Hamburg. Mehr als 50 Außenminister reisen zum Gipfel an. Das Abendblatt sprach mit Bürgermeister Olaf Scholz über die Bedeutung der Konferenz.

Die Stadt ist nicht der Gastgeber, nur der Ort für das zweitägige Arbeitstreffen der Außenminister der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Das betont Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) im Abendblatt-Interview ausdrücklich. Aber dass sich die Spitzenpolitiker gerade hier treffen, in der jahrhundertealten Stadtrepublik, sei durchaus sinnvoll. Olaf Scholz geht davon aus, dass die Beeinträchtigungen, die Gäste und Bewohner in den nächsten Tagen in Kauf nehmen müssten, nur gering und daher vertretbar seien.

Morgen startet in Hamburg die wohl größte politische Veranstaltung in der Geschichte der Hansestadt. Erwartet werden Tausende Teilnehmer. Mehrere Gegendemonstrationen sind angemeldet. Was überwiegt bei Ihnen: Vorfreude oder die Sorgen vor Ausschreitungen?

Olaf Scholz: Ich bin froh darüber, dass eine so bedeutende Konferenz in Hamburg stattfindet. Wir erleben momentan, dass der Frieden immer wieder bedroht ist und Kriege wie in Syrien Auswirkungen auch bei uns haben. Gerade in so unruhigen Zeiten ist es wichtig, dass Spitzenpolitiker zusammenkommen und miteinander reden. Dafür ist Hamburg ein geeigneter Ort. Denken Sie etwa an die Hanse. Sie war über viele Jahrhunderte ein Bündnis, das für Frieden und Sicherheit in Europa stand. Im Übrigen ist die morgen beginnende Konferenz das Nachfolgegremium der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, der KSZE. An deren Gründung hat ein großer Mann aus Hamburg, Helmut Schmidt, aktiv mitgewirkt. Die KSZE hat geholfen, die Spaltung Europas zu überwinden.

Es gab bereits einen schweren Anschlag auf den Tagungsort, die Messehallen. Was gibt Ihnen Hoffnung, dass Polizei und Sicherheitsbehörden die Lage im Griff haben werden?

Scholz: Zu einer Kundgebung zu gehen und dort seine Forderungen an die Politik zu artikulieren ist in Ordnung – in einer demokratischen Gesellschaft ohnehin. Das heißt ja auch lange noch nicht, dass man gegen eine Konferenz opponiert, auf der es um den Frieden in Europa geht und bei der alle darum ringen, das Blutvergießen in der Ukraine zu beenden. Trotzdem gibt es dann auch noch jene, die gegen das Treffen an sich sind, manche auch mit unfriedlichen Absichten. Aber ich bin sicher, dass die Polizei die Sicherheit der Konferenzteilnehmer ebenso wie die der Hamburgerinnen und Hamburger gewährleisten wird.

Würden Sie den Hamburgern und den Gästen raten, die Innenstadt am Donnerstag und am Freitag zu meiden?

Scholz: Nein. Hamburg ist oft Austragungsort großer Veranstaltungen. Die Bundes­regierung hat sich im Wissen darum bewusst für Hamburg entschieden, die Außenministerkonferenz hier stattfinden zu lassen. Ich gehe zudem davon aus, dass die Bewohner dieser Stadt nur geringe Beeinträchtigungen in Kauf nehmen müssen.

Etliche Anwohner im Karoviertel empfinden es allerdings als Zumutung, dass ihre Heimat zum Hochsicherheits- oder gar Sperrgebiet wird. Haben Sie dafür Verständnis?

Scholz: Alle Anwohner werden nach Hause kommen, und die meisten werden sich in diesen Bereichen frei bewegen können.

Von dem Vorschlag, derartige Treffen aus rein praktischen Erwägungen an entlegenen Orten abzuhalten statt mitten in einer Großstadt, halten Sie folglich nichts?

Scholz: Das geht nicht. Es gibt keine entlegenen Orte, die Kapazitäten haben, um so viele Gäste unterzubringen. An der Tagung nehmen ja nicht nur mehr als 50 Außenminister teil, sondern auch die Mitglieder der Delegationen.

Ihr grüner Koalitionspartner ist auch nicht glücklich über den Tagungsort. Nervt Sie das?

Scholz: Nein. Bundesregierung, Außenministerium und Senat haben die Konferenz gemeinsam vorbereitet. Das wird im Übrigen auch beim G20-Treffen im Juli kommenden Jahres so sein. Ich sage es noch einmal deutlich: Wir wollen die Agenden beider Treffen nicht jenen überlassen, die ankündigen, sich schlecht zu benehmen, sondern jenen, die sich für eine bessere Welt einsetzen.

Kann von Hamburg denn ein Friedenssignal ausgehen?

Scholz: Das würde ich mir sehr wünschen. Wir erleben derzeit ja mehrere Konflikte am Rande Europas, zum Beispiel in Syrien oder im Irak, mit direkten oder indirekten Auswirkungen auf OSZE-Länder. Es ist zu hoffen, dass das Außenministertreffen den Impuls dafür gibt, dass sich ein Bruch der Regeln wie beispielsweise bei der völkerrechtlichen Annexion der Krim durch Russland nicht wiederholt.

Als die Staats- und Regierungschefs der KSZE 1990 die Charta von Paris verabschiedeten, waren sie voller Hoffnung, dass mit dem Ende der Teilung Europas auch das Zeitalter der Konfrontation beendet würde. Die Ereignisse auf der Krim und die Destabilisierung der Ukrain­e waren ein herber Rückschlag. Die Verletzung der nationalen Souveränität eines OSZE-Mitgliedstaates widerspricht den gemeinsam vereinbarten Prinzipien. Deshalb müssen die Außenminister über die Friedensordnung in Europa sprechen.

Bis dato unbekannte Städte wie zum Beispiel Kyoto wurden durch eine einzige politische Tagung weltberühmt. Hat Hamburg diese Chance auch?

Scholz: Ja, es ist so, dass das Treffen die Stadt bekannter machen wird. Medien aus zahlreichen Ländern werden über die Tagung in Hamburg berichten. Aber das Außenministertreffen ist nicht Teil des Marketingkonzepts der Stadt. Es geht um Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.

Hamburg als Handelsdrehscheibe hat massiv vom Ende des Kalten Krieges profitiert. Die OSZE-Vorgänger-Institution KSZE war daran nicht ganz unbeteiligt. Was hat Hamburg beiden Institutionen zu verdanken?

Scholz: Hamburg hat mit Sicherheit vom Ende des Eisernen Vorhangs und von der Wiedervereinigung Deutschlands profitiert. Traditionelle Handelsbeziehungen und die Hinterlandverbindungen konnten wieder aufleben. Ein Teil des Aufschwungs der Hansestadt seit den 90erJahren erklärt sich dadurch. Mitte der 90er-Jahre war die Zahl der Einwohner auf 1,6 Millionen gesunken. Inzwischen haben wir 200.000 zusätzliche Einwohner – und auch massives wirtschaftliches Wachstum.

Scholz: Wie fragil diese Entwicklung ist, merken wir gegenwärtig. Die gegenseitigen Sanktionen des Westens und Russlands haben dazu beigetragen, dass Handelsbeziehungen zwischen Hamburg und der russischen Metropole St. Petersburg abgenommen haben. Hamburg profitiert, wenn die Beziehungen in Europa sich gut entwickeln und die Völker gut miteinander auskommen.

Sollten wir also den Gästen ein herzliches „Willkommen“ zurufen, weil wir der OSZE viel zu verdanken haben?

Scholz: Das kann man so sagen. Das Treffen ist eine Ehre für eine international ausgerichtete Stadt. Das steht im Übrigen auch in unserer Verfassung. Diese verpflichtet uns, den Weltfrieden zu mehren als eine Stadt, die über das Meer mit den Völkern verbunden ist.

Inwieweit sind Sie als Bürgermeister eigentlich auf der Konferenz eingebunden? Werden Sie zum Beispiel US-Außenminister John Kerry oder seinen russischen Kollegen Sergei Wiktorowitsch Lawrow treffen?

Scholz: Es wird verschiedene Treffen geben. Viele Gäste werden zu einem Empfang ins Rathaus kommen. Wir können Beziehungen pflegen und neue Verbindungen aufbauen. Aber fest steht auch: Hamburg ist nicht Veranstalter des Außenministertreffens, sondern lediglich der Ort.

Die Elbphilharmonie werden Sie den Gästen nicht zeigen?

Scholz: Die Elbphilharmonie wird erst am 11. Januar 2017 eröffnet.

Was Sie in der jüngeren Vergangenheit nicht davon abgehalten hat, das Konzerthaus Gästen zu zeigen.

Scholz: Die Außenministerkonferenz ist nicht auf Sightseeing angelegt. Aber der eine oder andere wird es sich vielleicht noch anschauen wollen.

Inwiefern ist das OSZE-Treffen ein Testlauf für den G20-Gipfel Anfang Juli 2017?

Scholz: Gar nicht. Beide Veranstaltungen sind vollkommen eigenständig. Die Konferenz diese Woche ist zum Beispiel für die Gäste eine gute Gelegenheit, noch einmal Frank-Walter Steinmeier zu treffen, der voraussichtlich der nächste Bundespräsident sein wird. Was den G20-Gipfel angeht, so hat Bundeskanzlerin Angela Merkel mich gefragt, ob Hamburg dafür als Austragungsort zur Verfügung stehe.

Ich habe gern zugesagt, weil so ein Treffen dazu beiträgt, dass Politiker aus aller Welt miteinander ins Gespräch kommen. Und wie gesagt: Es ist einiges los in dieser Welt. Ein neuer US-Präsident, der Brexit, die Lage in der Türkei, gewaltsame Konflikte – es besteht Gesprächsbedarf, und es ist gut, dass in Hamburg miteinander gesprochen wird.

Ein populistischer US-Präsident, ein eiskalter Autokrat aus Moskau, ein Möchtegern-Sultan vom Bosporus – wird Ihnen nicht mulmig bei dem Gedanken, die alle im Rathaus zu versammeln?

Scholz: Nein, Hamburg hat als eigenständige Republik seit einigen Jahrhunderten Erfahrungen damit, in einem Umfeld zu existieren, wo andere Vorstellungen von der Weiterentwicklung Deutschlands und Europas herrschten. Angesichts der aktuellen Lage spricht einiges dafür, dass sich die unterschiedlichen Politiker treffen. Vielleicht gibt es ja den Moment, in dem die Regierungschefs am Kamin zusammensitzen und persönlich miteinander reden.

Das G20-Treffen wird vermutlich wesentlich mehr Protest hervorrufen als die OSZE-Konferenz. Deswegen auch hier die Frage: Warum mitten in der Stadt?

Scholz: Weil die G20-Treffen immer an Orten stattfinden, die genug Hotelkapazitäten haben. Es werden mehr als 10.000 Menschen im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel nach Hamburg kommen. So viele Städte, die so etwas organisieren können, gibt es bei uns nicht. Nachdem Hangzhou in China den diesjährigen Gipfel austrug, wird es auch in einer alten Stadtrepublik mit kosmopolitischer Haltung klappen. Das sehen sicher die meisten Hamburgerinnen und Hamburger so. Und ich wiederhole es gern noch einmal: Wir sollten die Agenda nicht von jenen bestimmen lassen, die sich noch nie für etwas eingesetzt haben.

Die Grünen lassen offen, ob sie als Partei zu Protesten gegen G20 aufrufen werden. Wie würden Sie das finden, wenn Ihr Koalitionspartner beim G20-Gipfel Gegendemonstranten unterstützt?

Scholz: Beim OSZE-Ministertreffen und beim G20-Gipfel werden Fragen diskutiert, die die ganze Welt betreffen. Es ist normal, dass dabei nicht nur die Konferenzteilnehmer ihre Meinung sagen. Vielmehr bieten beide Zusammenkünfte den richtigen Anlass, dass auch andere sich äußern. Deswegen haben wir beispielsweise sehr dafür geworben, dass das Treffen der internationalen Zivilgesellschaft, der sogenannte Civil20 oder C20, auch in Hamburg stattfindet.

Mitte Juni werden die Nichtregierungsorganisationen die Möglichkeit haben, in unserer Stadt ihre Lösungsvorschläge zu diskutieren und dann der Kanzlerin vorzustellen. Es gibt viele Themen, über die wir reden müssen – und ich sage ausdrücklich, nicht nur am Konferenztisch in den Messehallen.

Es würde Sie also nicht stören, wenn die Grünen sich unten auf dem Rathausmarkt an Protesten beteiligen, während Sie im Rathaus mit den Staatschefs reden?

Scholz: Dann bin ich schon 59. Das stört mich nicht.

Wenn es nach SPD-Chef Sigmar Gabriel geht, ist nicht ausgeschlossen, dass Sie dann als Kanzlerkandidat der SPD dabei sind. Ist das eine realistische Perspektive?

Scholz: Die SPD hat eine klare Entscheidung getroffen. Anfang Januar werden wir entscheiden, wie wir in den Bundestagswahlkampf ziehen und mit welchem Kanzlerkandidaten. Der Parteivorsitzende, der seine Sache gut macht und ein geeigneter Kandidat wäre, wird dazu einen Vorschlag machen. Als wir 1998 die Bundestagswahl gewannen, entschied die Partei das sogar noch später.

Stehen Sie als Kanzlerkandidat für 2017 definitiv nicht zur Verfügung?

Scholz: Ich habe meine Pläne nicht geändert.

Eine klare Antwort ist das nicht.

Scholz: Ich bin stellvertretender Vorsitzender der SPD und gehöre damit zum SPD-Vorstand. Wir haben gemeinsam gesagt, dass wir im Januar entscheiden. Es mag sein, dass Journalisten erreichen wollen, dass es anders kommt, ich nicht.

Und was ist mit der Bundestagswahl 2021? Das Rentenalter hätten Sie dann ja noch nicht erreicht.

Scholz: Das stimmt. Nach den gegenwärtigen Gesetzen ist das erst mit 66 der Fall.

Olympiabewerbung, Elbphilharmonie-Eröffnung, OSZE-Treffen, G20-Gipfel – sind das alles Teile einer Strategie, das selbst ernannte „Tor zur Welt“ auch endlich weltbekannt zu machen?

Scholz: Es muss die Strategie eines jeden Ersten Bürgermeisters und des Senats sein, Hamburg in der Welt bekannter zu machen. Da helfen diese Ereignisse, das ist richtig. Für uns sind das Gelegenheiten, die wir nutzen.

Und was kommt als Nächstes? Doch noch mal Olympia?

Scholz: Die Bürgerinnen und Bürger haben im vergangenen Jahr ihren Willen klar formuliert. Es wird also keine erneute Bewerbung um die Austragung Olympischer Spiele geben.

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