbehörde an. Es ist auch noch „alter“ Impfstoff vorhanden, der für Erst- und Zweitimpfungen benutzt werden kann. Auch dieses Serum ist hochwirksam. In den Arztpraxen wird aufgrund der kurzfristigen Bestellungen von Woche zu Woche ebenfalls der neueste BA.4/5-Impfstoff angeboten.

Müssen wir mit neuen Corona-Varianten rechnen? Kommt gar das „Killervirus“, das Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) fürchtet?

Das weiß niemand verlässlich. Das Leibniz-Institut für Virologie hat in der vergangenen Woche beim Sequenzieren von Stichproben aus PCR-Tests festgestellt: 88 Prozent waren BA.5, elf Prozent BA.4, der Rest Unterlinie BA.2. Die meisten Krankheitsverläufe mit Omikron waren mild – auch dank des Impfens und eines hohen „Immunisierungsgrades“ in der Bevölkerung. Dennoch können auch Infizierte das Virus weitertragen.

Musste Impfstoff weggeworfen werden und warum?

Corona-Impfung in den Hausarztpraxen: Die Spritzen liegen bereit.
Corona-Impfung in den Hausarztpraxen: Die Spritzen liegen bereit. © Michael Rauhe

Ja, bestätigte Sozialbehördensprecher Martin Helfrich. Seit Beginn des Spritzens in Hamburg (Ende 2020) wurden an den öffentlichen Impfstellen 1,85 Millionen Dosen verabreicht. 165.000 mussten wegen Ablauf des Haltbarkeitsdatums oder gerissener Kühlkette „verworfen“ werden. Am Anfang offenbar winzige Mengen, weil die Nachfrage das Angebot weit überstieg. In diesem Jahr war die Nachfrage eingebrochen. Der Grund waren die Infektionswellen durch die grassierende Omikron-Variante. Wer sich infizierte (und meist glimpflich davonkam), konnte sich nicht impfen lassen.

Manche steckten sich wiederholt an – siehe das prominente Beispiel von Nationalspieler Thomas Müller (FC Bayern München), der dreimal positiv war. In den Arztpraxen war der „Verwurf“ sicherlich geringer, weil die Ärzte Woche für Woche bestellen und die vereinbarten Termine besser im Blick haben können.

Wie steht es um die Inzidenzen und die Krankenhauseinweisungen?

Die Masken sind flächendeckend gefallen, die Zahl der Veranstaltungen in geschlossenen Räumen steigt, die AbstandsDisziplin sinkt: All das treibt vordergründig die Corona-Neuinfektionen nach oben. In Hamburg liegt die Inzidenz bei 213,3 Infektionen pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen (Zahlen aus vergangener Woche). Das Robert-Koch-Institut errechnete am Dienstag 166,1. Bundesweit waren es laut RKI 311,3. In den Hamburger Krankenhäusern lagen 185 Patienten mit oder wegen Corona, 18 von ihnen wurden intensivmedizinisch betreut.

Bei den Krankenhauszahlen ist der Hospitalisierungswert des RKI bedeutend, der die Schwere der aktuellen Pandemie-Entwicklung beschreiben soll. Für Hamburg liegt der Wert bei 1,89, für Schleswig-Holstein bei 7,15. Woran genau das liegt, ist Spekulation. Die Großereignisse wie Kieler Woche oder Hafengeburtstag liegen schon etwas zurück. Hat Hamburg hier einen besseren Wert, weil die Bevölkerungsstruktur deutlich „jünger“ ist?

Woher hat man die Zahlen, wenn kaum noch getestet wird?

Abstrich-Entnahme in einem Corona-Testzentrum in Hamburg.
Abstrich-Entnahme in einem Corona-Testzentrum in Hamburg. © HA | Michael Rauhe

Nach wie vor aus den meldepflichtigen Positivergebnissen. Da keine flächendeckenden Tests mehr stattfinden und die „normalen“ Infekte zurück sind, ist es ein Fischen im Trüben. Wer einen positiven Schnelltest hat, sollte einen PCR-Test machen lassen. Nicht alle tun das. Impfarzt Heinrich sagt: „Man muss sich bei den aktuellen Zahlen die Fragen stellen, ob, zu welchem Zeitpunkt und wie viel getestet wird. In unserer Praxis werden Patienten mit Symptomen nach wie vor PCR-getestet. Denn für sie ist es wichtig zu wissen, ob sie eine Covid-Erkrankung durchgemacht haben – auch im Hinblick auf eine dritte oder vierte Impfung.“

Wenn man eine Covid-Erkrankung hat, sollte man sofort das Medikament Paxlovid nehmen wie Gesundheitsminister Karl Lauterbach und Bundeskanzler Olaf Scholz?

Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit.
Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit. © Michael Kappeler/dpa/Archivbild

Es bleibt dabei, dass Ärzte Therapieempfehlungen geben. Lauterbachs (59) offensive Werbung für Paxlovid war nach Auskunft mehrerer Hamburger Ärzte nicht angemessen (das Abendblatt berichtete). Er hat es selbst genommen und damit offensichtlich gegen medizinische Leitlinien verstoßen, wenn er keiner Risikogruppe angehört und noch nicht 60 Jahre alt ist.

Paxlovid sollte bei Vorliegen mehrerer Risikofaktoren wie Adipositas, Diabetes und Immunschwäche, Krebs oder Herz- und Lungenerkrankungen verschrieben werden. Ärzte müssen den Nutzen und das Risiko abwägen, denn das Medikament hat erhebliche Wechselwirkungen mit anderen Pillen. Studien zeigen einen zusätzlichen Nutzen von Paxlovid erst bei einem Alter von über 65.