Knapp 8000 Hamburger haben per Unterschrift gegen die Schließung des Altonaer Museums protestiert. Der Direktor spricht von “Vernichtung“.
Hamburg. Manchmal muss man sogar Schlange stehen, um sich in die Unterschriftenlisten einzutragen, die im Eingangsbereich des Altonaer Museums ausliegen. Den ganzen Tag über kommen Menschen hierher, um handschriftlich gegen die zum Jahresende bevorstehende Schließung des fast 110 Jahre alten Museums zu protestieren. Sie kommen aus ganz verschiedenen Stadtteilen: Jugendliche mit grün gefärbten Haaren aus Ottensen, smarte Anzugträger aus den Elbvororten, Mütter mit quengelnden Kleinkindern, pensionierte Oberstudienräte und Verkäuferinnen aus einem nahe gelegenen Supermarkt. Aber auch Studenten von der TU Harburg, ein Arbeiter im Blaumann oder ein Bahnmitarbeiter in Uniform, der vom nahe gelegenen Altonaer Bahnhof kurz herübergekommen ist. Die Listen werden immer länger, am Freitag waren es schon knapp 8000 Unterschriften.
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Das gläserne Foyer, in dessen Mitte ein großes Schiffsmodell von der Decke hängt, ist wie geschaffen für diese Protestaktion. Erst im November des vergangenen Jahres war der Eingangsbereich nach seiner kompletten Neugestaltung wiedereröffnet worden. Drei Millionen Euro hat das gekostet, drei Millionen Euro, die - wie es nun scheint - sinnlos verschwendet, die in den Sand gesetzt wurden. Schließung in schönerem Ambiente, gewissermaßen.
Aber jetzt erfüllt das lichtdurchflutete, von dem Hamburger Architekten Jan Störmer mit großem Respekt und sicherem ästhetischen Gespür an das historische Museumsgebäude angefügte Foyer einen völlig neuen Zweck. Es ist zum Forum geworden, zum Sammelpunkt, zur Nachrichtenbörse jener, die dem Altonaer Museum verbunden sind, die noch nicht aufgeben wollen, die sich herausgefordert fühlen, dem Kultursenator und dem Bürgermeister zu widersprechen. Es sind nicht die üblichen Verdächtigen, die oft an Demos teilnehmen, sondern auch Menschen, die nie zuvor öffentlich protestiert haben. Die klassische CDU-Klientel und natürlich auch viele GAL-Wähler.
Hier herrscht eine merkwürdige Stimmung, es ist weniger Wut zu spüren, sondern eher Fassungslosigkeit. "Das kann einfach nicht ernst gemeint sein, das geht doch gar nicht", sagt eine ältere Dame, die schnell ins Gespräch kommt mit anderen Leuten aus Ottensen, die sich in die Listen eintragen. Aber die bevorstehende erste Schließung eines großen kulturhistorischen Museums in der Geschichte der Bundesrepublik ist kein schlechter Scherz, kein Irrtum, sondern ein Beschluss des Hamburger Senats. Und deshalb kann sich die Stimmung der Menschen auch schnell von Ratlosigkeit in Zorn verwandeln.
Das geschah zum Beispiel am Mittwochnachmittag, da formierte sich hier vor dem Foyer ein Protest-Orchester in Sinfonieorchester-Stärke, das mit Tröten, Klappern und Kochtöpfen viel Lärm produzierte, um schließlich zum Altonaer Rathaus hinüberzuziehen. Dort war ein staatstragender Festakt zum 700. Jubiläum von Ottensen geplant, der sich binnen kurzen in eine Protestversammlung verwandelte.
Einen Besucheransturm wie am vergangenen Wochenende erlebt das Altonaer Museum an den Wochentagen zwar nicht, viele kommen nur, um zu unterschreiben, haben keine Zeit für einen Museumsbesuch. Trotzdem lag auch in den vergangenen Tagen die Zahl der Museumsbesucher deutlich höher als in der Zeit vor der Krise.
Es ist so, als wollten viele noch einmal in Ruhe betrachten, was ihnen vielleicht bald für immer genommen wird: die wunderbare Sammlung von historischen Galionsfiguren zum Beispiel oder die original erhaltenen historischen Bauernstuben. Der Kinder-Olymp, der erst in dieser Woche von der Dr.-E.-A.-Langner-Stiftung als "innovatives und nachhaltiges Projekt der Kinder- und Jugendkultur" ausgezeichnet wurde, ist ohnehin immer gut besucht. Und vor allem junge Familien schätzen das Kinderbuch-Haus, das Kindern spielerisch Zugang zu Literatur, Illustrationen und damit zu bildender Kunst eröffnet.
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Pressesprecher Matthias Seeberg zeigt auf die Fischereidioramen, die Museumsgründer Otto Lehmann zu Eröffnung des Hauses 1901 selbst konstruiert hatte. "Das sind einzigartige Modelle über Fischereimethoden, die inzwischen zu unersetzlichen historischen Quellen geworden sind. Leider lassen sie sich nicht mehr demontieren. Wenn man sie aus dem Haus schaffen wollte, müsste man die Fassade aufreißen", sagt Seeberg.
In einem Büro im ersten Stock sind die Museumsmitarbeiterinnen Sylvia Judat und Antje Schmidt damit beschäftigt, die Sammlung digital zu erfassen. Dieses Digitalisierungsprogramm ist ein Herzstück der von Ex-Kultursenatorin Karin von Welck angeschobenen Museumsreform. 50 000 Datensätze sind bereits nach einheitlichen Kriterien digitalisiert und über die internationale Kulturdatenbank Europeana abrufbar. "Standort: Altonaer Museum" ist zu den einzelnen Objekten vermerkt. Aber das wird wohl bald überholt sein. Vielleicht ist die gesamte Arbeit umsonst gewesen, denn nicht nur dem Museum, sondern der kompletten Sammlung droht jetzt ernste Gefahr. "Wenn man die Objekte von ihrer Dokumentation trennt, besteht die Gefahr, dass sie verloren gehen", meint die Kunsthistorikerin Antje Schmidt, die keine Ahnung hat, ob ihre mühsame Arbeit überhaupt noch Sinn macht.
Für Museumsdirektor Torkild Hinrichsen stellt sich die Sinnfrage schon nicht mehr. Für ihn geht es jetzt ums Ganze. Der bärtige Mann, der wie ein gemütlicher alter Seebär wirkt, hat längst aufgehört, gemütlich zu sein. Er will jetzt kämpfen, will Unheil verhindern und nimmt es in Kauf, vielleicht auf verlorenem Posten zu stehen. Er ist wortgewandt, sarkastisch, kommentiert den Senatsbeschluss mit beißendem Spott.
Eine museumsgerechte Lagerung der Sammlung? Das hält er für ausgeschlossen. "Was jetzt droht, ist ein Räumkommando, dem es nicht mehr um Kulturgut geht, sondern nur noch um zu verschiebende Masse", sagt er.
Die Dimensionen sind gewaltig, denn das Museum verfügt über mehr als 640 000 Objekte, deren Wert auf etwa 200 bis 300 Millionen Euro geschätzt wird. Und das ist Hamburger Staatsvermögen. Wird es jetzt veruntreut?
"Die Vierländer Kate wäre futsch, die Bauernstuben sind fest eingebaut, die Großdioramen lassen sich nicht transportieren", sagt er, und dann fügt er leise hinzu: "Hier geht es nicht um eine Schließung. Was dem Altonaer Museum droht, ist die Vernichtung."
Er wird das in Zukunft nicht mehr leise sagen, sondern immer wieder und sehr laut. Denn Torkild Hinrichsen hat noch nicht aufgegeben, und die vielen Menschen, die vor den Unterschriftenlisten im gläsernen Foyer sogar Schlange stehen, lassen ihn hoffen, dass der Kampf vielleicht doch noch nicht ganz verloren ist.