Hamburg. Grausame Morde und Mordversuche erschütterten Hamburg. Manch Kriminalfall hatte aber auch unterhaltsamen Charakter.
Der antisemitische Anschlag auf einen jüdischen Studenten vor einer Hamburger Synagoge. Der vermisste Brasilianer, dessen Leiche Monate später in einer Wohnung eines 46-Jährigen in der Neustadt entdeckt wurde. Der Familienvater, der seinen Sohn und seine Frau angezündet hat. Schreckliche Fälle wie diese haben in Hamburg und Norddeutschland 2020 für Entsetzen gesorgt. Aber auch Verstöße gegen die Corona-Auflagen lieferten ungewohnte Schlagzeilen, allen voran der Umtrunk von Innensenator Andy Grote (SPD).
Auch aus Akademikern können unter Umständen Kriminelle werden. Bei einer der größten Razzien der Hamburger Staatsanwaltschaft überhaupt waren im Februar knapp 500 Polizisten und Ermittler im Einsatz. Jetzt wird geprüft, ob es in Hamburg eine Apotheker-Mafia gab.
Und dann waren da noch die aufsehenerregenden Prozesse, die zum Teil sehr ernste Hintergründe haben. Da trug das Verfahren gegen einen Rapper der 187 Strassenbande schon fast zur öffentlichen Belustigung bei.
Verbrechen, Vergehen, Prozesse in Hamburg 2020:
- Jüdischer Student vor Hamburger Synagoge attackiert
- Vermisste Brasilianer getötet: Er lag monatelang in einer Wohnung
- Corona: Umtrunk-Affäre von Andy Grote sorgt für Empörung
- Bordellspaß und Pokerrunde trotz Corona: Polizei schreitet ein
- Familiendrama in Lurup: Vater zündet Sohn und Ex-Frau an
- Ex-KZ-Wachmann wegen Beihilfe zum Mord in 5232 Fällen verurteilt
- 41-Jähriger missbraucht sieben Mädchen in Hamburg
- Haftstrafe für Gzuz von 187 Strassenbande – Richter zeigt klare Kante
- Schneidermeister tötet Rentner – offenbar mit einem Stück Stoff
- Ein fast ein filmreifer Coup: Überfall auf Lkw mit 1,1 Tonnen Kokain
Jüdischer Student vor Hamburger Synagoge attackiert
Der mutmaßlich antisemitische Anschlag auf den jüdischen Studenten vor der Hamburger Synagoge an der Hohen Weide Anfang Oktober hat Menschen in Hamburg und ganz Deutschland erschüttert. Der Täter hatte den 26-Jährigen, der zum Laubhüttenfest in die Synagoge wollte, mit einem Klappspaten attackiert und lebensgefährlich verletzt – weil er eine Kippa trug. Der 29-Jährige mit kasachischen Wurzeln war nach der Tat am 4. Oktober auf richterliche Anordnung in einer psychiatrischen Klinik untergebracht worden. Nach Polizeiangaben hatte er bereits bei seiner Festnahme einen „extrem verwirrten“ Eindruck gemacht.
Die Generalstaatsanwaltschaft will noch vor Jahresfrist über eine Anklage entscheiden, hieß es Anfang November. Neben einer Anklage wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung kommt wegen des geistigen Zustandes des Beschuldigten auch eine sogenannte Antragsschrift im Sicherungsverfahren infrage. Der 29-Jährige trug während der Tat eine Bundeswehruniform – in seiner Hosentasche war ein Zettel mit einem handgemalten Hakenkreuz gefunden worden.
Landesrabbiner Shlomo Bistritzky zum Anschlag in Hamburg:
Vermisster Brasilianer getötet: Er lag monatelang in einer Wohnung
Der Vermisstenfall beschäftigte die Hamburger Polizei monatelang. Dann kam die traurige Gewissheit: Der Brasilianer Matheus A. ist tot und das schon seit Langem. Das letzte Lebenszeichen des 29-Jährigen gab es im September 2019. Sein bereits stark verwester Leichnam wurde jedoch erst vier Monate später im Januar in einer Wohnung in der Neustadt gefunden.
Der als zuverlässig geltende Informatiker war zunächst nicht mehr zur Arbeit erschienen. Nachdem Matheus A. dann im Oktober eine lange geplante und bereits bezahlte Reise in sein Heimatland nicht antrat, wurde der Verdacht größer, er könnte einer Straftat zum Opfer gefallen sein.
Ob der 46-jährige Mann, in dessen Wohnung Matheus A. gefunden wurde, ein Mörder ist, wird derzeit vor Gericht geklärt. Laut Staatsanwaltschaft hat der Angeklagte dem Brasilianer einen potenziell tödlichen Cocktail aus Ecstasy und Amphetaminen verabreicht. Er soll seinen Besucher demnach heimlich unter Drogen gesetzt und dann versucht zu haben, den betäubten Mann sexuell zu missbrauchen. Zudem wurde den Ermittlungen zufolge mit erheblicher Gewalt auf Mund und Nase des Brasilianers eingewirkt. Der Prozess wird fortgesetzt.
Corona: Umtrunk-Affäre von Andy Grote sorgt für Empörung
„Komm, gehen wir groten!“ Das hätte noch vor einem Jahr niemanden etwas gesagt. Heute weiß wohl so ziemlich jeder, was damit gemeint ist: gemeinsame Kneipenbesuche oder Partys in Corona-Zeiten. So wie Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) es am 10. Juni praktiziert hat, als er mit 30 (Partei-)Freunden seine erneute Vereidigung als Innensenator in einem Club in der HafenCity gefeiert hatte.
Später hatte er betont, die Zusammenkunft sei mit der geltenden Corona-Verordnung vereinbar gewesen, da es sich um eine „gemeinsame Verabredung zu einem Gastronomiebesuch“ gehandelt habe. Zudem sei die Musik nicht sehr laut gewesen, die Stimmung nicht ausgelassen und der Alkoholkonsum maßvoll.
Tschentscher nimmt Stellung zu Grotes Umtrunk:
Die Bußgeldstelle sah den Umtrunk dennoch anders: Grote musste schließlich 1000 Euro Bußgeld zahlen, weil die Veranstaltung eben nicht mit den von ihm selbst mit erlassenen Regeln vereinbar war. Er selbst entschuldigte sich mehrfach für seinen "dummen Fehler", der ihm jede Menge Schlagzeilen einbrachte. Und obendrein spendete er weitere 1000 Euro an die Corona-Hilfe der evangelischen Stiftung Alsterdorf. Die nächste Zusammenkunft dürfte sich der Innensenator sicher sehr genau überlegen, bevor aus einem Anstoßen mit Parteifreunden erneut eine Umtrunk-Affäre wird...
Bordellspaß und Pokerrunde trotz Corona: Polizei schreitet ein
Sich an die Corona-Regeln zu halten, fiel und fällt vielen Menschen nicht leicht. Nicht nur Andy Grote, sondern auch viele andere Hamburger zahlten 2020 ein Bußgeld, da sie gegen die Auflagen verstießen. Einige lösten sogar einen Polizeieinsatz aus. So wie die Prostituierten, die ihrem Gewerbe trotz Corona in einem Bordell in Harburg nachgingen. Anwohner hatten sich bei der Polizei über das Treiben beschwert. Das Ergebnis: drei Ordnungswidrigkeitsverfahren, die insgesamt mit 10.000 Euro Bußgeld belegt waren.
In Altona flog Ende November eine illegale Pokerrunde im alten "Club 77" auf – durch einen anonymen Tipp. Polizisten stießen in den Räumen des ehemals berüchtigten Clubs auf 22 „Zocker“, die um hohe Summen pokerten. Es wird wegen illegalen Glücksspiels ermittelt. Zudem gab es Ordnungswidrigkeitsanzeigen wegen des Verstoßes gegen die Corona-Eindämmungsverordnung.
Polizei Hamburg sprengt vor Heiligabend illegale Pokerrunde
Und dann einen Tag vor Heiligabend noch das: Polizisten stürmten im Bezirk Wandsbek eine Halle, in der sich eine vermutlich 24-köpfige Glücksspielrunde eingefunden hatte. Poker-Chips auf dem Tisch, Shisha-Pfeife, reichlich Alkohol und Pizza in Pappkartons vom Lieferdienst in Griffweite. Auf dem Parkplatz standen "besternte" Coupés und Limousinen, auch mit Kennzeichen aus dem Hamburger Umland.
Familiendrama in Lurup: Vater zündet Sohn und Ex-Frau an
Es ist kaum vorstellbar, welchen Hass der Familienvater verspürt haben muss, als er seinen Sohn, seine Tochter und seine Ex-Frau mit Benzin überschüttete und die Flüssigkeit entzündete. Die Tat vom 1. Mai, als der Mann offenbar seine Familie auslöschen wollte, hat in Hamburg für großes Entsetzen gesorgt.
Durch eine List verschaffte er sich Zutritt zu der Wohnung der von ihm geschiedenen Ehefrau und der gemeinsamen Kinder in Lurup. Dort soll der heute 50-Jährige seiner Ex-Frau mit einem Rasiermesser dreimal in Hals und Nacken gestochen haben. Der zehn Jahre alte Sohn sprang darauf seinem Vater gegen den Rücken, um seine Mutter zu beschützen.
Familienvater zündet Sohn und Ex-Frau an:
Familiendrama: Vater zündet Sohn und Ex-Frau an
Dann griff der Familienvater zum Benzin. Sein Sohn und seine Ex-Frau standen in Flammen, entkamen nur knapp dem Tod durch das Feuer. Doch sie wurden so schwerwiegend verletzt, dass sie wohl den Rest ihres Lebens leiden werden – körperlich und psychisch. Auch die Tochter erlitt schwere Verletzungen.
Seit November muss sich der 50-Jährige unter anderem wegen mehrfachen versuchten Mordes vor Gericht verantworten. Zu den Vorwürfen hat der Familienvater bislang geschwiegen.
An einem Dezember-Wochenende gab es vor allem wegen familieninternen Streits zwei Tötungsdelikte und ein versuchtes. In Wandsbek wurde eine Frau von ihrem Sohn getötet, in Farmsen ein Mann von seinem Sohn lebensgefährlich verletzt.
Ex-KZ-Wachmann wegen Beihilfe zum Mord in 5232 Fällen verurteilt
Mitte August wurde nach vielen Monaten ein Strich unter den Stutthof-Prozess in Hamburg gezogen – mit der Nachricht, dass das Urteil gegen Ex-KZ-Wachmann Bruno D. rechtskräftig ist. Eine Jugendstrafkammer des Landgerichts Hamburg hatte den 93-jährigen Angeklagten, der von August 1944 bis April 1945 als SS-Wachmann im Konzentrationslager Stutthof eingesetzt war, am 23. Juli wegen Beihilfe zum Mord in 5232 Fällen sowie wegen Beihilfe zum versuchten Mord zu einer zweijährigen Jugendstrafe zur Bewährung verurteilt.
Gegen das Urteil war innerhalb der einwöchigen Rechtsmittelfrist zunächst von zwei Vertretern der Nebenkläger und dann auch für den Angeklagten Revision eingelegt worden. Doch die Rechtsmittel der Revision wurden zurückgenommen.
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41-Jähriger missbraucht sieben Mädchen in Hamburg
Der Fall hatte im Sommer in Hamburg für Aufsehen gesorgt und vor allem Eltern schockiert: Im Juni hatte ein 41-Jähriger nahe der Grundschule Windmühlenweg in Groß Flottbek und in Wilhelmsburg mehrere Mädchen im Alter zwischen sechs und elf Jahren in verdächtiger Weise angesprochen und zum Teil sexuell missbraucht. Allein in Groß Flottbek fielen ihm im Verlauf des 11. Juni fünf Mädchen zum Opfer, drei Tage später verfolgte er zwei Schwestern bis zu deren Wohnhaus.
Bei dem 41-Jährigen handelt es sich um einen Wiederholungstäter, der im Dezember vom Landgericht zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt wurde. Die Polizei war dem Mann per Handy-Ortung auf die Spur gekommen. In drei Fällen, so stellte das Gericht fest, nahm er sexuelle Handlungen an sich vor. In zwei weiteren Fällen berührte er die Mädchen unsittlich.
Haftstrafe für Gzuz von 187 Strassenbande – Richter zeigt klare Kante
"Wer, wenn nicht Sie, gehört in den Knast?" Im Prozess gegen den Gangsta-Rapper Gzuz von "187 Strassenbande" fand der Amtsrichter Johann Krieten sehr deutliche Worte – Ende September sprach er sein Urteil und schickte Gzuz, der mit bürgerlichem Namen Kristoffer Klauß heißt, für 18 Monate ins Gefängnis. Zudem muss der Frontmann von "187 Strassenbande" eine Geldstrafe in Höhe von 510.000 Euro zahlen. Das war die Quittung für den Rapper, den das Gericht unter anderem wegen Körperverletzung, der Verwendung explosionsgefährlicher Stoffe, Drogenbesitzes und Verstoßes gegen das Waffengesetz verurteilte.
Obendrein gab der Richter ihm noch ein paar Worte mit auf den Weg: „Sie sind ein Sozialrüpel. Sie missachten die Regeln des sozialen Miteinanders auf das Übelste." Gzuz schien das wenig zu beeindrucken. Und: Direkt nach der Urteilsbegründung, als sich der Hamburger Rapper zusammen mit seinem Anwalt einen Weg durch die wartenden Kamerateams bahnte, kündigte der Verteidiger Rechtsmittel gegen das Urteil an.
Schneidermeister tötet Rentner – offenbar mit einem Stück Stoff
Der 54-jährige Schneidermeister hatte die Tat heimtückisch geplant: Unter dem Vorwand, eine Nähmaschine bei dem 83-jährigen Wilhelmsburger Rentner kaufen zu wollen, verschaffte sich der Mann im März Zutritt zu der Wohnung des gut situierten Opfers. Als der Rentner sich über die Maschine beugte, überrumpelte der Schneidermeister den älteren Herrn und strangulierte ihn – sehr wahrscheinlich mit einem Stück Stoff. Anschließend durchsuchte er die Wohnung und flüchtete mit fast 100.000 Euro.
Zwei Tage nach dem Raubmord wurde der 83-Jährige in seiner Wohnung an der Mokrystraße gefunden. Im November wurde der 54-Jährige wegen der Tötung des Rentners zu lebenslanger Haft verurteilt. Darüber hinaus erkannte die Kammer die besondere Schwere der Schuld des Angeklagten, was eine vorzeitige Entlassung aus dem Gefängnis nach 15 Jahren praktisch unmöglich macht. Das Motiv des 54-Jährigen war laut Gericht eine schwierige finanzielle Situation – unter anderem hatte der Sohn des Mannes Spielschulden angehäuft.
Ein fast filmreifer Coup: Überfall auf Lkw mit 1,1 Tonnen Kokain
Es sollte ein grandioser, ein filmreifer Coup werden mit einem gigantischen Gewinn: Doch anstatt 1,1 Tonnen Kokain (Straßenverkaufswert: 160 Millionen Euro) in Hamburg in ihren Besitz zu bringen und schwer reich zu werden, bekamen die acht Mitglieder einer Bande 2020 schließlich vor allem eins: hohe Gefängnisstrafen.
Ende Mai, am 54. Hauptverhandlungstag, erging das Urteil gegen die Männer. Der Kopf der Bande, der zur Rockergruppe Hells Angels gezählt wird, erhielt mit zehn Jahren Haft die höchste Strafe. Gegen die anderen Angeklagten der sogenannten "Osdorf-Connection" verhängte das Gericht Strafen von dreieinhalb Jahren bis zu acht Jahren und neun Monaten Haft.
Die Drogen waren verborgen zwischen 40 Tonnen Gelatine per Seeweg in einem Container von Brasilien nach Hamburg transportiert worden. Im November 2019 wurde dieser im Hamburger Hafen auf einen Lkw verladen. Der ausgeklügelte Plan der Bande: Die Zollabfertigung abwarten, sich als Polizisten ausgeben und die wertvolle Fracht bei einer fingierten Kontrolle an sich bringen. Das gelang ihnen auch reibungslos.
Doch als Bandenmitglieder den Lkw entluden und das Kokain in einer Lagerhalle verstauten schlugen Spezialkräfte der Polizei zu. Damit war der Traum vom Reichtum ausgeträumt. Auf die Schliche war die Polizei den Männern durch die Überwachung eines der Bandenmitglieder gekommen – diesem wurde in einem anderen Verfahren der Handel mit 50 Kilogramm Marihuana vorgeworfen.