Hamburg. Birte Lorenzen-Herrmann spricht täglich mit ihrem Mann Boris Herrmann, der gerade um die Welt segelt - auch über Einsamkeit und Angst.
Seit Anfang November nimmt der Hamburger Boris Herrmann mit seiner Rennyacht „Seaexplorer“ an der Vendée Globe teil, einer der härtesten Segelregatten überhaupt. Dabei fährt er nonstop und alleine ein Mal um die ganze Welt. Allein? Nicht ganz. Denn in Gedanken ist seine Frau Birte immer bei ihm. Und nicht nur in Gedanken. Wie die junge Mutter die vergangenen Woche erlebt hat, erzählt sie dem Abendblatt.
Nun ist Ihr Mann seit etwa neun Wochen auf See. Wie geht es Ihnen?
Birte Lorenzen-Herrmann: Uns geht es hier erstaunlich gut, muss ich sagen. Meine kleine Tochter und ich pendeln regelmäßig zwischen Hamburg und Kiel hin und her. Dort leben meine Eltern, deren Hilfe ich ehrlich gesagt im Moment viel in Anspruch nehme. Ich versuche außerdem hier und dort mit Freunden zumindest draußen spazieren zu gehen, so bin ich nicht so einsam.
Wie muss man sich Ihren Alltag im Moment vorstellen?
Birte Lorenzen-Herrmann: Im Grunde genommen wie den ganz normalen Alltag einer jungen Mutter. Wir versuchen viel draußen zu sein, auch am Meer. Nur die Nächte sind hin und wieder herausfordernd. Aber meine Eltern helfen mir so liebevoll, dass ich auch schon die eine oder andere Nacht schlafen durfte. Ohne sie wäre es im Moment ungleich schwerer.
Wie halten Sie Kontakt zu Ihrem Mann mitten auf dem Ozean?
Birte Lorenzen-Herrmann: Wir sind von Anfang an in einem engen Austausch, telefonieren mindestens einmal am Tag länger, oft sogar mehrfach. Das funktioniert über WhatsApp erstaunlich gut. Die Stimme des anderen kommt immer etwa so zwei Sekunden verzögert an. Also muss man ihn ganz aussprechen lassen, aber das macht das Gespräch auch ruhiger und schöner. Mein Mann hat einen Pilotenkopfhörer, der den Lärm herausfiltert, also kann er alles ganz wunderbar hören.
Wie wichtig sind diese Gespräche für Sie?
Birte Lorenzen-Herrmann: Wir nehmen uns viel Zeit für diese Gespräche. Sie sind uns sehr wichtig. Ihm gibt es Kraft, meine Stimme zu hören – und natürlich die seiner kleinen Tochter. Oftmals denkt er einfach laut, und ich höre ihm dabei zu. Und natürlich sagen wir uns immer, wie es uns geht. Wir haben uns vor dem Projekt versprochen, dass wir ganz ehrlich sein und keine Gefühle zurückhalten wollen – und ich habe das Gefühl, dass es bisher sehr gut funktioniert. Deshalb ruft er auch einfach so an, wenn es ihm gerade mal nicht gut geht oder er sich einsam fühlt. Und oft kommen wirklich tiefgründige Gespräche zustande.
Wie gehen Sie beide damit um, dass er gerade so viel vom Leben mit Ihrer kleinen Tochter verpasst?
Birte Lorenzen-Herrmann: Ach, das geht ja auch anderen Vätern so. Und Kinder kommen, wann sie kommen, haben wir uns im Vorfeld gesagt. Wir versuchen jetzt, so viel wie möglich, ihn mit einzubinden. Also lassen wir ihn einfach am Telefon an unserem Leben an Land teilnehmen. Da ist er dann dabei, wenn unsere kleine Tochter spielt und lustige Laute von sich gibt. Oder auch, wenn sie mal weint. Diese kleinen Dinge, eigentlich vielleicht Belanglosigkeiten, sind uns beiden jetzt sehr wichtig. Außerdem versuche ich alles in Videos festzuhalten. Zumindest kurze Sequenzen kann ich ihm dann auch zuschicken. Und dann singt er ihr immer wieder Lieder am Telefon vor. Macht lustige Geräusche oder andere Dinge, die sie animieren. Ich habe absolut das Gefühl, dass sie seine Stimme erkennt, so wie sie auf ihn reagiert.
Ocean Challenge |
Birte Lorenzen-Herrmann ist seit dem vergangenen Jahr mit dem Extremsegler Boris Herrmann verheiratet, der derzeit an der Vendée Globe, der härtesten Regatta um die Welt, teilnimmt. Im Sommer wurden die beiden Eltern der kleinen Marie-Louise. Birte Lorenzen-Herrmann war zuvor zuständig für das Bildungsprogramm des Seglers, derzeit befindet sie sich in Elternzeit.„My Ocean Challenge“ ist ein kostenloses internationales Unterrichtsprogramm, das sich an acht bis elfjährige Kinder und Lehrer richtet. Hierbei geht es um ozeanbezogene Themen, die für den Schulunterricht kindgerecht aufgearbeitet sind. Das Ziel des Programms, das Herrmann und seiner Frau am Herzen liegt, ist es, das Bewusstsein der Kinder für den Ozean und den Klimawandel zu schärfen. Derzeit dürfen die teilnehmenden Klassen unter anderem in Videokonferenzen Boris Herrmann zu seinem Leben an Bord befragen (das Abendblatt berichtete). Und sollte sich die Yacht einmal in einem Hafen in der Nähe einer der teilnehmenden Schulen befinden, können die Kinder sogar an Bord des Schiffes gehen.„My Ocean Challenge“ gibt es seit Anfang 2018. Bisher haben über 22.000 Kinder aus acht Ländern bereits teilgenommen. Die Unterrichtsmaterialien sind bereits in acht verschiedene Sprachen übersetzt, weitere sollen folgen. Alle Infos unter: myoceanchallenge.org |
Was berichtet Ihnen Ihr Mann, was man sonst vielleicht nicht so über ihn liest?
Birte Lorenzen-Herrmann: Mein Mann sagt, dass er sich die Vendée Globe nicht so hart vorgestellt hat. Er hätte nicht erwartet, dass es ihm doch so viel abverlangt, dabei hat er ja schon die eine oder andere Weltumsegelung hinter sich. Es sei unfassbar hart, sagt er. Und er ist kein Mensch, der klagt. Solche Ausdrücke habe ich vorher von ihm noch nie gehört. Also heißt das, dass es wirklich heftig da draußen ist.
Es gab ja auch durchaus schon gefährliche Situationen, zum Beispiel, als Ihr Mann in den Mast klettern musste. Oder als er an der Rettungsaktion des schiffbrüchigen Kevin Escoffier beteiligt war. Wie haben Sie diese Momente erlebt?
Birte Lorenzen-Herrmann: Das Klettern in den Mast war wirklich schlimm für ihn. Das sind immerhin 30 Meter und das bei Wellengang. Danach musste ich ihn erst einmal wieder aufbauen, das hatte ihn viel Kraft gekostet. Bei der Rettungsaktion für Kevin habe ich ihn in der Nacht angerufen und er meinte: Bitte tu mir den Gefallen und rufe mich jetzt nicht mehr an. Ich muss mich jetzt mit aller Kraft auf die Suche konzentrieren und die Leitung frei halten. Ich habe ihn dann nur gebeten: Pass auf dich auf – und aufgelegt. Hinterher war mein Einsatz gefragt. Boris hat das sehr mitgenommen, es ging ihm psychisch nicht gut. Ich habe eine ganze Zeit gebraucht, um ihn wieder aufzurichten.
Wie gehen Sie damit um, dass Ihr Mann sich eigentlich permanent großen Gefahren aussetzt? Können Sie überhaupt ruhig schlafen?
Birte Lorenzen-Herrmann: Einerseits habe ich in meinem Alltag mit der Kleinen gar nicht so viel Zeit nachzudenken. Deshalb ist es sicherlich auch ein großes Geschenk, ein Kleinkind versorgen zu müssen. Ich habe eine Aufgabe, die mich permanent fordert, erlebe hier mein eigenes kleines Abenteuer. Andererseits bin ich emotional ganz eng bei dem Rennen dabei, erlebe alles hautnah mit. Aber Angst um Boris habe ich nicht. Ich habe immer wieder erlebt, wie intuitiv er sich auf dem Schiff bewegt. Er spricht ja auch von „wir“, wenn er von sich und der Jacht spricht. Sie ist wie sein Partner. Und deshalb hat er mir auch versprochen, dass er alles dafür tut, heil mit dem Schiff zurückzukommen. Allein, weil er es aus ökologischen Aspekten nicht richtig fände, das Schiff aus lauter Ehrgeiz kaputt zu segeln. Er würde also sportlich gesehen nie ein echtes Risiko eingehen. Das weiß ich, das gibt mir viel Sicherheit. Und dazu habe ich mir vorgenommen, mir nicht zu viel Sorgen zu machen, weil ich meine Kräfte für die Kleine brauche. Sorgen schwächen einen, und ich brauche selbst gerade all meine Kraft.
Wird die Reise Ihren Mann verändern und damit vielleicht auch Ihre Partnerschaft?
Birte Lorenzen-Herrmann: Bisher haben wir beide den Eindruck, durch diese Zeit noch enger zusammen geschweißt zu werden. Ich habe das Gefühl, dass er nach wie vor der Alte ist. Bisher haben wir es auch geschafft, uns gegenseitig keine Vorwürfe zu machen, so mach dem Motto: Nie bist du da. Und das hat ausgesprochen gut geklappt. Wir haben nämlich festgestellt, dass es bei mir viele Parallelen zu dem Leben meines Mannes auf See gibt. Ich erlebe mit dem Baby meine Höhen und Tiefen. Habe viele anstrengende Momente, aber auch unendlich schöne und bewegende. Genauso geht es Boris draußen, stellen wir immer wieder fest. Wir wertschätzen also gegenseitig die Leistung des anderen. Aber sicher ist auch, dass eine solche Reise nicht spurlos an einem vorbeigeht, allerdings im positiven Sinne. Boris ist die Bedeutung seiner Familie noch einmal mehr deutlich geworden da draußen in der Einsamkeit. Er vermisst uns so sehr. Und sehnt sich nach einem Alltag mit uns.
Lesen Sie auch:
- Herrmann nach Bruch an Bord Siebter bei Nordatlantik-Rennen
- Boris Herrmann: „Noch nie habe ich es so heulen hören“
- Boris Herrmann: Nur "Spike" erinnert mich ans Festland
Gibt es schon jetzt eine tiefere Erkenntnis aus diesen emotional sehr anstrengenden Wochen?
Birte Lorenzen-Herrmann: Wir üben uns beide gerade sehr darin, den Moment so anzunehmen, wie er ist. Das gelingt uns nicht immer, aber immer besser. Und wenn es einem gelingt, erlebt man eine unglaublich schöne innere Ruhe. Diese Erkenntnis wollen wir uns auch nach dem Projekt unbedingt bewahren.
Wo wir beim Thema Planbarkeit sind. Werden Sie nach Frankreich fahren, um Ihren Mann dort zu im Ziel der Vendee Globe zu begrüßen?
Birte Lorenzen-Herrmann: Um ehrlich zu sein, ich habe es noch nicht endgültig entschieden. Das liegt an der Corona-Pandemie, aber natürlich auch an unserer kleinen Tochter. Bei der Abreise sind wir nicht mit nach Frankreich gekommen – und das war auch gut so. Wir müssen schauen, wie die Lage ist, wenn er ankommt und dann spontan entscheiden. Außerdem versuchen wir als Team auch aus ökologischen Gründen jede unnötige Reise zu vermeiden – und gewissermaßen würde diese ja dazu gehören.
Wie sehen Ihre konkreten Pläne für die kommenden Wochen und Monaten bei Ihnen aus?
Birte Lorenzen-Herrmann: Erst einmal muss Boris jetzt heil zurückkommen. Dann wird es sicherlich eine echte Herausforderung sein, aus den Monaten unter höchstem Adrenalin in eine Ruhe in Corona-Zeiten zu finden. Und wir drei müssen uns als Familie neu finden, als Eltern um unser kleines Kind noch einmal ganz neu sortieren. Ich denke, zum Ausgleich wird Boris so manches Mal ans Meer zum Kiten fahren. Klingt vielleicht etwas verrückt, aber das hat er schon immer zum Ausgleich gebraucht, egal wie kalt das Wasser ist.