Das Gebot der Stunde: Machen Sie mit – und wenn es nur mit einer E-Mail ist
Es gibt diese Geschichte eines Kollegen, der wie immer seinen Nachrichtentag mit den „Tagesthemen“ beschließen wollte. Er hatte etwas zu spät eingeschaltet und sah nur Bilder von Straßenschlachten. „Unglaublich, was da in der Ukraine wieder los ist“, rief er seiner Frau zu, stockte dann, um genauer auf den Fernseher zu sehen. Denn die Demonstranten und Polizisten, die sich dort gegenüberstanden, nein, die miteinander kämpften, stammten nicht aus der Ukraine. Die Bilder von den Krawallen kamen aus Hamburg. Sie haben jeden geschockt, der in dieser Stadt lebt und der diese Stadt liebt.
Und das war noch vor der Nachricht von den unglaublichen Angriffen auf Polizisten der Hamburger Davidwache.
Am Montag, beim Neujahrsempfang des Hamburger Abendblatts, gab es kaum ein anderes Thema unter den 1000 Gästen, am Donnerstag, beim nächsten großen Neujahrsempfang in Blankenese, dürfte es genauso sein. In den sozialen Netzwerken gibt es längst eine einzigartige Solidaritätsbewegung mit der Polizei, an der sich Zehntausende Menschen beteiligen.
Keine Frage: Hamburg und die Hamburger haben genug von der Gewalt auf der Straße; der Wunsch nach friedvollen Auseinandersetzungen in einer lebendigen, offenen Stadt eint die Menschen, unabhängig davon, wo sie politisch stehen. Wichtig ist es, dass das jetzt so viele wie möglich ganz offen und klar zeigen. Wir vom Hamburger Abendblatt beteiligen uns deshalb gern (siehe Seite eins) und freuen uns über jeden, der uns und andere dabei unterstützt.
Fest steht: Gewalt ist nicht die Lösung für die Probleme, die Hamburg in den vergangenen Wochen und Monaten beschäftigten – allen voran für die Situation rund um die Rote Flora. Trotzdem muss sich gerade dafür möglichst schnell eine Lösung finden lassen, es kann für den Senat um Bürgermeister Olaf Scholz und den zuständigen Bezirk Altona keine andere Priorität geben. Übrigens schon aus eigenem Interesse: Für die Politik wäre es sicher nicht verkehrt, wenn sie die Rote Flora aus den Wahlen zu den Bezirksversammlungen und zur Bürgerschaft Anfang 2015 heraushalten könnte. Bleibt die Frage, wie das gelingen kann bei einem Thema, das schon befriedet schien und nun mit einer Wucht zurückgekehrt ist, die nicht nur das Schanzenviertel erschüttert.
Klar ist nach den jüngsten Vorkommnissen, dass Hamburg diesmal nach einem Weg suchen muss, der die Situation ein für alle Mal entschärft, der verhindert, dass die Rote Flora noch einmal zum Ausgangspunkt von Gewalt wird. Die Stadt kann sich diesmal nicht leisten, den Konflikt zu vertagen oder auszusitzen. Aber diese Befürchtung muss man bei Olaf Scholz normalerweise auch nicht haben. Das Problem ist nur: Was ist schon normal in den seltsam miteinander verknüpften Auseinandersetzungen um ein Kulturzentrum, um Flüchtlinge und ein Haus, das jeden Moment einstürzen könnte? Es besteht jederzeit die Gefahr, dass es hier oder dort zu einer neuen Eskalation kommt, die vernünftige, oder, um es mit Scholz zu sagen: ordentliche Lösungen erschweren. Deshalb gibt es zur Stunde nur ein Gebot: keine Gewalt.
Das muss der kleinste gemeinsame Nenner in einer Stadt sein, die sich vernünftig um unterschiedliche Lebensformen und -entwürfe streitet, die tolerant und liebenswert sein will. Und es reicht nicht, wenn sich nun nur diejenigen gegen Gewalt positionieren, die das sowieso immer tun. Von allen Lagern muss jetzt dieses eine Signal ausgehen: Dass alles möglich ist, dass man über alles reden kann – solange es dabei friedlich bleibt. Und dass man selbstverständlich nicht mit all jenen redet, die mit Knüppeln oder womit auch immer auf andere Menschen losgehen.
Hamburger gegen Gewalt. Machen Sie mit – und wenn es nur mit einer E-Mail ist. Sind Sie dabei? Schreiben Sie mir gern: Lars.Haider@abendblatt.de.