Sie sprach schon im April 2011 von Verwahrlosung in Chantals Pflegefamilie. Opposition: Bürgermeister soll Bezirksamtschef zum Rücktritt drängen.
Hamburg. Neue Vorwürfe gegen das Jugendamt Hamburg-Mitte im Zusammenhang mit dem Tod der elfjährigen Chantal : Die Klassenlehrerin von Chantals achtjähriger Stiefschwester Ashley hatte seit April 2011 das Jugendamt mehrfach auf die katastrophalen Zustände in Chantals Pflegefamilie hingewiesen. Das Jugendamt griff jedoch nicht ein. Die Pflegeeltern, zugleich Ashleys Großeltern, sind drogenabhängig und erhalten den Ersatzstoff Methadon. Chantal war an einer Methadon-Vergiftung gestorben.
Ashley besucht die Elbinselschule in Wilhelmsburg. "Die Klassenlehrerin hat von erheblicher Verwahrlosung gesprochen. Das Kind war unsauber, häufig fehlten Schulunterlagen", bestätigte Peter Albrecht, Sprecher der Schulbehörde, einen Bericht von NDR 90,3. Schulsenator Ties Rabe (SPD) hatte die zuständige Schulaufsicht nach Chantals Tod beauftragt, die Informationen über die vier Kinder und Pflegekinder, die den Schulen vorliegen, zusammenzustellen. Der mehrseitige Bericht ist inzwischen an die Innenrevision der für die Bezirke zuständigen Finanzbehörde gegangen, die einen Gesamtbericht zum Fall Chantal zusammenstellt.
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"Bei drei der vier Kinder findet sich nichts Bedeutsames hinsichtlich der Familiensituation", sagte Albrecht. Das gilt auch für Chantal, die zuletzt die fünfte Klasse der Nelson-Mandela-Stadtteilschule besuchte und zuvor auf der Elbinselschule war. Nur die Schülerakte der achtjährigen Ashley ist gut gefüllt. Die Pflegeeltern zeigten laut Unterlagen kein Interesse an den schulischen Belangen ihres Enkelkindes. Das galt für Unterschriften, die geleistet werden mussten, oder die Teilnahme an Elternsprechtagen. Einmal holten sie Ashley nicht nach dem Schulschwimmen ab, sodass der stellvertretende Schulleiter das Kind nach Hause bringen musste. "Bei dem Besuch hat er auch Einblick in die Wohnsituation erhalten", sagte Albrecht.
Die Eltern werden als "grob und hart" gegenüber den Kindern beschrieben. "Die Lehrerin hat auch von Aggressionen des Kindes gegen andere Kinder im Unterricht berichtet", sagte Albrecht. Die Pflegeeltern hätten sich in Gesprächen scheinbar einsichtig gezeigt, geändert habe sich jedoch nichts.
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"Die Klassenlehrerin hat sich daraufhin an das Jugendamt gewandt. Sie hat die unhaltbaren Zustände geschildert und auf Abhilfe gedrängt", so der Sprecher. "Die Mitarbeiterin des Jugendamtes war überrascht von der Darstellung der Lehrerin", sagte Albrecht. Nach der Aussage der Mitarbeiterin sei "alles bestens und heile Welt" gewesen, wenn die Pflegefamilie aufgesucht worden sei. Laut den Unterlagen ist das Jugendamt den Vorwürfen dann auch nicht nachgegangen.
"Wir haben uns entschlossen, dass wir zu einzelnen Vorwürfen, Komponenten und Details keine Stellung mehr nehmen wollen", sagt Sorina Weiland, Sprecherin des Bezirksamts Mitte. Weiland: "Wenn die Ermittlungsergebnisse vorliegen, die Innenrevision abgeschlossen ist und uns ein Gesamtbild vorliegt, werden wir uns äußern." Die Vorwürfe aus der Elbinselschule würden überprüft, so Weiland.
Nach Rücktrittsforderungen aller Oppositionsparteien gegen Mitte-Bezirksamtsleiter Markus Schreiber (SPD) wächst nun auch der Druck auf Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), Schreiber abzuberufen. "Olaf Scholz muss eingreifen: Er kann als Bürgermeister die Dienstenthebung des Bezirksamtsleiters einleiten, er kann dem Genossen Schreiber den Rücktritt nahelegen", sagte FDP-Fraktionschefin Katja Suding. Auch aus Sicht des CDU-Familienpolitikers Dennis Gladiator muss Scholz ein Disziplinarverfahren gegen Schreiber einleiten. Der Bezirksamtsleiter habe mit dem Eingeständnis, die aus seiner Sicht ungeeignete Jugendamtsleiterin Pia Wolters seit 2009 nicht abgelöst zu haben, eine Amtspflichtverletzung eingeräumt.
Wie das Abendblatt erfuhr, soll Chantal Anfang der kommenden Woche beerdigt werden. Das abschließende Obduktionsergebnis wird für Mitte Februar erwartet. Heute um 18 Uhr werden sich mehrere Hundert Wilhelmsburger zu einem Schweigemarsch für Chantal und die 2009 auch im Stadtteil an Unterernährung gestorbene Lara- Mia versammeln.