Schatz ist zum Problem für Verteidigungsminister Guttenberg geworden. Der geschasste Kommandant der “Gorch Fock“: Eine Annäherung.
Die ,Gorch Fock' ist immer unter einem glücklichen Stern gesegelt, und ich wünsche ihr, dass das auch in der Zukunft so bleibt." So gratuliert ein Kapitän seinem Schiff zum 50. Geburtstag. Es ist nicht einmal drei Jahre her, dass Kapitän zur See Norbert Schatz seiner "Gorch Fock" diesen Wunsch mit auf die Weltmeere gab. Einen Wunsch, der nicht in Erfüllung gegangen ist.
Am vergangenen Wochenende hat Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg angewiesen, den Kommandanten der "Gorch Fock" von seinen Pflichten zu entbinden.
Schatz sei "weder ,gefeuert' noch ,geschasst' oder ,rausgeworfen'", lässt Karl-Theodor zu Guttenberg erklären. Aber für Norbert Schatz muss es sich genau so anfühlen. Denn zuerst hatte Guttenberg noch erklärt, er wolle den Stand der Ermittlungen abwarten.
Bleich soll der sonst so stabile Kapitän nach seiner Absetzung gewesen sein, sagt der Fernsehreporter Andreas Schmidt, der Schatz mehrere Wochen auf der "Gorch Fock" begleitet hat. Schatz fühle sich als Bauernopfer, das herhalten muss für den politischen Zwist in Berlin. "Er muss dafür büßen, dass der Bundesverteidigungsminister in Berlin unter Druck steht", beschreibt Schmidt in der ARD die Gefühle des Kapitäns. Öffentlich äußern will oder darf sich Schatz derzeit nicht.
Der Höhepunkt und der Tiefpunkt in der Karriere des Norbert Schatz liegen damit nur wenige Tage auseinander. Am 14. Januar hat er mit der "Gorch Fock" Kap Hoorn umsegelt - "für den Segler das, was für den Bergsteiger der Mount Everest ist", so Schatz. Und jetzt die Abberufung.
Noch schweigt Schatz. Guttenberg hat den Mann mit dem markanten Schnauzbart auf dem Höhepunkt seiner Karriere um seinen Job gebracht. "Die ,Gorch Fock' ist vom seglerischen Standpunkt gesehen für mich das Nonplusultra", hat Schatz einmal dem NDR gesagt. Enttäuschte können gefährlich werden. Vor allem, wenn sie beliebt sind wie Schatz.
Guttenberg bezichtigte diejenigen, die ihn kritisierten, der "Ahnungslosigkeit". Das klingt nervös.
Norbert Schatz, Jahrgang 1957, ist am Bodensee aufgewachsen, in Bodman. Als Jugendlicher will er unbedingt segeln lernen. "Der Norbert Schatz war immer ein aufgeschlossener und liebenswerter junger Mann", sagt der Vorsitzende der Segelclubs Bodman, Ewald Grundler. Schon als Jugendlicher weiß Schatz, dass er zur Marine will.
Die "Gorch Fock" betritt Norbert Schatz zum ersten Mal Mitte der 70er- Jahre. Er ist damals Offiziersanwärter. "Zu meiner Kadettenzeit herrschte ein kameradschaftlicher, aber doch deutlich rauerer Ton an Deck", sagte Schatz über die Zeit damals. Er lernt "Reinschiff" machen, Messing putzen, aufentern. Tagsüber büffelt er Meteorologie und Nautik. Nachts muss er Wache halten. Er steht auf der Hierarchieleiter ganz unten - wie die Offiziersanwärter, die er später ausbilden wird.
Er studiert danach Vermessungswesen, 1984 kehrt er auf die "Gorch Fock" zurück, als Segeloffizier.
Nickels Peter Hinrichsen ist zu dieser Zeit Kommandeur der "Gorch Fock". "Er war ein zurückhaltender junger Mann", sagt der heute 71-jährige Hinrichsen über Schatz. "Er war ein sympathischer Vertreter." Eineinhalb Jahre lang lernt Schatz unter Hinrichsen, wie man 30 Matrosen führt. Wie man ihnen beibringt, in die Takelage zu steigen. "Zu meiner Zeit haben 15 Prozent der Kadetten geglaubt, sie hätten Höhenangst. Durch unsere Vorausbildung hat sich die Zahl auf zwei bis drei Prozent verringert. Wenn die dann immer noch eine grünliche Gesichtsfarbe bekommen haben, wurde das akzeptiert", sagt er. "Ich habe Zweifel daran, dass die Leute in die Takelage gezwungen worden sein sollen." Schatz fährt in den 80er- und 90er-Jahren auf mehreren Fregatten. Immer wieder wird er auf die "Gorch Fock" versetzt.
Im Jahr 2000 wird er zum ersten Mal Kommandant, auf der Fregatte "Bayern" und beteiligt sich an der Operation "Enduring Freedom" vor Somalia. An Bord hält sich der Marathonläufer fit: Er joggt morgens auf dem Hauptdeck. Bei der Mannschaft ist Schatz beliebt. "Zu meiner Zeit war er jederzeit ein absolut fairer Vorgesetzter", sagt Simon Bollmann, der bei Schatz als Unteroffizier auf der "Bayern" gedient hat. "Mit Sicherheit kein harter Hund, nicht jähzornig oder cholerisch." Er habe keine Unterschiede zwischen Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaft gemacht. "Der wusste, er braucht uns, um das Schiff zu führen."
Als Schatz 2006 Kommandant der "Gorch Fock" wird, hat er seinen Traumjob gefunden. Hunderte Offiziersanwärter durchlaufen seine Schule. Einer von ihnen, heute selbst Kommandant, beschreibt seinen Mentor so: "Er war immer freundlicher, umgänglicher und warmherziger als viele andere Schiffskommandanten, was ihm durchaus von so manchem verübelt wurde, der ihn für nicht hart genug, nicht militärisch und zackig genug hielt."
Dennoch kommt es unter Schatz' Kommando zu zwei tödlichen Unfällen auf der "Gorch Fock". Am 3. September 2008 geht die Offiziersanwärterin Jenny Böken vor Norderney während der Nachtwache über Bord. Am 7. November 2010 stürzt bei einer Übung die 25-jährige Sarah Lena Seele aus 27 Metern auf das Schiffsdeck.
Es sind die Ereignisse nach Seeles Tod, die Schatz in Bedrängnis bringen. Er soll den Tod als gewöhnlichen Betriebsunfall dargestellt haben. Seine Ausbilder sollen die Kameraden der Verunglückten nach dem Vorfall wieder dazu gezwungen haben, in die Takelage der "Gorch Fock" zu steigen. Als diese sich weigerten, sollen ihnen disziplinarische Konsequenzen angedroht worden sein. Ebenfalls geschmacklos sind die Bilder einer Karnevalsfeier an Bord - angeblich wenige Tage nach dem Tod der Soldatin. Auch wenn Schatz bei diesen Vorfällen nicht dabei war - als Kommandant trägt er die Verantwortung.
Schatz sagte einmal dem NDR: "Die seemännische Grundausbildung auf der ,Gorch Fock' dient in erster Linie zur Erziehung und Sozialisierung des individuellen Soldaten zum teamorientierten Besatzungsmitglied." Er hat nach den Unfällen Sachen gesagt, die ihm heute negativ ausgelegt werden: "Ich bin als Kind auf den Kirschbaum der Nachbarn geklettert, heute sitzen Jugendliche vor dem Computer. Vielleicht sollte man die Kandidaten erst mal zehn Klimmzüge machen lassen, viele schaffen das nicht."
Ob diese "Erziehung und Sozialisierung" in der Takelage des mehr als 52 Jahre alten Dreimasters zeitgemäß ist, darüber scheint es auch innerhalb des Militärs Differenzen zu geben. Viele in der Marine sehen in der Abberufung des Kommandanten den Anfang vom Ende der "Gorch Fock".
Es ist davon auszugehen, dass Schatz bald in seine Heimat zurückkehrt. Zu seiner Frau und seinen beiden Kindern, deren Geburtstage er so selten mitfeiern konnte. In den kleinen Ort Neuenburg in Niedersachsen, 30 Autominuten vom Marinestützpunkt Wilhelmshaven entfernt. Hier wohnt Schatz mit seiner Familie. An der Tür des Einfamilienhauses hängt eine große Schiffsglocke aus akkurat geputztem Messing. Frau Schatz möchte in diesen Tagen in Ruhe gelassen werden. Ebenso wie andere Verwandte. "Es ist schon genug Öl im Feuer", sagt der Schwager.
Jürgen Allmers wohnt nur wenige Häuser entfernt. "Was die mit dem Mann machen jetzt, das hat er nicht verdient", sagt er. Und seine Frau nickt da kräftig: "Ich glaube das nicht, was sie jetzt über ihn sagen und was sie ihm anhängen wollen." Sie habe ihren Nachbarn häufig im Trainingsanzug gesehen, weil er begeisterter Jogger sei: "Dem sehen Sie das hohe Tier nicht an."
Im Moment befindet sich Norbert Schatz noch auf der "Gorch Fock". Wann und wie er zurückkehrt, ist noch unklar. Am kommenden Donnerstag wird ein Untersuchungsteam im Hafen von Ushuaia, Argentinien, eintreffen, wo die "Gorch Fock" liegt. Die Besatzung misstraut vor allem den beiden Rechtsberatern des Militärs, die an Bord kommen werden. "Es geht in den nächsten 10 Tagen also nicht nur um die Aufklärung der Vorgänge, sondern um disziplinäre Ermittlungen. Und dass diese angesichts der Ministerentscheidung ergebnisoffen verlaufen werden, kann bezweifelt werden", schreibt ein Besatzungsmitglied der "Gorch Fock". Und: "Meine Prognose ist, es müssen und werden Köpfe rollen, um die Entscheidung des Ministers zu rechtfertigen und ihn politisch zu entlasten."
Gestern äußerte sich das Verteidigungsministerium zur Zukunft des abgesetzten Kommandanten: "Wenn die Anschuldigungen sich als nicht stichhaltig erweisen sollten, wird er seine Karriere wie geplant fortsetzen." Schatz' Vorgänger Nickels Peter Hinrichsen sagt: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass er wieder auf der ,Gorch Fock' eingesetzt wird."
Hinrichsen weiß, wie Schatz sich jetzt fühlt. Wie ein Kapitän ohne Schiff: "Das ist das Schlimmste, was einem passieren kann als Kommandant."