Lutz von Selle will Ermittlungen nach Davidwachen-Angriff an sich ziehen – und scheitert. Immer wieder wird von Selle vorgeworfen, auch gerne mal mit den Sporen auszuteilen.
Hamburg. Ihm eilt der Ruf eines Hardliners und Pedanten voraus: Generalstaatsanwalt Lutz von Selle, 62, ist für seinen überaus straffen Führungsstil als Chef der Staatsanwaltschaft bekannt. Immer wieder wird ihm vorgeworfen, die Zügel nicht nur viel zu kurz zu halten, sondern auch gerne mal mit den Sporen auszuteilen. Während sein Machtanspruch in der eigenen Behörde mittlerweile für ein Klima der Verunsicherung sorgte, führt sein sehr selbstbewusstes, bis hin zu einem sich teils im Ton vergreifenden Auftreten andernorts zu offenem Widerstand, etwa im Landeskriminalamt (LKA) der Polizei.
Der Machtkampf, der sich daraus entwickelte, soll Anfang dieser Woche in einem Spitzengespräch zwischen dem „General“ auf der einen und Polizeipräsident Wolfgang Kopitzsch, Justizsenatorin Jana Schiedek (SPD) und Innensenator Michael Neumann (SPD) auf der anderen Seite eskaliert sein, bei dem sich die Gemüter außerordentlich erhitzt und Lutz von Selle das Schlachtfeld als Geschlagener verlassen haben sollen, wie das Abendblatt erfuhr.
Der originäre Anlass für dieses außergewöhnliche Gespräch soll die Frage gewesen sein, wer die Ermittlungen nach dem Angriff auf die Davidwache führe. Und wer, wann, über welche Informationen verfügen dürfe. Dass dabei noch viel Grundsätzlicheres auf den Tisch gekommen sein soll, liegt in der Natur der Sache. Nicht zuletzt soll sogar von Selles Rechtsauffassung in Frage gestellt worden sein.
Nach dem Angriff am letzten Wochenende des vergangenen Jahres – einer der Auslöser für das umstrittene, knapp eine Woche später eingerichtete Gefahrengebiet – hatte sogar die Generalbundesanwaltschaft erwogen, das Verfahren an sich zu ziehen. Die Bundesbehörde ist unter anderem für Terrorismus-Ermittlungen zuständig. Lutz von Selle, Hamburgs oberster Staatsanwalt, arbeitete Generalbundesanwalt Harald Range zu, Deutschlands oberstem Ankläger.
Auf dem kurzen Dienstweg und der ihm eigenen Art soll Lutz von Selle daraufhin der Leitung des Landeskriminalamtes aufgegeben haben, dass ihm alle Ergebnisse der an den Ermittlungen wegen versuchter Tötung beteiligten Fachbereiche (also der Staatsschutz und die Mordkommission) unverzüglich zuzuführen seien. „Alles sollte über ihn gehen“, erfuhr das Abendblatt. Im Landeskriminalamt allerdings soll von Selle auf taube Ohren gestoßen sein, trotz mehrmaligen Insistierens.
Grund: Von Selles Forderung habe den grundsätzlichen Prinzipien und Abläufen der zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei aufgeteilten Ermittlungsarbeit widersprochen, die im übrigen seit Jahren weitgehend reibungslos läuft. So überwachen die Staatsanwälte gemeinhin als „Herren des Verfahrens“ die Ermittlungsarbeit und präsentieren sie vor dem Richter. Dass sich der Generalstaatsanwalt, der eigentlich die Dienstaufsicht über die Behörde führt, in „Gutsherrenart“ direkt in die Ermittlungen einschalten wollte, wie es hieß, und damit auch das gute Verhältnis zwischen der ihm unterstellten Staatsanwaltschaft und der Polizei torpedierte, kam äußerst schlecht an.
Seine Verärgerung über diese Zurückweisung soll Lutz von Selle zunächst an Polizeipräsident Wolfgang Kopitzsch ausgelassen haben, der ihn aber wohl abblitzen ließ, obwohl er lange als Befürworter Lutz von Selles in der Polizei galt. Kurz darauf soll es dann zu dem besagten Streitgespräch gekommen sein, bei dem von Selle die Verärgerung der beiden Senatoren zu spüren bekommen haben soll.
Die Staatsanwaltschaft wollte die Angelegenheit nicht kommentieren: „Wir äußern uns nicht zu internen Angelegenheiten“, sagte die Sprecherin der Behörde, Oberstaatsanwältin Nana Frombach. „Die Zuständigkeiten in dem betroffenen Ermittlungsverfahren sind einvernehmlich geklärt.“
Auch wenn das Abendblatt aus Kreisen der Staatsanwaltschaft erfuhr, dass die Ermittlungen im Fall des Davidwachen-Angriffs durch die Auseinandersetzung nicht belastet worden seien, hinterlässt der Streit einen bitteren Beigeschmack. Schließlich ist dies bereits der zweite Vorfall, der auf mögliche Kompetenzstreitigkeiten in den an den Davidwachen-Ermittlungen beteiligten Behörden verweist. Erst jüngst war bekannt geworden, dass Polizeipräsident Wolfgang Kopitzsch und Innensenator Neumann möglicherweise gar nicht oder erst spät in die Planungen zum mittlerweile wieder aufgehobenen Gefahrengebiet eingebunden waren.
Dass die Sympathien innerhalb der Polizei für den 2009 vom damaligen Justizsenator Till Steffen (Grüne) ins Amt gehobenen Generalstaatsanwalt nicht besonders glühend sind, ist bekannt. Und das, obwohl er vor Beginn seiner Amtszeit einen guten Ruf bei Hamburgs Ordnungshütern genoss. Dann aber untersagte er nicht nur die übliche Praxis, bei spektakulären Einsätzen auch die Presse zu informieren, er ließ es gleich auf einen Machtkampf ankommen, wer die Informationshoheit bei Ermittlungen habe. Für Unsicherheit sorgten zudem die ungewöhnlich hartnäckigen Ermittlungen, die von Selle gegen Polizisten bereits bei kleinsten Anlässen vorantreiben ließ.