Hamburg. Sönke Fock, Chef der Arbeitsagentur, über die Aussichten für 2018 und seine Ideen, wie Ungelernte zu einer Stelle kommen können.

Weniger Arbeitslose und immer mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Hamburg: Dieser Trend wird sich wohl auch im kommenden Jahr fortsetzen. Das Abendblatt sprach mit Sönke Fock, dem Geschäftsführer der Agentur für Arbeit in der Hansestadt, über die Gründe für den Job-Boom, die Integration von Flüchtlingen und die Frage, ob bald Vollbeschäftigung erreicht werden kann.

Kommentar: Viele Jobs, viele Probleme

Wie wird sich der Arbeitsmarkt in Hamburg im kommenden Jahr entwickeln?

Sönke Fock: Ich bin zuversichtlich, dass sich die positive Entwicklung des Jahres 2017 wiederholen wird. Erstmals seit 24 Jahren hatten wir im Jahresdurchschnitt weniger als 70.000 Arbeitslose. 2018 kann mit einem weiter sinkenden Niveau bei der Arbeitslosigkeit gerechnet werden. Ich gehe im Durchschnitt von noch einmal 1000 Arbeitslosen weniger aus, also etwa 68.500 im Schnitt – wenn die Rahmenbedingungen so bleiben. Außerdem hat der Hamburger Arbeitsmarkt eine hohe Dynamik. Allein 58.000 arbeitslose Hamburger konnten innerhalb eines Jahres eine neue Stelle antreten.

Was spricht für die positive Entwicklung im nächsten Jahr?

Fock: Viele Wirtschaftsforschungsinstitute erwarten ein Wachstum von zwei Prozent oder leicht darüber. Die konjunkturelle Dynamik ist also hoch, und Hamburg profitiert aufgrund seines Branchenmixes davon besonders. Die insgesamt weiter gestiegene Beschäftigungszahl und die Verringerung der Arbeitslosigkeit stärken auch die Binnennachfrage. Gleichzeitig sehen wir keine Zunahme der Risiken. Es gibt weder mehr Kurzarbeit, noch sind in Hamburg Massenentlassungen angekündigt.

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Wie viele Flüchtlinge werden auf den Hamburger Arbeitsmarkt strömen?

Fock: Wenn man alle berücksichtigt, die jetzt noch in Integrations- und Sprachkursen sind, dann ist mit rund 23.000 Geflüchteten zu rechnen. In der Arbeitslosenstatistik sind davon erst 5350 erfasst, der Großteil, rund 17.400, wird vom Jobcenter betreut.

Das muss dann doch Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben.

Fock: Das hatten wir schon für dieses Jahr erwartet. Doch bisher hat sich gezeigt, dass der Zuwachs bei der Ausländerarbeitslosigkeit geringer ausfällt als erwartet und vom sich gut entwickelnden Arbeitsmarkt kompensiert wird. Knapp 440 Flüchtlinge haben in diesem Jahr eine Ausbildung aufgenommen.

Welche Erkenntnisse gibt es über die Qualifizierung der Flüchtlinge?

Fock: Nach streng formalen Maßstäben sind ein Großteil, etwa 65 Prozent, Ungelernte. 24 Prozent sind Fachkräfte und Spezialisten – und rund zehn Prozent sind noch nicht eingestuft. Viele der formal Ungelernten haben aber berufliche Erfahrungen, können diese nur nicht mit Zertifikaten belegen.

Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Hamburg wächst seit Jahren. Wird sich dieser Trend fortsetzen?

Fock: Hamburg zeigt da eine beeindruckende Entwicklung. Innerhalb von fünf Jahren sind über 100.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse entstanden. In Hamburg werden es Ende Dezember geschätzt 970.000 sein, und wir könnten spätestens im Jahr 2019 die Marke von einer Million knacken. Für 2018 rechne ich mit einem Zuwachs von 20.000 Beschäftigungsverhältnissen.

Dann müsste es doch schon bald Vollbeschäftigung in Hamburg geben – oder spricht etwas dagegen?

Fock: Hamburg hat viele Pendler aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Knapp jeder dritte Arbeitnehmer pendelt in die Hansestadt. Aber die Hamburger haben von dem Zuwachs an Stellen innerhalb eines Jahres am stärksten profitiert. Doch neue Stellen und der bestehende Arbeitsmarkt bilden kein geschlossenes System, das ineinandergreift. Es treten verstärkt Menschen in den Arbeitsmarkt ein, die vorher nicht arbeitslos waren, sondern sich der Kindererziehung oder der Pflege von Familienangehörigen gewidmet haben. Neun von zehn Stellen am Hamburger Arbeitsmarkt sind für Fach- und Führungskräfte, aber knapp die Hälfte der Arbeitslosen ist ohne Berufsabschluss.

Also wird es noch einige Zeit bis zur Vollbeschäftigung dauern?

Fock: Das kommt auch auf die Perspektive an. Die 66.164 Arbeitslosen (Stand Ende November) teilen sich ja auf Arbeitsagentur (21.524) und Jobcenter (44.640) auf. Wenn man nur die Arbeitsagentur betrachtet, liegt die Arbeitslosenquote bei 2,1 Prozent statt 6,5 Prozent, was schon als Vollbeschäftigung bezeichnet wird. Langzeitarbeitslose und Ältere mit gesundheitlichen Problemen haben es wesentlich schwerer, wieder in den ersten Arbeitsmarkt zurückzufinden. Neben fehlender Qualifizierung gibt es dafür viele andere Gründe, die auch zu Langzeitarbeitslosigkeit führen. Insofern ist die Vollbeschäftigung auf dem Hamburger Arbeitsmarkt noch nicht in Sicht. Aber es gibt erste Erfolge. Erstmals haben in diesem Jahr auch die Langzeitarbeitslosen profitiert. Im Jahresdurchschnitt ging ihre Zahl um 6,4 Prozent auf 21.500 zurück.

Wie können mehr Ungelernte einen Berufsabschluss erwerben?

Fock: Wir wollen für Ungelernte, die in den Arbeitsprozess integriert sind oder zurückkehren wollen, eine schrittweise Qualifizierung vor und neben der Arbeit erreichen und sind dazu auch in Gesprächen mit der Handelskammer. Es geht darum, Ausbildungsinhalte in Abschnitte aufzuteilen und für jeden Abschnitt ein Zertifikat auszustellen. Wenn man alle Zertifikate hat, kann man sich für die Abschlussprüfung anmelden. Das eignet sich für Personen, die aus verschiedenen Gründen eine Ausbildung nicht in einem Stück absolvieren können. Dazu gehören auch geflüchtete Menschen, die erst über einen Job möglichst schnell Geld verdienen wollen.

Seit 2014 wird die Zentrale der Arbeitsagentur modernisiert. Wann sind die Arbeiten abgeschlossen?

Fock: Sie werden noch bis in den Herbst des kommenden Jahres dauern. Dann ist das denkmalgeschützte Gebäude in der Kurt-Schumacher-Allee energetisch saniert. Insgesamt mussten wir 18,6 Millionen Euro investieren.