Die zentrale Unterbringung von Sicherungsverwahrten in Jenfeld birgt viele Risiken
Wer Recht spricht, soll gerecht sein. Das versteht sich von selbst. Gerechtigkeit ist aber mehr als die Abwägung individueller Schuld. Richter müssen bei ihren Urteilen auch das Maß, die Verhältnismäßigkeit berücksichtigen und nicht zuletzt die Konsequenzen bedenken. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, das Sicherungsverwahrte in Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen in die Freiheit entlässt, lässt jedes Augenmaß vermissen. Es ist auch nicht geeignet, das Vertrauen der Bürger in die Rechtsordnung zu stärken.
Kein Mensch will die verurteilten Schwerverbrecher in seiner Nachbarschaft, weil ihnen, die gemordet und vergewaltigt haben, das Stigma des Rückfalls anhaftet. Wo immer sie hingehen, gibt es Protest. Und es ist nicht einmal sicher, ob die Betroffenen selbst diese Form öffentlich beäugter Freiheit wollen.
Die meisten Landesregierungen, auch der Hamburger Senat, haben damit ein Thema aufgedrückt bekommen, bei dem es eigentlich keine Gewinner geben kann.
Der SPD-Senat geht ein hohes Risiko mit der zentralen Unterbringung der ehemaligen Sicherungsverwahrten in Jenfeld ein. Erstens wird der Aufenthalt der Männer im Osten der Stadt gegen den Willen der Anwohner durchgesetzt. Eine echte Beteiligung an der Standortwahl - also vor einer Entscheidung - hat nicht stattgefunden. Zweitens muss der Druck auf Hans-Peter W., den der Senat ausgeübt hat, immens gewesen sein. Denn W., der als Erster eingezogen ist, hatte wie auch der zweite Ex-Sicherungsverwahrte Karsten D. das Jenfelder Quartier bislang abgelehnt - und zwar wegen des Protests dort und der daraus resultierenden öffentlichen Aufmerksamkeit.
Der Senat hat mit dem Einzug der beiden nun immerhin einen Zwischenerfolg errungen. Es gilt nach wie vor der kategorische Satz von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD): "Jenfeld ist unser Angebot, es gibt kein zweites." Der Senat ist damit auf das Wohlverhalten der Sicherungsverwahrten in besonderer Weise angewiesen. Wenn Hans-Peter W. und Karsten D. wieder ausziehen, weil sie dem Druck des Protests nicht standhalten, steht das Senatskonzept vor dem Scheitern.
Andererseits ist dem Senat zugute zu halten, dass die Unterbringung der ehemaligen Sicherungsverwahrten in Jenfeld ein hohes Maß an Sicherheit für die Anwohner einschließt. W. und D. werden keinen Schritt ohne polizeiliche Begleitung tun. Nach menschlichem Ermessen schließt das die Begehung von Straftaten aus.
Was immer diese Gesellschaft mit ihnen anstellt: Die freigelassenen Sicherungsverwahrten sind da, sie werden sich nicht in Luft auflösen. Wir müssen lernen, sie als Teil des öffentlichen Lebens zu akzeptieren. Nur nebenbei sei bemerkt, dass das eben auch für diejenigen Straftäter gilt, die nach Verbüßung ihrer Strafe ohne anschließende Sicherungsverwahrung entlassen werden. Der Unterschied liegt darin, dass wir diese Menschen auf der Straße in der Regel nicht erkennen.
Das alles sind Gründe dafür, jetzt der Jenfelder Einrichtung eine Chance zu geben. Die Anwohner sollten die Lage vor Ort kritisch verfolgen, auf Missstände aufmerksam machen und gegebenenfalls Korrekturen am Konzept einfordern. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die enge polizeiliche Begleitung von W. und D. doch noch Vertrauen vor Ort schaffen kann. Umgekehrt muss auch der Senat Lernbereitschaft zeigen. Die verantwortlichen Senatoren Jana Schiedek (Justiz), Michael Neumann (Innen) und Detlef Scheele (Soziales) sind gut beraten, die Anliegen der Anwohner ernst zu nehmen. Gerade jetzt.
Langfristig wird es aber darauf ankommen, dass sich die norddeutschen Länder auf eine gemeinsame Unterbringung verständigen.