Die SPD will zu Guttenberg wegen der Meuterei vor den Ausschuss des Bundestags zitieren. Die “Gorch Fock“ ist auf dem Weg nach Argentinien.
Hamburg/Glücksburg/Ushuaia. Die mögliche Meuterei auf dem deutschen Segelschulschiff "Gorch Fock" hat nun auch die SPD auf den Plan gerufen. Die Partei will Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) wegen der Vorgänge bei der Bundeswehr vor den Verteidigungsausschuss des Bundestags zitieren. Der Minister müsse bei der nächsten Sitzung am Mittwoch kommender Woche umfassend Auskunft geben, verlangte SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold am Donnerstag in Berlin. Dabei soll es unter anderem um die angebliche „Meuterei“ auf der „Gorch Fock“ gehen.
„Guttenberg muss die drei Vorgänge zur Chefsache machen“, sagte Arnold auch im Hinblick auf die Öffnung von Feldpost-Briefen und den Tod eines Soldaten kurz vor Weihnachten in Afghanistan . Der CSU-Politiker versuche jedoch „wie immer, die Dinge von sich fernzuhalten“. Klar sei jedenfalls, dass in seinem Ressort nicht richtig erkannt werde, über welche Vorfälle der Minister informiert werden müsse.
Zu der angeblichen „Meuterei“ auf der „Gorch Fock“ nach dem tödlichen Unfall der Offiziersanwärterin Sarah Lena S. im vergangenen November sagte Arnold: „Mit Meuterei hat das Sperrigsein der Offiziersanwärter nichts zu tun. Sie haben ihre staatsbürgerliche Pflicht erfüllt – nach dem Prinzip der inneren Führung unsinnige oder gar rechtswidrige Befehle infrage zu stellen.“ Möglicherweise seien die Vorgänge sogar strafrechtlich relevant.
Arnold verwies darauf, dass die verunglückte Kadettin nur 1,59 Meter groß gewesen sei. Damit hätte sie die erforderliche Mindestgröße nicht erfüllt, um auf die Takelage klettern zu dürfen. Zudem sei zwei Tage nach dem tödlichen Unfall am 7. November auf dem Schiff Karneval gefeiert worden. Offensichtlich habe es einen „tiefen Bruch zwischen Stammbesatzung und Offiziersanwärtern“ gegeben.
Guttenberg selbst verlangt umfassende Aufklärung nach der angeblichen Meuterei. Aufschluss erhofft sich der Minister von einem Ermittlungsteam, das die Vorgänge nach dem Tod von Sarah Lena S. aufklären soll. Das Team wird nach Angaben des Ministeriums vom Donnerstag zusammengestellt und soll sich dann auf den Weg machen. Unklar ist noch, wann die Ermittlungen beginnen sollen.
Wegen der Ermittlungen kehrt die „Gorch Fock“, die auf Weltumseglung ist, zu ihrem letzten Hafen Ushuaia in Argentinien zurück. Dort soll das Ermittlerteam an Bord gehen. Nach dem Tod der Kadettin hatten Mitglieder der Besatzung Vorgesetzten Versagen vorgeworfen. Zudem sei das Vertrauen zwischen der Stammmannschaft und den Offiziersanwärtern gestört gewesen. Der Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus schrieb in einem Brief an den Verteidigungsausschuss über Meuterei-Vorwürfe gegen vier Auszubildende. Die Ermittler müssen auch Vorwürfen nachgehen, die Stammbesatzung habe Offiziersanwärter bedroht und sexuell belästigt.
Im Nachrichtensender N24 wies Königshaus am Donnerstag die Meutereivorwürfe sowie Zweifel am Ausbildungskonzept des Segelschulschiffs allerdings zurück. „Es gab keine Meuterei“, sagte Königshaus. Es habe lediglich Vorwürfe gegenüber den Seekadetten gegeben, die „in diese Richtung gingen“. So habe die Schiffsführung nicht gutgeheißen, dass Seekadetten nach dem Unfall nicht zum Tagesbetrieb übergehen und insbesondere nicht zum Klettern in der Takelage veranlasst werden wollten.
Wenig Verständnis zeigte Königshaus für die Beschwerden von Seekadetten über einen rauhen Umgangston und mangelnden persönlichen Komfort an Bord des Schiffes. Damit müssten die angehenden Offiziere klarkommen. Grundlegende Zweifel an der Seekadettenausbildung auf der „Gorch Fock“ hält der Wehrbeauftragte für unangebracht: „Es geht jetzt nur darum, ob nach dem tödlichen Unfall die richtigen Maßnahmen getroffen wurden. Das Konzept selbst, das Schiff selbst - alles dies steht hier überhaupt nicht infrage.“ Der vorübergehende Ausbildungsstopp auf der „Gorch Fock“ habe lediglich einer Deeskalation der aufgeheizten Stimmung an Bord gedient.
An Bord der „Gorch Fock“ befindet sich derzeit die Stammbesatzung unter Kapitän Norbert Schatz. Die Ausbildung war nach dem tödlichen Sturz der 25-jährigen Offiziersanwärterin von der Takelage ausgesetzt worden. Die anderen Anwärter kehrten nach Deutschland zurück. Ihre Aufgaben wurden von der Stammbesatzung und eingeflogenen Soldaten übernommen, damit der Dreimaster die Fahrt fortsetzen kann.Ein Ministeriumssprecher sagte: „Es gibt keine Entscheidung, dass die Reise abgebrochen wird.“ Ein Sprecher der Marine sagte, der Dreimaster werde noch am Donnerstag gegen 18 Uhr (deutsche Zeit) in der südlichsten Stadt Argentiniens erwartet.
„Das sind schwerwiegende Vorwürfe“, sagte der Marine-Sprecher, Fregattenkapitän, Alexander von Heimann. „Wir werden jetzt alles Menschenmögliche tun, um den Sachen nachzugehen und das aufzuklären.“ Die Untersuchungskommission soll zügig Gespräche mit allen Beteiligten führen.
Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch, warnte vor voreiligen Schlüssen. Man müsse prüfen, ob Sicherheitsbestimmungen verletzt worden seien, sagte Kirsch dem Abendblatt. „Manchmal stellt sich am Ende manches anders dar als am Anfang.“ Kirsch verteidigte das Ausbildungskonzept auf dem Segelschiff. „Es gibt keine bessere Ausbildung als auf einem Schiff, wenn es um den Crew-Gedanken geht.“ Das Konzept werde sich auch in Zukunft bewähren. In der vergangene Woche war schon eine Delegation des Wehrbeauftragten zu Gesprächen bei der Besatzung gewesen. Demnach hatten sich nach dem tödlichen Sturz der Kameradin trauernde Offiziersanwärter geweigert, wieder in die Takelage zu klettern. Sie sollen trotzdem zum sogenannten Aufentern gedrängt worden sein.
Lesen Sie dazu auch den aktuellen Abendblatt-Bericht:
Politiker bestürzt über Vorfälle auf "Gorch Fock"
Die Meuterei-Vorwürfe auf dem Marine-Segelschulschiff "Gorch Fock" sorgen für Entsetzen. Der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, Ulrich Kirsch, reagierte bestürzt, warnte aber vor Vorverurteilungen: "Manchmal stellt sich am Ende manches anders dar als am Anfang", sagte Kirsch dem Abendblatt. "Diejenigen, die ihren Dienst ordentlich versehen haben, müssen wir schützen. Diejenigen, die aber ein Fehlverhalten an den Tag gelegt haben, müssen zur Rechenschaft gezogen werden." Man müsse prüfen, ob Sicherheitsbestimmungen verletzt worden seien. "Wenn es so war, dann geht das zulasten der Ausbilder", stellte Kirsch fest.
Nachdem im November eine 25-jährige Offiziersanwärterin aus der Takelage gestürzt und tödlich verunglückt war, hatten sich andere Kadetten geweigert, ebenfalls in die gut 30 Meter hohen Masten zu klettern. Von Ausbildern kam dann massiver Druck, gegen vier Kadetten wurde an Bord der Vorwurf von Meuterei laut, wie jetzt aus einem Bericht des Wehrbeauftragten hervorgeht.
Der Bundeswehrverbandsvorsitzende Kirsch stellte sich zugleich hinter das Ausbildungskonzept auf dem Segelschulschiff. "Es gibt keine bessere Ausbildung als auf einem Schiff, wenn es um den Crew-Gedanken geht. Das hat sich über viele Generationen bewährt, und es wird sich auch in Zukunft bewähren", so Kirsch. Die "Gorch Fock" sei ein Markenzeichen der Marine. "Es ist bedauerlich, dass dieses tolle Schiff so schlechte Schlagzeilen bekommt", sagte er weiter. "Aber wo Menschen sind, menschelt es auch."
Auch Politiker von FDP und Union verlangen die Aufklärung der Meuterei-Vorwürfe auf der "Gorch Fock". Der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Ernst-Reinhard Beck, sagte dem Abendblatt: "Die Frage ist nicht, ob die Ausbildung zu gefährlich ist. Entscheidend ist vielmehr: Ist die Ausbildung auf einem Segelschiff heute noch zeitgemäß oder nicht?" Der Hamburger FDP-Bundestagsabgeordnete Burkhardt Müller-Sönksen, Mitglied im Verteidigungsausschuss, betonte im Abendblatt: "Die Marine war bisher bekannt für ihre vorbildliche menschliche Führung." Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, müssten sie mit entsprechender Härte verfolgt werden.
Der tödliche Unfall in Brasilien war bereits der siebte seit Indienststellung des Dreimasters vor fast 53 Jahren, und der zweite unter dem Kommando von Kapitän zur See Norbert Schatz, seit dieser 2006 die Führung übernommen hatte. 2008 war die Offiziersanwärterin Jenny B. kurz vor ihrem 19. Geburtstag nachts vor der Insel Norderney über die 1,60 Meter hohe Reling in die Nordsee gestürzt. Auch 2002 und 1998 waren bereits junge Soldaten aus der Takelage gefallen und an ihren Verletzungen gestorben.
Mit Material von dpa und dapd