In der Antwort auf eine kleine Anfrage zu “Hamburgs vereisten Radwegen“ hieß es auch: Radwege sind im Winter nicht verkehrswichtig.
Hamburg. Gefrorene Pfützen, vereiste Gehwege, spiegelglatte Seitenstraßen: Während sich die Politiker darüber streiten, wer nun wo für die Räumung zuständig ist, wächst bei den Hamburgern der Unmut. "Der Zustand ist katastrophal", sagt die Versicherungsangestellte Silvia Hirsch (51). "Angesichts dieser Verhältnisse fragt man sich doch, ob die Stadt ihr Geld richtig einsetzt." Die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) hat jetzt für Montag eine "Krisensitzung" einberufen, an der die Chefs der Bezirksämter, Vertreter der Finanzbehörde und die Stadtreinigung teilnehmen.
Was den Ärger vieler Hamburger zusätzlich anheizt: Auf eine kleine Anfrage zum Thema "vereiste Radwege" des SPD-Bürgerschaftsabgeordneten Gunnar Eisold antwortete der Senat, dass die Hamburger Radwege „nicht verkehrswichtig“ seien. Der Politiker hatte zuvor gefragt, warum die Radwege – insbesondere in den Stadtteilen Langenhorn, Fuhlsbüttel, Ohlsdorf, Klein Borstel, Groß Borstel und Alsterdorf – überhaupt nicht eisfrei gehalten werden. Wörtlich heißt es in der Antwort: „Radwege sind bei winterlichen Verhältnissen aufgrund des geringen Radfahreraufkommens nicht als verkehrswichtig eingestuft, und somit nicht von Schnee und Eis geräumt“. SPD-Politiker Eisold: „Es gibt sehr wohl Radwege, etwa in Schulnähe, die auch im Winter geräumt werden müssen.“ Notfalls müsse dafür eben das Hamburger Wegegesetz (stammt aus dem Jahr 1974) geändert werden. Es sei „nicht zeitgemäß“, das Fahrradfahren im Winter quasi einzustellen und auf wärmeres Wetter zu hoffen. Übrigens: Der Senat teilte weiterhin mit: Wer als Radler auf einem vereisten Radweg stürze, sei in der Regel dafür selbst verantwortlich.
Auch bei der Hamburger Feuerwehr und in den Kliniken war das Thema Glatteis am Wochenende beherrschend: Die Feuerwehr registrierte bis zum Sonntag 176 „Eis-Einsätze“ - Rekord! Auch in den Krankenhäusern gab es großen Andrang. Asklepios-Sprecher Mathias Eberenz: „Im Klinikum St. Georg haben wir seit Freitag 230 neue Patienten aufgenommen, die mit Frakturen oder Prellungen durch Stürze eingeliefert wurden. An normalen Tagen haben wir etwa 70 Patienten in der Notaufnahme." Im AK Barmbek hat sich die Patientenzahl in der Notaufnahme offenbar verdoppelt. Alle Ärzte der Rufbereitschaft müssen operieren. In beiden Kliniken gibt es inzwischen Warteschlangen vor den Röntgenabteilungen. "Unser Klinikpersonal arbeitet am äußersten Limit", sagt Eberenz.
Wie kritisch die Situation auf Hamburgs Straßen ist, haben sich Abendblatt-Reporter vor Ort angesehen:
1. Station, Rathausmarkt: Auf dem Rathausmarkt ist zwar ein anderthalb Meter breiter Weg zwischen Bushaltestelle und Portal begehbar, zwei weitere Wege sind gestreut - doch sonst ist der Platz eine Eisfläche. Der zuständige Bezirksamtsleiter Markus Schreiber (SPD): "Wir haben drei private Firmen mit dem Winterdienst beauftragt. Zwei arbeiten überwiegend ordentlich, eine so gut wie gar nicht." Letzteres Unternehmen sei auch für die Räumung des Rathausmarktes eingeteilt gewesen. "Zum Glück ist dann die Stadtreinigung eingesprungen." Überhaupt ist die Stadtreinigung laut BSU ab sofort angehalten, auf öffentlichen Wegen, für die eigentlich die Bezirke zuständig sind, mitzustreuen. Die Brücke über die Alster am Jungfernstieg ist nur teilweise gestreut - für das hohe Menschenaufkommen nicht ausreichend.
2. Station, Gänsemarkt: Eisplanken soweit das Auge reicht. Die Bushaltestelle ist mittlerweile spärlich gestreut. Bezirkschef Markus Schreiber (SPD) gibt telefonisch Auskunft: "Wir haben einen etwa eineinhalb Meter breiten Weg geräumt. Für den gesamten Platz ist zurzeit kein Geld da. Hatten wir letztes Jahr noch 200.000 Euro für den Winterdienst zu Verfügung, sind es ausgerechnet in diesem strengen Winter nur noch 144.000 Euro."
3. Station, Wandsbek Markt: Vor dem Rathaus Wandsbek und am Carré ist vorbildlich geräumt. "Das liegt daran, dass unser Hausmeister so fleißig eingreift", so Bezirkssprecherin Christiane Kuhrt. Die Nebenstraßen sind dagegen kaum befahrbar, die Autos setzen auf der Schneeinsel in der Mitte der Fahrbahn fast auf. "Wir haben leider nur noch Salz für die Hauptverkehrsstraßen", sagt Reinhard Fiedler von der Stadtreinigung. Das Abkratzen des Eispanzers beschädige den Asphalt. "Und Schlaglöcher haben wir schon genug."
4. Station, diverse Seitenstraßen im Bezirk Wandsbek: Fast kein Durchkommen. Spurrillen haben sich gebildet, das Auto setzt auf der Schneeinsel in der Mitte der Fahrbahn auf. Warum wird hier offensichtlich überhaupt nicht mehr geräumt? Reinhard Fiedler, Sprecher der Stadtreinigung: „Auf Nebenstraßen streuen wir nicht. Das ist nicht mehr machbar – und auch nicht bezahlbar. Der Eispanzer auf den Nebenstraßen geht nicht weg. Abkratzen macht das Pflaster kaputt und wir haben ja schon genug Schlaglöcher. Aber selbst wenn wir Salz streuen würden, würde es Tage dauern, bis das Eis weg wäre. Wir haben ohnehin nur noch Salz für die Hauptverkehrsstraßen.
5. Station, Dehnhaide: Jörn Fischer (38) befreit vor einem Rotklinker-Mietshaus an der Dehnhaide den Gehweg von der dicken Eisschicht. "Mein Vermieter tut nichts, deshalb nehme ich die Sache jetzt selbst in die Hand", so der Sekretär. Die nächste Betriebskostenabrechnung will sich der Sekretär ganz genau ansehen. „Sonst ist erst recht ein Gespräch mit meinem Vermieter fällig.“ Kein Einzelfall: In den Bezirken sind allein am Freitag wieder Hunderte von Beschwerden eingegangen. "Wir gehen jetzt rigoros gegen säumige Hauseigentümer vor, veranschlagen ein Bußgeld von jeweils 150 Euro", sagt Thomas Pröwrock vom Bezirk Eimsbüttel. Außerdem ist die Bushaltestelle Dehnheide nicht geräumt und dur spärlich gestreut.
6. Station, Bushaltestelle Bezirksamt Eimsbüttel am Grindel: Bis vor kurzem war die Situation an der Bushaltestelle Bezirksamt Eimsbüttel katastrophal. Eis und Glätte setzten den ein- und aussteigenden Passagieren zu. Doch nun wurde die Haltestelle von Eis befreit und mit Sand bestreut.
7. Station, Fußgängerzone in Bergedorf: Dort wurde vorbildlich geräumt. So macht Einkaufen Spaß.
8. Station, Altona/Ottensen: Die breite Fußgängerzone vor dem Mercado ist eine einzige Eisfläche. Fußgänger haben große Mühe ihre Ziele zu erreichen, regelmäßig rutschen sie auf dem Eis aus. Nur direkt vor den Eingängen zu den Geschäften ist geräumt und gestreut.
9. Station, Osterstraße: Die beliebte Einkaufsstraße ist anständig gestreut. Auch der große Platz in der Nähe der U-Bahn-Aufgänge ist freigeräumt. Aber gerade die Treppe, die direkt zum Bio-Supermarkt führt, wurde nicht vom Eis befreit und stellt deswegen eine große Gefahr da. Denn gerade beim Treppensteigen rutschen viele Fußgänger aus.
10. Station, Niendorf Markt: In der Niendorfer Fußgängerzone verhält es sich ähnlich wie in Altona. Direkt vor den Geschäften sind die Gehwege geräumt, doch die Mitte ist spiegelglatt.
Reichlich Frust gibt es inzwischen übrigens auch bei den mehr als 1000 Briefträgern in der Stadt: „Die Zahl der Prellungen und Knochenbrüche liegt bei unseren Zustellern dreimal höher als in anderen Wintern“, sagt Post-Sprecher Jörg Koens. Die Zustellungen dauern derzeit deutlich länger, vereinzelt wurden auch schon Touren abgebrochen. „Was die Motivation bremst: Die Situation ist in den vergangenen Tagen nicht besser sondern schlimmer geworden.“
Hamburgs Kliniken stocken für Eis-Opfer die Notaufnahmen auf
Die Feuerwehr musste an einem Tag bis 14 Uhr zu 530 Einsätzen ausrücken, 128 davon waren "Eis-Notfälle". "Es ist wie an Silvester - absoluter Ausnahmezustand", sagt Sprecher Manfred Stahl. Das gilt auch für die Krankenhäuser, die die Notaufnahmen personell aufstocken: In der Ambulanz der Asklepios-Klinik Wandsbek arbeiten derzeit vier Unfallchirurgen - sonst ist nur einer im Dienst. Auch die Asklepios-Klinik St. Georg hat derzeit täglich bis zu 120 Patienten zu versorgen - doppelt so viele wie sonst. Bis nachts um 3 Uhr wird dort parallel operiert. Insgesamt sind es vor allem Handgelenk- und Sprunggelenkfrakturen, die die Chirurgen beschäftigen.
"Seit 1997, dem letzten Alstereisvergnügen, gab es nicht mehr so ein Aufkommen an chirurgischen Eingriffen", sagt Asklepios-Sprecher Mathias Eberenz. Ähnlich ist die Situation am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE): Fünfmal mehr Patienten kamen am Freitag in die Notaufnahme. "Leider kommt es dadurch zu längeren Wartezeiten", so Sprecherin Christine Jähn. "Wir sind auch nicht mehr in der Lage, jedem Patienten sofort ein Zimmer zuzuweisen."
Rutsch- und Verletzungsgefahr besteht laut Wirtschaftsbehörde vor allem auf Waldwegen. Das wird laut Behörde in den nächsten Tagen so bleiben. Auf einen (Wald-)Spaziergang sollte man also am Wochenende verzichten.
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