Ohne Noten geht es nicht, sagt der Regierungschef. Und: Aus allen sozialen Schichten ist der Aufstieg möglich.

Abendblatt:

Herr Ministerpräsident, Sachsen ist Sieger der jüngsten PISA-Studie - Hamburg der große Verlierer. Was macht Sachsen besser?

Stanislaw Tillich:

Sachsen fährt in der Schulpolitik seit 18 Jahren einen klaren Kurs. Unser Land hat früh das zweigliedrige Schulsystem aus Mittelschulen und Gymnasien eingeführt und auf Experimente verzichtet. Die Kontinuität dieser Arbeit zahlt sich aus. Dazu kommt die Durchlässigkeit unseres Systems. Aus allen sozialen Schichten ist der Aufstieg durch Bildung möglich, darauf sind wir stolz. Auch Spätentwickler können von der Mittelschule auf das Gymnasium wechseln.



Abendblatt:

Länder, die nicht so gut abschneiden, verweisen auf die höhere Zahl der Migranten an ihren Schulen.

Tillich:

Das wäre zu einfach. Auch in Sachsen gibt es längst Schulen mit Migrantenquoten von 30 bis 40 Prozent. Wir haben diese Kinder schon vor der Einschulung betreut und ihnen in Tagesstätten die deutsche Sprache beigebracht, sodass es im Unterricht keine Verständnisschwierigkeiten mehr gab. Bei uns sind gerade Kinder mit Migrationshintergrund die Leistungsträger.



Abendblatt:

Welche Elemente des sächsischen Bildungssystems ließen sich auf weniger erfolgreiche Bundesländer übertragen?

Tillich:

Wir haben mit dem zweigliedrigen Schulsystem gute Erfahrungen gemacht, bei dem ein Aspekt besonders wichtig ist: die klare Leistungsorientierung. Wir haben immer Kopfnoten verteilt, uns an den Debatten über deren Sinn oder Unsinn nicht beteiligt. Außerdem ist es in Sachsen nicht möglich, ohne eine entsprechende Empfehlung und ohne einen angemessenen Notenschnitt ein Gymnasium zu besuchen. Leistung muss durch Noten motiviert werden. Außerdem setzen wir bei den Naturwissenschaften einen Schwerpunkt und können hier mit der internationalen Spitze mithalten.



Abendblatt:

Den naturwissenschaftlichen Schwerpunkt gab es bereits zu DDR-Zeiten. Profitiert Sachsen auch von Erfahrungen, die vor der Wende gemacht wurden?

Tillich:

Nach dieser Logik müssten andere ostdeutsche Länder genauso gut sein wie wir. Allerdings gibt es in der Tat bei uns seit Jahrhunderten eine stark ausgeprägte Affinität für die Ingenieurkunst, fürs Tüfteln. Das Interesse für naturwissenschaftliche Zusammenhänge ist hier größer als in anderen Teilen der Bundesrepublik.



Abendblatt:

Steckt Sachsen mehr Geld in die Bildung?

Tillich:

Qualität hat nicht immer nur etwas mit Geld zu tun. Wir geben pro Schüler mit am wenigsten aus und haben nicht permanent Geld ins System gepumpt. Wir haben aber stark darauf geachtet, dass die Mittel sinnvoll verwendet werden, also vor allem in die Ausstattung an den Schulen investiert. Wenn das Lernumfeld stimmt, können herausragende Leistungen erzielt werden. Außerdem haben wir die Mittel, die durch den Schülerrückgang frei wurden, im System belassen.



Abendblatt:

Wie lange dauert es nach Ihrer Erfahrung, um ein Bundesland an die Bildungsspitze zu führen?

Tillich:

Ein Jahrzehnt ist realistisch. Vorausgesetzt, das Land hält kontinuierlich am eingeschlagenen schulpolitischen Weg fest.