Hellmut Königshaus spricht von Einzelfällen auf der „Gorch Fock“. Doch der Wehrbeauftragte will jetzt bei der Bundeswehr gnadenlos aufklären.
Berlin. Einzelfälle ja, aber systematische Verstöße gegen die Menschenwürde in der Bundeswehr? Nein, die kann der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hellmut Königshaus, nicht erkennen. Sein erster Bericht ist dennoch brisant, fällt er doch zeitlich zusammen mit den Affären und Vorwürfen rund um das Schulschiff „Gorch Fock“, die Feldpost der Soldaten aus Afghanistan und der Diskussion um die innere Führung in der Truppe. Königshaus sagte, es gebe Einzelfälle von nicht hinnehmbaren Ereignissen, denen nachgegangen werden müsse. Hinweise auf eine Systematik oder eine Struktur dahinter könne er aber nicht feststellen, sagte Königshaus zu Berichten über Exzesse und entwürdigende Rituale bei der Armee. Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hatte deshalb eine umfassende Untersuchung zu Regelverstößen in der Armee bei angeordnet.
Mit Blick auf Schikanen, sexuelle Belästigungen und entwürdigende Praktiken sagte Königshaus, es gebe „sehr unappetitliche Dinge, die mir vorgetragen wurden“, denen nachgegangen werde. So seien ihm im vergangenen Jahr drei Fälle gravierender sexueller Übergriffe auf Soldatinnen bekannt geworden, in denen die Staatsanwaltschaft ermittle. Königshaus wertete diese Zahl als erfreulich gering und als Beleg für eine funktionierende Dienstaufsicht.
Dafür, dass aber etwa auf dem Marine-Segelschulschiff „Gorch Fock“ systematisch gegen die Menschenwürde verstoßen worden sei, habe er keine Anhaltspunkte. „Dass es strukturelle Entwicklungen dahinter gibt, die beunruhigen müssten, kann ich nicht erkennen“, sagte Königshaus. Ein abschließendes Urteil zu den Vorgängen auf dem Schiff könne er noch nicht treffen. Im Fall der bei einem Sturz vom Mast des Schiffes tödlich verunglückten Offiziersanwärterin kritisierte er die Vorgesetzten dennoch. Er habe Zweifel, ob es gut sei, ungeübte Soldaten sieben oder achtmal in die Takelage des Schiffes klettern zu lassen.
Anfang November war eine Kadettin bei einem Absturz tödlich verunglückt. Der mittlerweile von Guttenberg suspendierte Kapitän Norbert Schatz soll Berichten zufolge kalt über diesen Vorgang gesprochen haben und dann zur Tagesordnung übergegangen sein. Andere Medien berichteten von Alkoholexzessen und Demütigungen der Auszubildenden an Bord. Kommandant Schatz habe nur Pflichttermine wahrgenommen und sei „besonders häufig in Badehose gesehen worden“.
Unterdessen wurde bekannt, dass das Ermittlerteam zur Untersuchung der Vorfälle auf der „Gorch Fock“ auf sieben Experten aufgestockt worden ist. Darunter sind allein drei Juristen, wie ein Marine-Sprecher der Deutschen Presse-Agentur sagte. Das Team unter Leitung des Chefs des Marineamtes, Konteradmiral Horst-Dieter Kolletschke, wird in der Nacht zum Freitag in Ushuaia in Südargentinien erwartet, wo die „Gorch Fock“ auf Reede liegt. Das Schulschiff soll unter dem Kommando seines früheren Kapitäns und Rostocker Marineoffiziers Michael Brühn nach Kiel zurückkehren. Der von Guttenberg (CSU) abberufene Kommandant Norbert Schatz ist nach Marine-Angaben nicht mehr an Bord. Königshaus hat sich außerdem für eine Gleichstellungsbeauftragte auf der „Gorch Fock“ ausgesprochen. „Wenn sie weiterfährt mit gemischter Besatzung wäre das durchaus vernünftig.“
Königshaus stellte sich hinter die Entscheidung von Guttenberg, Schatz zu suspendieren, wollte diesen Schritt aber als Akt der Fürsorge verstanden wissen. Eine Vorverurteilung sei damit nicht verbunden. Schatz könne unter dem auf ihm lastenden öffentlichen Druck nicht unbefangen die für eine Atlantiküberquerung nötige harte Einsatzbereitschaft seiner Mannschaft einfordern.
In der Affäre der geöffneten Feldjägerpost befürwortete Königshaus Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Er werde den Ermittlern nun mitteilen, dass die Bundeswehr davon ausgehe, dass die Briefe in Deutschland geöffnet worden seien. Sollte sich herausstellen, dass der Zoll hinter den Öffnungen stecke, müsse auch dies untersucht werden. „Auch ich möchte meine privaten Fotos nicht von Oberzollamtsrat Müller kontrolliert sehen“, sagte Königshaus.
Die eigentlichen Schwerpunkte des Jahresberichts 2010 sind die Vereinbarkeit von Familie und Dienst, Auslandseinsätze und die Lage im Sanitätsdienst. Er habe „mit Freude“ festgestellt, dass es deutliche Verbesserungen bei der Ausrüstung gegeben habe, sagte Königshaus. Angesichts der Aussetzung der Wehrpflicht müsse der Dienst in den Streitkräften deutlich attraktiver werden als derzeit, forderte Königshaus. Wichtig für die Soldaten sei auch eine heimatnahe Stationierung. Der Dienstherr sollte die Chancen der geplanten Strukturreform dazu nutzen, Trennungen von Familien so weit wie möglich zu reduzieren. 70 Prozent der Soldaten führten Wochenend-Ehen.
Auch bei der Kinderbetreuung sei die Bundeswehr „enorm schlecht aufgestellt“, zumal es immer mehr Ehen gebe, in denen beide Partner bei der Bundeswehr seien. Im Sanitätsdienst sei der Mangel an Ärzten und Pflegepersonal noch immer nicht ausgeglichen, kritisierte Königshaus. „Das ist aus meiner Sicht nicht sachgerecht.“