In Jenfeld wächst Protest gegen Unterbringung von ehemaligen Sicherungsverwahrten. Vier Beamte bewachen die Männer.
Jenfeld. Die Nachricht traf sie wie ein Faustschlag. Am Montagmorgen, knapp zwölf Stunden nachdem der ehemalige Sicherungsverwahrte Hans-Peter W. in das gelbe Klinkerhaus an der Straße Elfsaal eingezogen war, erfuhr Diana Scheuermann aus der Zeitung von ihrem neuen Nachbarn. "Wut, Hilflosigkeit, Entsetzen - alle diese Gefühle kamen in diesem Moment in mir hoch", sagt die 38-jährige Jenfelderin. Sofort habe sie ihre beiden Kinder zu den Großeltern gebracht, um mit Anwohnern an der Einfahrt, die zum neuen Zuhause des verurteilten Schwerverbrechers führt, gegen die Unterbringung von Ex-Sicherungsverwahrten auf dem Gelände des Alten- und Pflegeheims Holstenhof zu protestieren.
Bereits um 8.30 Uhr versammelte sich ein Dutzend Jenfelder mit heißem Kaffee im Gepäck zu einer spontanen Mahnwache. "Wir werden hier weiterhin jeden Tag stehen", sagt der Anwohner Ralf Sielmann, der die Protestaktionen organisiert. Er und seine Nachbarn wollten so lange auf die Straße gehen, bis der Senat Hans-Peter W. woanders untergebracht habe. "Wenn es sein muss, versammeln wir uns hier die nächsten elf Monate - bis der Mietvertrag von dem Mann ausgelaufen ist."
Dass sich viele Jenfelder gegen den neuen Nachbarn wehren wollen, wurde spätestens gestern Abend deutlich: Knapp 100 Demonstranten trafen sich am Elfsaal. "Mich hat fast der Schlag getroffen, als ich von der Nacht-und Nebel-Aktion gehört habe", sagt die 74-jährige Vera Bochow. Ihr mache der neue Nachbar Angst. "Zudem befürchte ich, dass er nicht der einzige Bewohner in dem Haus bleiben wird." Eine Vermutung, mit der die Rentnerin richtig lag: Unbemerkt von den Anwohnern zog gestern Nachmittag auch der 1993 wegen Totschlags verurteilte Schwerverbrecher Karsten D. in eine der Zweizimmerwohnungen im ersten Stock des Hauses ein. "Ja, auch Karsten D. hat sich dazu entschlossen, in das Gebäude umzuziehen", bestätigte Justizbehördensprecher Sven Billhardt. Bereits am Sonntag hatte der Ex-Sicherungsverwahrte Hans-Peter W. mit seinem Labrador und in Begleitung von Polizeibeamten sein neues Zuhause betreten. Billhardt: "Es war seine alleinige Entscheidung umzuziehen." Lange Zeit hatten der verurteilte Sexualstraftäter, der seit anderthalb Jahren in Hamburg lebt, und Karsten D., der zuvor in der Sozialtherapeutischen Anstalt Bergedorf wohnte, einen Umzug nach Jenfeld abgelehnt. Die plötzliche Kehrtwende überraschte auch den Anwalt Ernst Medecke, der beide Männer vertritt. Er habe erst am Montag von dem Umzug von Hans-Peter W. erfahren. "Ich respektiere die Entscheidung meines Mandanten und werde ihn bei allen Schritten unterstützen", sagte Medecke dem Abendblatt. Sein Mandant Karsten D. wolle nicht nach Jenfeld ziehen, sagte er noch am frühen Nachmittag kurz vor dessen Einzug.
+++ 300 Jenfelder protestieren gegen Unterbringung +++
+++ Jenfelder protestieren täglich gegen Ex-Sicherungsverwahrte +++
+++ Gewalttäter sollen neben dem Gefängnis wohnen +++
Dass die Anwohner des Stadtteils gegen die Unterbringung von Hans-Peter W. Sturm laufen, ist für einige nicht nachvollziehbar. Ehemalige Nachbarn von Hans-Peter W., der die vergangenen Monate in einer Eilbeker Einrichtung gelebt hat, berichten von einem respektvollen Umgang miteinander. "Am Anfang war es nicht einfach", sagte die Eilbekerin Anne, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will.
Aber nach vielen kontroversen Diskussionen in der Nachbarschaft habe es gut geklappt. "Nicht zuletzt aber auch, weil die Bewachung von Hans-Peter W. lückenlos und zuverlässig war", sagte sie. "Herr W. war nie aufdringlich oder aggressiv und immer bemüht, kein Aufsehen zu erregen." Sogar von positiven Erlebnissen mit dem Schwerverbrecher kann Anne berichten. "Sein Hund Marley ist ein superlieber Kerl und hat meiner Hündin schon einmal das Leben gerettet." Auch das gehöre zur Geschichte von Hans-Peter W. "Wir Nachbarn haben hier schnell akzeptiert, dass auch Menschen wie Hans-Peter W. irgendwo leben und in Ruhe gelassen werden müssen." Sie sei sehr glücklich und stolz, dass sie mit vielen Menschen zusammenleben dürfe, die vor allen Menschen Respekt hätten. "Denn nur so funktioniert unsere Gesellschaft, in der wir alle in Frieden und Freiheit leben wollen."
Auch in Jenfeld wird Hans-Peter W. auf Schritt und Tritt verfolgt. "Für uns hat sich aufgrund der neuen Wohnsituation nichts geändert", sagt Polizeisprecher Mirko Streiber. "Hans-Peter W. wird nach wie vor rund um die Uhr von vier Beamten bewacht." Insgesamt sind dafür bis zu 20 Polizisten abgestellt, die im Schichtdienst arbeiten. Für Karsten D. sind bislang keine gesonderten Beamten abgestellt worden, sagte Streiber. Die Kosten für einen Polizisten, der einen Ex-Sicherungsverwahrten observiert, betragen pro Jahr rund 50 000 Euro. Obwohl sich Hans-Peter W. nur in Begleitung in der Öffentlichkeit bewegen kann, wollen sich die Anwohner weiterhin jeden Tag von 18 bis 19 Uhr zu einer Mahnwache treffen. Bislang mussten die Demonstranten mindestens 150 Meter Abstand zum Haus halten. "Jetzt, wo Hans-Peter W. und Karsten D. eingezogen sind, wurde der Abstand erweitert", sagte Streiber. Der Grund: Der private Lebensraum der beiden Ex-Sicherungsverwahrten - die rechtlich gesehen freie Männer sind - soll geschützt werden.