Hamburg. Drei Familien wollen mehr Wohnraum und planen einen Ausbau. Doch das Amt sieht den Bau von Kinderzimmern als unsozial.

Für die Bewohner der Wohnungseigentümerschaft war es ein Schock. Gemeinsam wollten sie eine Dachaufstockung ihrer drei aneinandergrenzenden Häuser vornehmen, um Wohnraum für ihre Kinder zu schaffen. Doch das zuständige Bezirksamt lehnte das Vorhaben ab. Der Grund: Das Bauvorhaben widerspreche den Zielsetzungen der Sozialen Erhaltungsverordnung.

„Wir sind aus allen Wolken gefallen“, sagt Lars Purschke, einer der Betroffenen. „Mir war gar nicht bewusst, dass das für uns gilt.“ Der Familienvater bewohnt mit seiner Frau und dem zweijährigen Sohn eine der drei rund 90 Quadratmeter großen Wohneinheiten, die die Familie vor fünf Jahren in Stellingen gekauft hat. Im Juni erwarten die beiden ihr zweites Kind. „Die einzelnen Wohneinheiten sind nicht allzu üppig gestaltet. Als wir das Haus gekauft haben hieß es, eine Wohnraumerweiterung sei sowohl vom Bebauungsplan der Umgebung als auch statisch möglich.“ Bereits die Voreigentümer hätten eine Bauvoranfrage zu einer Aufstockung gestellt, die positiv beschieden wurde.

Eingentümerschaft plant Wohnraum im Dachgeschoss

Die Wohnungseigentümerschaft besteht aus insgesamt vier Parteien, einer im Vorder- sowie drei im Hinterhof. Die Hinterhofparteien erneuerten gemeinsam die Bauvoranfrage und erhielten die Antwort, dass eine Aufstockung grundsätzlich machbar sei. Für alle bedeute der hinzugewonnene Platz vor allem eins: eigene Kinderzimmer. Bei einer der Familien teilen sich momentan drei Kinder ein Zimmer.

Als im vergangenen Jahr bei einer der Parteien plötzlich Regen durchs Dach des erst zehn Jahre alten Hauses dringt und ein Sachverständiger es als „dringend sanierungsbedürftig“ einstuft, entscheiden die Familien, die Aufstockung in Angriff zu nehmen. „Wir haben dann gesagt, wenn wir jetzt eh das Dach machen müssen, dann können wir dem ganzen einen Mehrwert geben und die geplante Erweiterung gleich mitmachen“, sagt Purschke. Also wurde ein Architekt beauftragt, der ein Konzept entwickelte, das drei aufgesetzte Container als Staffelgeschoss vorsah.

Alle Parteien waren vom Entwurf begeistert

Alle Parteien seien von dem Entwurf begeistert gewesen und hätten sich auf die Ergänzung des fehlenden Wohnraums gefreut. Da bereits mehrere Bauvorbescheide genehmigt wurden, habe keiner damit gerechnet, dass das Vorhaben abgelehnt werden könnte. „Auch der Architekt hat mit Blick darauf, was der Neubebauungsplan für das Gebiet hergibt, kein Problem gesehen. Aufgrund der positiven Bauvorbescheide hatte er zudem keine Bedenken und uns geraten, direkt auf den Bauantrag zu zielen.“

Diesen reichten die Familien im Juli 2021 ein. Fünf Monate später folgte die Ablehnung. „Die Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung ist gefährdet“, heißt es in dem Bescheid des Bezirksamts Eimsbüttel, der dem Abendblatt vorliegt. Für die Erteilung oder Versagung der Genehmigung sei es dabei nicht entscheidend, „ob durch die konkrete Maßnahme die davon betroffenen Bewohner tatsächlich verdrängt werden. Es reicht vielmehr aus, wenn die Baumaßnahme generell geeignet ist, eine solche Verdrängungsgefahr auszulösen“, lautet die Begründung weiter.

Ablehnung für Familien "unsinning und rechtswidrig"

„Die Ablehnung der Genehmigung für die Familien ist unsinnig und rechtswidrig“, sagt Rechtsanwalt Jörg Hamann, der die Wohnungseigentümerschaft rechtlich vertritt. „Es ist nicht der Zweck einer sozialen Erhaltungsverordnung Familien zu vertreiben.“ Ziel der Sozialen Erhaltungsverordnung ist es, Verdrängungseffekten in Vierteln mit angespannten Wohnungsmärkten entgegenzuwirken und diese langfristig vor Gentrifizierung zu schützen. Wohngebäude in Gebieten der Sozialen Erhaltungsverordnung dürfen nur mit Genehmigungen abgerissen oder verändert werden. Luxussanierungen, die Mieterhöhungen zur Folge haben, soll damit entgegengewirkt werden. Auch die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen sowie die Änderung der Nutzungsart bedürfen einer Genehmigung.

In Hamburg gibt es laut Stadtentwicklungsbehörde derzeit 16 solcher geschützten Gebiete mit rund 317.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Sie liegen vor allem im innerstädtischen Bereich. Mit Barmbek-Nord, Barmbek-Süd und der Jarrestadt sind zuletzt im Dezember 2020 drei neue Gebiete hinzugekommen. Für das Gebiet Borgfelde mit rund 9000 Einwohnerinnen und Einwohnern werde derzeit geprüft, „ob die Voraussetzungen für den Erlass einer Sozialen Erhaltungsverordnung vorliegen“.

Rechtsanwalt befürchtet nun eine Klagewelle

Rechtsanwalt Hamann befürchtet eine Klagewelle. „Die sozialen Erhaltungsverordnungen werden in Hamburg falsch angewandt. Die Einschränkungen für die Eigentümer sind unverhältnismäßig.“ Die Genehmigungspflicht würde vielfach zu weit gehen. „Ich hatte Mandanten, die nur eine Trennwand zwischen zwei Zimmern entfernen wollten, um ein großes Zimmer zu schaffen. Das wurde abgelehnt.“ In einem anderen Fall sei die Vergrößerung eines Balkons abgelehnt worden. „Und das obwohl die Nachbarwohnungen selbst größere Balkone hatten.“ Wieder anderen sei der Einbau einer Gästetoilette nicht genehmigt worden. „Alles angebliche Verstöße gegen die soziale Erhaltungsverordnung“, so Hamann.

„Grundsätzlich ist die Schaffung neuen Wohnraums in Gebieten mit Sozialer Erhaltungsverordnung zu begrüßen und auch auf dem flächenschonenden Weg des Dachgeschossausbaus und der Aufstockung von Gebäuden genehmigungsfähig“, sagt eine Sprecherin der Stadtentwicklungsbehörde auf Anfrage. „Wenn aber durch ein solches Vorhaben die Grundrisse bestehender Wohnungen beeinflusst werden, muss wegen der strengen gesetzlichen Vorgaben vertieft im Einzelfall geprüft werden, ob und in welcher Form das jeweilige Bauvorhaben genehmigt werden kann.“

Prüfung und Entscheidung erfolgt durch Bezirksämter

Die Prüfung und Entscheidung der einzelnen Bauvorhaben erfolge in Hamburg durch die Bezirksämter. „Selbstverständlich müssen alle Spielräume genutzt werden, um Wohnraum zu erhalten und auszubauen.“ Die Bewohner der Wohnungseigentümerschaft warten derzeit auf einen Gesprächstermin mit dem Bauamt für eine Kompromisslösung. Doch die Zeit drängt. „Wir brauchen schnell eine Einigung, weil wir ja einen Schaden des Daches haben und der kann nicht länger warten“, sagt Familienvater Purschke. Bei Rechtsanwalt Hamann habe sich das Bezirksamt inzwischen mit der Aussage gemeldet, dass Lösungen gefunden werden sollen.

Sollte es nicht zu einer Einigung kommen, hätte das für die Familien weitreichende Folgen. „Dann werden wir verkaufen und wegziehen müssen“, so Purschke. „Dabei ist alles, was wir wollen, in unserem Eigentum wohnen und in unserem Viertel bleiben.“