Razzia in der Behörde. Bezirkschef: “Es wurde eine Reihe von Fehlern gemacht.“
Hamburg. Nach dem Methadon-Tod der elfjährigen Chantal aus Hamburg-Wilhelmsburg hat es erste personelle Konsequenzen gegeben: Markus Schreiber (SPD), Leiter des Bezirksamts Mitte, hat die Jugendamtsleiterin Pia Wolters von ihren Aufgaben entbunden. "Frau Wolters war nicht in der Lage, das Jugendamt so zu strukturieren, dass es funktioniert", sagte Schreiber dem Abendblatt. "Sie wird ab sofort nur noch für die Aufarbeitung des Falls und die staatsanwaltlichen Ermittlungen zur Verfügung stehen."
Die Schülerin Chantal lebte in der Obhut von Pflegeeltern, die beide drogensüchtig sind und den Ersatzstoff Methadon erhalten. Angeblich ist dies weder dem Jugendamt noch den Mitarbeitern eines freien Trägers, die das Mädchen besucht hatten, aufgefallen. Auch die Verwahrlosung in der Wohnung wollen sie nicht bemerkt haben. Schreiber sagte, nach Abschluss der Untersuchung werde eine neue Aufgabe für Pia Wolters gesucht - außerhalb des Bezirksamts Mitte. Heute soll ihr Stellvertreter die Amtsgeschäfte übernehmen.
Schreiber selbst lehnt einen Rücktritt weiterhin ab. "Es ist eine Reihe von Fehlern im Jugendamt gemacht worden", räumte er ein. So habe es fünf Hinweise auf Drogen in der Pflegefamilie gegeben, sagte Schreiber gestern Abend vor dem Familienausschuss der Bürgerschaft. "Dem ist nicht genug nachgegangen worden."
Die oppositionellen Christdemokraten sehen keine Zukunft mehr für Schreiber: Die CDU-Bürgerschaftsfraktion forderte gestern seinen Rücktritt; er habe in der politischen Verantwortung für sein Bezirksamt versagt.
"Das Verhalten von Markus Schreiber - angefangen mit der Feststellung, Chantal sei es bis zuletzt gut gegangen, bis zu Äußerungen, Konsequenzen nur dann tragen zu wollen, wenn ihm persönliche Schuld nachgewiesen werde - ist seines Amtes unwürdig", sagte Christoph de Vries, familienpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion. Immer wieder kämen Mädchen im Bezirk Mitte auf tragische Weise ums Leben. "Nicht nur bei Chantal, auch bei Lara-Mia und Morsal sah das Jugendamt Mitte keine Bedenken und schritt nicht ein", kritisierte de Vries.
Unterdessen hat die Hamburger Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen im Todesfall Chantal ausgeweitet. "Wir ermitteln nun auch gegen bislang unbekannte Mitarbeiter des Jugendamts und des Trägers Verbund sozialtherapeutischer Einrichtungen wegen des Verdachts der Verletzung der Fürsorgepflicht", bestätigte Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers dem Abendblatt.
Gestern durchsuchten acht Polizisten und ein Staatsanwalt die Räume des Jugendamts in Wilhelmsburg und die Büros vom Verbund sozialtherapeutischer Einrichtungen (VSE) in Wilhelmsburg und Hausbruch. Insgesamt wurden 15 Jugendhilfe- und Pflegeakten sowie Dateien von mehreren Computern sichergestellt.
"Im Jugendamt wurden 14 Akten vollständig kopiert und mitgenommen. Die Jugendamtsmitarbeiter haben sich sehr kooperativ verhalten", sagte Möllers. In den Räumen des VSE sei eine Akte beschlagnahmt worden, zudem nahmen die Beamten elektronische Dateien mit. "Die Auswertung wird mehrere Wochen in Anspruch nehmen."