Hamburg. Apotheker und Manager in einem besonders spektakulären Betrugsfall angeklagt. Hauptverdächtiger nach Dubai geflohen.

Wie sieht man aus, wenn man als Großverdiener im Gesundheitswesen urplötzlich fünf Monate in Untersuchungshaft sitzt? Aschfahl wirken die beiden Angeklagten, als sie an Handschellen mit Justizmitarbeitern in den Gerichtssaal geführt werden. Vorbei an Kameras und Mikrofonen. Doch der Apotheker Dr. S., 66, und der Manager Dr. H., 59, sind verhandlungsfähig. Sie sind Nebendarsteller in einem der spektakulärsten Betrugsprozesse der deutschen Medizingeschichte. Denn der eigentliche Hauptverdächtige, der schillernde Radiologe Prof. Dr. Wolfgang Auffermann, weilt in Dubai.

Trotz Haftbefehls und Auslieferungsersuchen an die Vereinigten Arabischen Emirate kann gegen Auffermann noch nicht verhandelt werden. Er wird „gesondert verfolgt“. Dreieinhalb Jahre nach der Pleite seines Praxen-Imperiums Hanserad stehen die ersten Verantwortlichen vor der Großen Strafkammer des Landgerichts, die im Verdacht stehen, mit Wolfgang Auffermann die gesetzlichen Krankenkassen um 34 Millionen Euro betrogen zu haben.

Das „Phantom“ Auffermann hat seinen Anwalt in den Hamburger Gerichtssaal geschickt. Der Richter verbannt Prof. Michael Nagel gleich in den Zuschauerraum. In diesem Verfahren soll es um S. und H. gehen. Doch sollte Auffermann wider Erwarten noch auftauchen, wird vermutlich alles neu aufgerollt. Sein Klient komme nach Deutschland, um alle Vorwürfe auszuräumen, wenn der Haftbefehl aufgehoben werde und es ein „faires Verfahren“ gebe, sagte Auffermanns Anwalt Nagel auf dem Flur. Unschuldig sehen sich auch die beiden Angeklagten. Zumindest H.s Anwalt sagte, dass es für illegale Geschäfte keine Anzeichen gebe.

Die Anklage führt 51 Fälle von „banden- und gewerbsmäßigem Betrug“ an, alle mutmaßlich begangen zwischen 2011 und Ende 2012. Der „gesondert Verfolgte“ ist auch ein Sonderfall in der deutschen Medizingeschichte. Der eigenwillige Professor Dr. Wolfgang Friedrich Wilhelm Auffermann, heute 59, entstammt einer Duisburger Arztfamilie. Sein Aufstieg vom einfachen Radiologen mit Röntgen, Magnetresonanz- und Computertomografie zum einflussreichen Medizinunternehmer verlief bilderbuchhaft. Aus einer Praxisgemeinschaft in Hamburg kaufte er die Partner heraus, expandierte, kaufte in Norddeutschland und München Praxen zu.

Auffermann arbeitete in den USA, in Russland, in Dubai. Immer im Visier: privatversicherte, zahlungskräftige Patienten aus dem Ausland, Promi-Faktor. Er spricht mehrere Sprachen, kann extrem charmant sein, ein Doktor von Welt mit Villa in Bergedorf.

Im Brot-und-Butter-Geschäft mit den gesetzlich Versicherten schlummerte aber ebenso Verheißungsvolles: Auffermann ließ seine Radiologien von frühmorgens bis spätabends öffnen, untersuchte Tausende, warb bei Arztkollegen um Patienten und zahlte seinen angestellten Medizinern sehr hohe Gehälter.

Das machte Hanserad zu einem florierenden Unternehmen mit Untergesellschaften, Beteiligungen – und Verstrickungen, wie die Staatsanwaltschaft herausgefunden haben will.

Vereinfacht gesagt, soll der Betrug so funktioniert haben: Auffermann benötigt große Mengen an Kontrastmitteln und bestellt sie im Großhandel des Ahrensburger Apothekers Dr. S. Der kauft sie ein und bekommt gewaltige Rabatte. Daran ist nichts auszusetzen. Die Kontrastmittel wandern zu Auffermann. Der Großhändler rechnet bei den Krankenkassen einen „normalen“ Preis ab. Dabei war Auffermann laut Anklage mit einer stillen Gesellschaft an den Rabattgewinnen von Dr. S. beteiligt.

Der Vorwurf lautet also: Professor Auffermann und sein Geschäftsführer Dr. H. sollen gewaltige Mengen bestellt und abgerechnet haben, die Rabatte aber nicht an die Kassen weitergegeben beziehungsweise an den Gewinnen des Apothekers beteiligt gewesen sein.

Das Vorgehen sei nicht strafbar, sagt Auffermanns Anwalt. Und im Übrigen sei sein Klient ja auch privat pleite. Auffermann, extrovertierter Multimillionär mit einem großen Immobilienvermögen, musste im Oktober 2013 auch Privatinsolvenz anmelden. Das tat er aus Dubai, nachdem er Hamburg Hals über Kopf verlassen und nach der Hanserad-Pleite im Dezember 2012 an den Persischen Golf geflogen war. Die Insolvenz und die Übernahmeschlacht um die Praxen hielten 300 Mitarbeiter monatelang in Atem.

Nach Abendblatt-Informationen lagerten zum Zeitpunkt der Praxenpleite Ende 2012 rund 3000 Liter Kontrastmittel bei Hanserad. Nach Schätzungen des Insolvenzverwalters hätte das ausgereicht, um Tausende Hanserad-Patienten zehn Jahre lang zu versorgen.

Die Abendblatt-Berichterstattung über die Insolvenz und Unstimmigkeiten bei der Abrechnung hatte die Ermittlungen des Landeskriminalamts und der Staatsanwaltschaften in Hamburg und Kiel in Gang gebracht. Auffermann hat seit den ersten Veröffentlichungen versucht, dagegen vorzugehen. Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt. Ohne Auffermann.