Abendblatt:
"Herr Senator, Ihre Kritik an dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) kam überraschend. Warum haben Sie so heftig auf den Richterbeschluss reagiert?"
Innensenator Udo Nagel:
"Uns war ja schon vor den Demonstrationen klar, dass es die Gefahr heftiger Gewalt gibt, wenn Sympathisanten der NPD und Gegendemonstranten aufeinandertreffen. Wir hatten ein Konzept dagegen. Doch das Gericht hat es gekippt. Das war in dieser Konsequenz außergewöhnlich und hat mich geärgert."
Abendblatt:
"Hat es in der Vorbereitung oder in der Argumentation vor Gericht Versäumnisse bei der Polizei gegeben?"
Nagel:
"Nein. Unsere Lageeinschätzung war treffend. Und sie wurde ans Gericht kommuniziert. Es gab weder Versäumnisse noch Verzögerungen."
Abendblatt:
"Aber in der Konsequenz kann man doch wahrlich nicht mit dem Verlauf der Kundgebungen zufrieden sein."
Nagel:
"Selbstverständlich nicht. Es gab eine ganze Reihe großer Schwierigkeiten. Dass die Linken und die Rechten sich nach Gerichtsbeschluss eine Strecke zeitversetzt teilen sollten, war das Hauptproblem. Dazu kamen die Verzögerungen vor Ort, die Streckenblockaden. Und natürlich die Tatsache, dass wir für die neue Situation ziemlich wenig Beamte zur Verfügung hatten."
Abendblatt:
"2500 Beamte bei 10 000 Demonstranten von Links und Rechts. Das klingt angesichts der Tatsache, dass bislang bei Demos in Hamburg teilweise auf jeden Demonstranten ein Polizist kam, abenteuerlich."
Nagel:
"Es gab in ganz Deutschland keine verfügbaren Einheiten mehr. Sie waren in Hamburg, Berlin und Nürnberg, also an den Brennpunkten, verteilt. Natürlich hätten wir gern mehr Beamte in Hamburg gehabt. Wir sind an der Unterkante gefahren. Insofern muss man sich fragen, ob wir für eine solche Ballung von Großeinsätzen genug Polizisten in Deutschland haben."
Abendblatt:
"Was können Justiz und Polizei aus dem Debakel vom 1. Mai lernen?"
Nagel:
"Meine Hoffnung ist, dass die Richter die Gefahr, die von solchen Aufzügen inzwischen ausgeht - besonders, wenn sich die Teilnehmer beider Lager unmittelbar begegnen - nicht mehr unterschätzen. Wo radikale Rechte und autonome Linke aufeinandertreffen, gibt es Aggression. Das war uns klar, dem OVG-Senat offenbar nicht."
Abendblatt:
"Haben die Richter vielleicht schon in vorauseilendem Gehorsam agiert, wohl wissend, dass der Kurs in Hamburg durch Schwarz-Grün liberaler werden könnte?"
Nagel:
"Sicher nicht. Das anzunehmen, wäre polemisch und ist nicht mein Stil. Ich denke nicht, dass unabhängige Richter sich durch politische Tendenzen beeinflussen lassen."