Hamburg. Polizisten müssen 16,5 Kilo zusätzlich schultern. Einsatzzentrale in Winterhude generalüberholt. Erste Kritik an Sicherheitsmaßnahmen.

Auf den Mannschaftswagen nennen sie ihn „Turtle“, die Schildkröte. Schienbeinschoner, schwere Jacke, Headset, weißer Helm aus gehärtetem Kunststoff. Ein großer Teil der 13.200 Polizisten beim OSZE-Treffen trägt den Schutzanzug, falls es zu Ausschreitungen bei den Demonstrationen oder anderen Angriffen kommen sollte (siehe links). Die Ausrüstung ist für die Beamten auch ein Kraftakt.

Schon ein Beamter in Uniform trägt immer eine Schutzweste, Pistole, Handfesseln, ein Funkgerät, ein Reserve­magazin und einen Teleskopschlagstock bei sich. Durch die Schutzkleidung für den Einsatz kommen etwa 16,5 Kilogramm an Gewicht hinzu. „Die Schutzkleidung ist durch neue Technologie in den letzten Jahren erheblich leichter geworden“, sagt Joachim Lenders, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Trotzdem ist es mühsam, wenn man in der Schutzkleidung in einer Konfliktsituation 400 Meter nachsetzen muss. „Im Anschluss an einen Sprint können die Beamten zudem nicht verschnaufen – dann wird es meist erst brenzlig“, sagt Lenders.

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Bereits in der Ausbildung werden alle Beamten für das Laufen in schwerer Schutzkleidung speziell trainiert. Von Polizeivertretern heißt es, dass es nur sehr selten Beschwerden über die schwere Kluft gebe. „Sie bietet tatsächlich einen exzellenten Schutz gegen Steine oder andere Wurfgeschosse, das ist das Wichtigste“, sagt ein Beamter.

Einen Schutz gegen die Kälte bietet der Kunststoff jedoch nicht – und bei Einsätzen wie dem OSZE-Treffen stehen den meisten Beamten lange Wartezeiten auf der Straße bevor. Außerdem müssen die Polizisten beweglich bleiben. „Das ist ein bisschen wie in der Formel 1“, sagt der Gewerkschafter Joachim Lenders. „Wie dort das ganze Team über die richtige Reifenstrategie zum aktuellen Wetter nachdenkt, überlegen sich die Beamten, noch eine Fleece-Jacke oder andere Unterzieher zu tragen.“ Meist ziehen die Beamten die Schutzkleidung erst an, wenn es aus den Mannschaftswagen auf die Straße geht. Den Helm setzen die Beamten grundsätzlich nur bei akuter Gefahr oder einer entsprechenden Anweisung der Vorgesetzten auf.

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Die Strategie für den Einsatz kommt aus dem Führungsstab. Alle Fäden der Polizei laufen bereits seit mehreren Tagen in der neu eingerichteten Zentrale des Polizeipräsidiums in Winterhude zusammen. Für das OSZE-Treffen wurde die Technik generalüberholt, auch das restliche Mobiliar ausgetauscht. Nur die Schreibtische sind älter als ein paar Monate. Im Zentrum der Entscheidungsstelle steht eine 16 Qua­dratmeter große Bildschirmwand. Per Fingerdruck können sich die Polizeiführer dort Informationen holen. 21 kleinere Einsatzzentralen unterstützen die Führung bei der Koordination.

Auf den Straßen sind zum OSZE-Treffen etwas mehr als 3000 Fahrzeuge unterwegs – darunter 23 Wasserwerfer und 18 Sonderwagen, zumeist Panzerwagen. Etliche schwer gepanzerte Fahrzeuge nahmen am Mittwoch direkt vor den Messehallen Stellung. Zudem wurden Betonquader aufgestellt, um einen Schutz gegen terroristische Angriffe mit Fahrzeugen zu gewährleisten.

Bereits einen Tag vor Beginn des Treffens kreisten auch nahezu ununterbrochen Helikopter über dem erweiterten Innenstadtbereich an der Messe. Die Hamburger Polizei verfügt selbst über zwei Hubschrauber („Libelle“ und „Libelle 2“), die auch mit Wärmebild­kameras ausgestattet sind. Weitere acht Helikopter haben die Polizeistellen der anderen Bundesländer sowie die Bundespolizei zur Verfügung gestellt. Zudem ist ein Flugzeug der Polizei Hessen, eine zweimotorige P68 Observer, im Einsatz, die zur Luftraumüberwachung dient. Für unerlaubte Flugobjekte steht die Alarmrotte der Bundeswehr bereit, die innerhalb von Minuten aufsteigen und ein Ziel am Himmel abfangen kann.

Überzogene Bewachungen melden

Angesichts der massiven Polizeipräsenz und bis zu 6,3 Kilometern Absperrungen in der Stadt wurde am Mittwoch in sozialen Netzwerken erste Kritik am Ausmaß der Sicherheitsmaßnahmen laut. Die Fraktion der Partei Die Linke forderte dazu auf, ihr Fälle von frühzeitigen Absperrungen oder überzogenen Bewachungen zu melden. Auch Anwohner hatten vor dem Treffen ihren Unmut darüber ausgedrückt, dass das OSZE-Treffen mit nie da gewesenem Materialaufwand bewacht werde.

Sicherheitsmaßnahmen zum OSZE-Treffen:

Die Polizei setzt weiter auf umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit. Über die Facebook- und Twitter-Accounts teilten die Beamten am Mittwoch umfangreiche Informationen zu ihrem Gerät und den genauen Einsatzmaßnahmen. Wie Polizeisprecher Timo Zill sagte, wurden etwa die Absperrungen an den Hauptverkehrsstraßen nahe der Messe erst nach dem Abfließen des morgendlichen Berufsverkehrs eingerichtet. Über die sozialen Medien verbreitete die Polizei außerdem etwa Porträtvideos von den Führern der Hundestaffeln. Neben dem technischen Gerät sind 37 Pferde und 62 Diensthunde im Einsatz, um die Sicherheit zu gewährleisten.

„Kommunikationsteams“ sorgen für Deeskalation

Außerdem sind bis zu 65 Polizei­beamte in blauen Westen in der Stadt unterwegs. Die „Kommunikationsteams“ sollen während des OSZE-Treffens für Deeskalation sorgen. Sie bestehen aus drei Polizisten verschiedener Bundesländer und sind vor allem rund um den Rathausmarkt und im Karolinenviertel sowie täglich von 10 bis 21 Uhr am Mönckebergbrunnen anzutreffen. Ziel sei es, Bürgern den Einsatz zu erklären, Ängste zu nehmen und bei Demonstrationen zu deeskalieren, sagte ein Polizeisprecher. Am häufigsten fragten die Bürger nach Ausschreitungen und Sperrungen in bestimmten Straßen.

Auch für die vielen Polizeibeamten gilt keine uneingeschränkte Bewegungsfreiheit. Die Sicherheitszone eins an den Messehallen dürfen nur zusätzlich akkreditierte Beamte betreten – alle anderen müssen draußen bleiben.