Hamburg. Beirat legt Eckpunktepapier für eine kritische Auseinandersetzung vor: Otto von Bismarck und die Kaufleute in neuem Licht.
„Ehre ihrem Andenken“ – diese drei Worte stehen militärisch knapp unter den Namen von „in Afrika“ gefallenen oder vermissten Soldaten aus Hamburg auf einer Gedenktafel im Innenraum von St. Michaelis. Seit 1912 wird so in der Hauptkirche indirekt an den Vernichtungskrieg gegen Hereros und Nama in den Jahren 1904 bis 1908 im damaligen Deutsch-Südwestafrika „erinnert“, für viele Historiker der erste Genozid des 20. Jahrhunderts. Die Opfer aufseiten der Herero und Nama finden bis heute keine Erwähnung.
Die Gedenktafel ist ein Beispiel für die unkommentierte Gegenwart des kolonialen Erbes in Hamburg. In Jenfeld stehen die umstrittenen „Askari-Reliefs“ unter Denkmalschutz, die mit Lothar von Trotha und Paul Lettow von Vorbeck zwei führende Militärs aus der Kolonialzeit zeigen. Von Trotha befahl die Vernichtung der Herero in den Jahren 1904 bis 1908, von Vorbeck war sein Mitstreiter.
In der Großen Reichenstraße (Altstadt) steht das „Afrika-Haus“ des Kaufmanns Adolph Woermann. Dessen Reederei sorgte 1904 für den Transport der deutschen Soldaten sowie von Kriegsgerät nach Südwestafrika. Eine Gedenkstätte, die an die Opfer der brutalen Kolonialgeschichte erinnert, fehlt in Hamburg jedoch bis heute.
Wie soll Hamburg das schwierige Kolonialerbe aufarbeiten?
Senat und Bürgerschaft haben sich bereits 2014 entschieden, das schwierige Kolonialerbe umfassend aufzuarbeiten – damals als erste deutsche Metropole. Ein wichtiger Baustein war die Einrichtung eines „Beirats zur Dekolonisierung Hamburgs“. Der 14-köpfige Beirat, in dem vor allem Vertreter der Black Communities and People of Color (BPoC) sitzen, hat jetzt ein achtseitiges Eckpunktepapier vorgelegt, das Grundlage für ein „dekolonisierendes Erinnerungskonzept“ sein soll.
„Hamburg war als Hafenstadt über Jahrhunderte eine der einflussreichsten Kolonialmetropolen Europas. Der Stadtstaat arbeitete wirtschaftlich eng mit den Metropolen entlang der Atlantikküste und den Handelszentren im Osten Europas zusammen“, heißt es in dem Papier des Beirats.
Die besondere Mitverantwortung für den Genozid
Mit dem damals „zur Kolonialmacht Dänemark gehörenden Hafenstadt Altona“ sei Hamburg „auch im transatlantischen Menschenhandel verstrickt“ gewesen. Es sei die Hamburger Kaufmannschaft gewesen, die mit ihren „Flottenpetitionen“ das Deutsche Reich bewogen habe, Kolonien zu gründen.
„Hamburger Akteure, insbesondere aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft, waren an der Durchführung des Genozids an den Herero und Nama beteiligt. Daher steht Hamburg in besonderer Verantwortung, seine koloniale Geschichte selbstkritisch aufzuarbeiten“, so der Beirat. „Fragen nach Anerkennung, Entschuldigung, Entschädigung, Versöhnung und würdiger Erinnerung der Opfer von Kolonialkriegen und Kolonialverbrechen sind dabei von zentraler Bedeutung.“
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Nach dem Willen des Beirats sollen „würdige Formen und Orte des dekolonisierenden Erinnerns und Gedenkens“ entwickelt werden. Der öffentliche Umgang mit den kolonialen Denkmälern, zu denen der Beirat auch das Bismarck-Denkmal im Alten Elbpark zählt, sei „häufig verharmlosend, bisweilen kolonialapologetisch“ und befördere damit „koloniale Amnesie“.
Aufarbeitung des Kolonialismus: Museen im Mittelpunkt
Museen und Gedenkstätten stehen derzeit vielfach im Mittelpunkt der Debatte um Aufarbeitung des Kolonialismus. Dabei geht es aus Sicht des Beirats um mehr als Provenienzforschung und die Rückgabe von Kunstwerken.
Es gelte, „die eingeübten, eurozentristischen Blick- und Zeigeregime aufzubrechen“. Die Autoren sehen auch die christlichen Kirchen in der Verantwortung, wie das Beispiel der Gedenktafel im Michel zeige. „Zudem waren Missionare häufig die kolonialen Pioniere vor Ort, die als Übersetzer und Mittelsmänner den Aufbau der Kolonialverwaltung vorbereiteten“, heißt es in dem Eckpunktepapier.
„Ich habe die Hamburger Behörden eingeladen, zusammen mit dem Beirat dieses Papier zu einem stadtweiten Erinnerungskonzept auszuarbeiten“, sagt Kultursenator Carsten Brosda (SPD). „Mit der Entwicklung des dekolonisierenden Erinnerungskonzepts erkennt Hamburg seine Rolle und historische Verantwortung an“, sagen die Beiratsmitglieder Kodjo Valentin Gläser (Initiative Schwarze Menschen in Deutschland) und Jonas Prinzleve.