Über 450 Menschen haben am Freitagabend bei einem Trauermarsch in Wilhelmsburg der gestorbenen Mädchen Chantal und Lara Mia gedacht.

Hamburg. Über 450 Menschen haben am Freitagabend bei einem Trauermarsch in Hamburg-Wilhelmsburg der gestorbenen Mädchen Chantal und Lara Mia gedacht. Gegen 18 Uhr versammelten sich Anwohner, Bekannte und Angehörige der betroffenen Familien auf dem Stübenplatz und zogen eine halbe Stunde schweigend durch den Stadtteil. Bei Temperaturen von minus sieben Grad wärmte das Deutsche Rote Kreuz die Menschen mit heißem Tee ein wenig auf.

Chantal war am 16. Januar in Wilhelmsburg an einer Überdosis der Heroin-Ersatzdroge Methadon gestorben . Die Elfjährige lebte bei Pflegeeltern, die beide drogenabhängig und in einem Methadon-Programm sind. Im selben Stadtteil war 2009 auch das neun Monate alte Baby Lara Mia ums Leben gekommen. Das Mädchen war unterernährt, die genaue Todesursache konnte nicht geklärt werden.

+++Jugendamt ignorierte Hinweis von Lehrerin+++

+++Bezirksamtschef Schreiber muss sich immer wieder korrigieren+++

Nach Informationen der „Welt“ (Sonnabend) konsumierten die Pflegeeltern von Chantal noch bis vor kurzem Heroin. In Blut- und Haarproben sei nicht nur Methadon, sondern auch Heroin nachgewiesen worden. Das bedeute, dass die Pflegeeltern keinesfalls ihre Sucht mit der Ersatzdroge im Griff gehabt hätten, berichtete die Zeitung. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Wilhelm Möllers, wollte sich aus Ermittlungsgründen zu „eventuellen Zwischenergebnissen“ nicht äußern. Offiziell soll die Ermittlungsbehörde die Ergebnisse der Blut- und Haarproben von Chantals Pflegeeltern in der kommenden Woche erhalten. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die beiden wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung.

Die Organisatorin des Trauermarsches, Anne Böhm, zeigte sich begeistert von der Anzahl der Teilnehmer. „Das ist Wahnsinn. All die Menschen sind gekommen, um den Kindern zu sagen „Wir sind bei euch„“, sagte Böhm. Im nächsten Monat solle wahrscheinlich ein weiterer Marsch zum Bezirksamt Mitte stattfinden. Laut Mitorganisator Georg Ehrmann von der Deutschen Kinderhilfe war der Marsch am Freitag der erste dieser Art.

Böhm forderte von der Hamburger Politik Aufklärung im Fall Chantal. „Es muss alles aufgedeckt werden. Die Bürger verlieren sonst das Vertrauen in unsere Regierung.“ Ehrmann sagte, dass die Reform der Hamburger Jugendhilfe in den vergangen Jahren zunächst Früchte getragen habe. „Ich hatte den Eindruck, Hamburg macht sich auf den Weg. Dann kam vor zwei Jahren der Hungertod von Lara Mia, und jetzt dieses Desaster, so dass man sagen muss, Hamburg hat sich ganz weit zurückentwickelt.“ Ehrmann appellierte an die Politik, „mit hanseatischer Geschlossenheit“ die derzeitigen Probleme zu lösen.

Die Opposition in der Bürgerschaft verlangte geschlossen die Ablösung des verantwortlichen Bezirksamtschefs Markus Schreiber (SPD). Die Grünen in Hamburg-Mitte wollen in der nächsten Bezirksversammlung ein konstruktives Misstrauensvotum gegen Schreiber beantragen. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) forderte „schonungslose Aufklärung“. Noch wichtiger sei aber „die Lösung der strukturellen Probleme“, sagte sie der in Berlin erscheinenden Tageszeitung „Die Welt“ (Freitag). Die Arbeitsbelastung bei den Jugendämtern sei häufig unerträglich gewesen.

Am Freitagnachmittag gedachte auch die Reiherstieg-Kirchengemeinde in Wilhelmsburg des toten Mädchens. „Wir trauern um dieses Kind, das so fröhlich war“, sagte die evangelische Pastorin Carolyn Decke. Zahlreiche Kerzen als „Botschaft“ an die Elfjährige wurden angezündet, Bilder erinnerten an sie und die Gläubigen stimmten ein „Kindermutmachlied“ an. Das Mädchen wird nach dpa-Informationen Anfang nächster Woche im engsten Familienkreis beerdigt.

Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (Unicef) kritisierte, die Überlastung von Jugendämtern, unklare Zuständigkeiten und eine mangelnde Bündelung von Informationen führten immer wieder dazu, dass Gefahrenzeichen nicht rechtzeitig erkannt würden. „Jugendämter müssen personell, fachlich und organisatorisch angemessen ausgestattet sein, um Kinder und Familien verlässlich zu begleiten“, forderte der Geschäftsführer von Unicef Deutschland, Christian Schneider, in Köln. (dpa)