Hamburg. Bernhard-Nocht-Institut erwägt, seinen Namen abzulegen. Was den Umgang mit Kolonial- und Nazi-Geschichte in Hamburg so schwierig macht.

Hafenarzt. Wer sich so nennen darf, hat in Hamburg Denkmalstatus. Es ist eine Institution, die mit dem Aufstieg der Stadt zur weltweit vernetzten Handelsmetropole zu tun hat. Und eng verknüpft ist mit den modernen Mitteln, alles Schädliche, Kranke fernzuhalten, das in der globalen Wirtschaft viral gehen könnte. Das reinkommt in den Hafen oder das sich Hamburger einfangen können, wenn sie in fernen, „exotischen“ Landstrichen Waren tauschen.

Bernhard Nocht (1857 bis 1945) war der Prototyp des Hafenarztes. Auf seinen Rat hörte der Senat in der Cholera-Epidemie 1892. Auf seine Empfehlung wurde im alten Hafenkrankenhaus ein zunächst kleines Forschungslabor eingerichtet.

Es entwickelt sich im Jahr 1900 zum Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten, wächst und „begleitet“ mit wissenschaftlicher Expertise auch den deutschen „Griff nach der Weltmacht“ (Prof. Fritz Fischer). Bernhard Nocht forscht daran, wie Kaufleute und Kolonialtruppen ihr Vorgehen „optimieren“ können. Er wird 1919 Professor für Tropenmedizin. Das Institut trägt ab 1942 seinen Namen. Kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs, am 5. Juni 1945, bringen er und seine Frau sich in Wiesbaden um. Je nach Lesart, weil sie sich mit dem Wiederaufbau überfordert sehen. Oder weil er sich unbequemen Fragen entziehen wollte.

Hamburg: Wird das Bernhard-Nocht-Institut umbenannt?

Hamburgs Kolonialgeschichte neu aufgerollt: Bernhard Nocht stieß die Gründung des Tropeninstitut in Hamburg am Hafen an und leitete es über viele Jahre. War er ein Rassist und Nazi-Unterstützer? Muss das Institut umbenannt werden?
Hamburgs Kolonialgeschichte neu aufgerollt: Bernhard Nocht stieß die Gründung des Tropeninstitut in Hamburg am Hafen an und leitete es über viele Jahre. War er ein Rassist und Nazi-Unterstützer? Muss das Institut umbenannt werden? © Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM)

Die kommen im Jahr 2022 wieder auf. Denn das nach ihm benannte, inzwischen zu weltweiter Reputation gelangte Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM) am Hamburger Hafenrand stellt sich der Geschichte seines Gründers. Wie andere namhafte Einrichtungen zuvor haben die aus etlichen Nationen stammenden Forscherinnen und Forscher einen kritischen Blick entwickelt auf ihren Namenspatron. Und auf seine Verwicklungen in die zeitgenössische Politik und ihre Denkschulen.

Eine Institutssprecherin bestätigte dem Abendblatt, dass man einen unabhängigen Historiker mit einem Gutachten beauftragen werde. Es gehe um die Figur Bernhard Nocht „im Kontext von Kolonialzeit und NS-Zeit“.

Im Institut und unter den rund 290 Mitarbeitern kursieren unter anderem diese Überlegungen: Der Name bleibt – wie gehabt oder als Anhang zu „Leibniz-Institut“ wie bei der renommierten Medienforschungseinrichtung, die jahrzehntelang Hans-Bredow-Institut hieß. Die Leibniz-Gemeinschaft ist generell sehr erpicht darauf, die angeschlossenen Institute unter ihrem „Label“ zu wissen. Oder Bernhard Nocht verschwindet gänzlich aus dem schriftlichen Erscheinungsbild des Hauses. Eine Entscheidung könnte in diesem Jahr fallen.

Heinrich-Pette-Institut legte Namen des Gründers ab

Die Corona-Pandemie hat den Blick geschärft auf die großen Hamburger Forscher, die die Grundlagen für unser Wissen über Viren, Infektionen, Epidemien und Pandemien gelegt haben.

Das Heinrich-Pette-Institut will sich wegen der NS-Vergangenheit seines Namensgebers umbenennen.
Das Heinrich-Pette-Institut will sich wegen der NS-Vergangenheit seines Namensgebers umbenennen. © Picture Alliance / dpa

Erst im vergangenen Jahr entschloss sich das Heinrich-Pette-Institut, den Namen seines Gründers abzulegen. Pette war einer der berühmtesten Hamburger Mediziner überhaupt. Als Neurologe am UKE forschte er nach dem Zweiten Weltkrieg in einem von ihm und seiner Frau Edith aufgebauten Institut unter anderem an Kinderlähmung und Multipler Sklerose. Die Erkenntnisse der Pettes waren bahnbrechend, das Paar Teil der Hamburger Gesellschaft.

Nach Pettes Tod 1964 erhielt die Forschungseinrichtung seinen Namen. Bevor das Institut sich entschloss, auf den Namen zu verzichten, gab es zwei historische Gutachten und einen neun Jahre währenden Recherche- und Diskussionsprozess.

Wenige Wissenschaftler kennen sich in der Medizingeschichte der Stadt so gut aus wie Prof. Philipp Osten vom UKE. Er residiert fachgerecht in einem Backsteinbau von Fritz Schumacher auf dem Gelände des Eppendorfer Uniklinikums. Osten kennt die Verdienste Bernhard Nochts – und dessen biografische Schatten. Der Hafenarzt entwickelte sich zu einer zentralen Figur des Hamburger Gesundheits-wesens. Nicht nur, weil er half, die Seuchen in Schach zu halten. „Zwischen 1906 und 1920 ist er auch oberster Medizinalbeamter Hamburgs. In dieser Rolle berichtete er 1918 auch über die Sektionen Tausender Opfer der Spanischen Grippe“, so Osten.

UKE-Medizinhistoriker Prof. Osten über Bernhard Nocht

Professor Philipp Osten vom Medizinhistorischen Institut des UKE
Professor Philipp Osten vom Medizinhistorischen Institut des UKE © Roland Magunia

Nocht ging es in der Kaiserzeit mit ihrem Kolonien-Hurra offenbar knallhart um die wirtschaftlichen und politischen Interessen des Reiches. Osten sagt: „Wie wenig die Gesundheit der einheimischen Bevölkerung berücksichtigt wurde, zeigt besonders anschaulich ein ,Bericht über seine Reise nach Deutschostafrika‘ aus dem Jahr 1911. Darin kritisierte Nocht die Praktik, das Malariamittel Chinin an Besatzer und Bevölkerung auszugeben, um damit alle Menschen gleichermaßen zu behandeln.“ Für Nocht sei die beste Malariabekämpfung „eine strikte Segregation“ von Wohnungen der Europäer und denen der „Farbigen“ gewesen.

Nocht schrieb: „Leider haben es die ärztlichen Ratgeber des Gouvernements nicht einmal erreichen können, dass die im Europäerviertel belegene Schule für Negerkinder, die bekanntlich die besten Lieferanten von Malariaparasiten für die Anophelesmücken der Umgebung sind, verlegt wird.“

Dieser Originalton klingt heute befremdlich. Er zeugt von grundüblem Rassismus. Nocht war ein Geisteskind seiner Zeit. Wollen Forscher heute mit dieser Haltung ihres Institutsgründers leben? Osten sagt, ein Ansatz bei einer historischen Neubewertung sei, „die Biografien der Täter offenzulegen und die Distanzierung deutlich zu machen“. Sein Vorbehalt: „Doch das gelingt selten.“ Osten sieht die Diskussionen um das koloniale Erbe und seine geistigen Strömungen erst am Anfang. In Hamburg wird seit einigen Jahren um das Bismarck-Denkmal gestritten, um Umbenennungen und Raubkunst. „Die Debatte um Namensgebungen ist nicht nur symbolisch. In der öffentlichen Wahrnehmung markiert sie oft einen ersten Schritt.“

Fehler in Gutachten über Heinrich Pette

Der Biochemiker und Sohn von Heinrich Pette, Prof. Dirk Pette, in seinem Haus am Bodensee
Der Biochemiker und Sohn von Heinrich Pette, Prof. Dirk Pette, in seinem Haus am Bodensee © Christoph Rybarczyk

Nocht setzte 1933 seine Unterschrift unter das „Bekenntnis der Professoren“ zu Hitler und NS-Staat. Das taten unter anderem auch Heinrich Pette, Ferdinand Sauerbruch oder Martin Heidegger. Steckte inbrünstige Überzeugung dahinter oder Opportunismus? Osten verweist darauf, dass Nocht bei Auftritten auch seinen Nachfolger Peter Mühlens vertreten habe. Mühlens war an Menschenversuchen in Krankenhäusern und im KZ Neuengamme beteiligt.

Von solchen Verbrechen ist bei Heinrich Pette nichts bekannt. Er war früh NSDAP-Mitglied, mehr auf Drängen seiner Frau denn aus Überzeugung. Pette wollte Karriere machen und hatte an anderen Beispielen gesehen, wie schon eine „falsche“ Bekanntschaft oder Verwandtschaft das im Nazi-Deutschland verhinderte. Pettes Berufung zum ordentlichen Hamburger Professor stand an, da verlor sein Schwager Erich Graetz in Berlin seinen Doktorgrad, wurde enteignet und ausgebürgert. Obwohl es Hinweise gibt, sah das historische Gutachten für das Institut keinen Beleg für eine teilweise jüdische Abstammung der Familie von Pettes Frau. Das hätte Pettes Verhalten in der Nazizeit womöglich relativiert.

In den Gutachten über Pette und in der Replik seines Sohnes Prof. Dirk Pette ist auch strittig, ob und wie detailliert Heinrich Pette von NS-Verbrechen wusste, wie willfährig er die Zwangssterilisationen befürwortete, die er begutachtete. 15 Fälle werden ihm zugeschrieben. In sieben soll er die Sterilisation empfohlen haben, in acht nicht.

Sohn Dirk Pette hat mittlerweile darauf hingewirkt, dass ein grober Fehler in der Begründung zur Namensablegung des Instituts korrigiert wurde. In einer Pressemitteilung hatte es im vergangenen Jahr geheißen: Heinrich Pettes Kontakte zu einem Mitorganisator der Euthanasie-Morde in der NS-Zeit seien Thema gewesen in einem Untersuchungsausschuss des schleswig-holsteinischen Landtages nach dem Krieg. Das ist falsch.

Dort wurden die Verstrickungen von Politikern und anderen mit dem SS-Verbrecher Werner Heyde untersucht. Heyde war aus alliierter Gefangenschaft entkommen und hatte unter dem Namen Fritz Sawade als Arzt gearbeitet – gedeckt von zahlreichen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Pette war nur Zeuge im Ausschuss und nicht verwickelt in Heydes/Sawades Kriegsverbrechen.

Noch immer sind Straßen nach Nazi-Ärzten benannt

All das zeigt, wie sorgfältig eine Umbenennung bedacht werden will. Noch immer sind in Hamburg Straßen nach Ärzten benannt, die offen und teilweise verbrecherisch für die Nazis arbeiteten. Theodor Heynemann und Theodor Fahr sind darunter. Historiker Osten weist darauf hin, dass in der Klinik des Gynäkologen Heynemann Tausende Frauen zwangssterilisiert worden seien, weil sie als „erbkrank“ eingestuft wurden. Beiden wurden in den 1960er-Jahren Straßen gewidmet.

Vorstandsvorsitzender Prof. Jürgen May vor dem Hauptgebäude des Bernhard-Nocht-Instituts am Hafen.
Vorstandsvorsitzender Prof. Jürgen May vor dem Hauptgebäude des Bernhard-Nocht-Instituts am Hafen. © Roland Magunia/Funke Foto Services

Osten sagt mit Blick auf Bernhard Nocht und die Namensdebatten: „Interessant ist, wie eine Gesellschaft sich dazu stellt. 1960 wurde nicht danach gefragt. Heute wird immerhin diskutiert, ob man sich mit solchen Straßennamen arrangiert oder ob der Respekt von den Opfern des Nationalsozialismus mehr Gewicht haben sollte. Immerhin hat Hamburg vor sieben Jahren beschlossen, in Zukunft keine Verkehrsflächen mehr nach Mitgliedern der NSDAP zu benennen.“

Ob das reicht für eine Vergangenheitsbewältigung? Im Bernhard-Nocht-Institut ist die Mitarbeiterschaft bunt. Der Name des Hauses ist eine Marke. Historiker Osten meint, dass er in der Identifikation der Mitarbeiter mitschwinge. Im Wettbewerb um kluge Köpfe könne das ein Nachteil sein. „Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind mobil. Sie kennen die Folgen von Rassismus oft sehr genau. Belastete Namen könnten als Bedenkenlosigkeit interpretiert werden.“