Das Recht auf Versammlungsfreiheit ist zweifelsohne in all seinen Facetten ein hoch einzuschätzendes Gut. Seine Paragrafen, in denen unter anderem festgeschrieben steht, dass Versammlungen dort abgehalten werden dürfen, wo der politische, juristische, weltanschauliche Gegner es mitbekommt, sind fraglos und jeder für sich unantastbar. Ebenso unumstößlich und eine Binsenweisheit ist leider inzwischen die Tatsache, dass es Krawalle gibt, wenn Neonazis und Antifaschisten aufeinandertreffen. Die Kunst der Juristen, die mit den oben genannten Paragrafen jonglieren, ist es nun, den schmalen Grat zu treffen, der zwischen größtmöglicher Öffentlichkeit und offensichtlicher Gefahr für Leib und Leben der Beteiligten und Außenstehender existiert. Den Richtern des 4. Senats am Hamburger Oberverwaltungsgericht ist dies bei ihrer Entscheidung, Linke und Rechte am 1. Mai auf eine gemeinsame Marschroute zu schicken, ganz offensichtlich misslungen.

Vorausgesetzt, die Richter verfügten bei ihrer Entscheidung über alle relevanten Informationen, zeugt es von extremem Optimismus - um nicht zu sagen Leichtgläubigkeit -, dass sie offenbar annahmen, die Linken würden ihren Feinden den Weg freiwillig freimachen. Schon das Motto der Demo ("Den Nazis keinen Meter!") zeigt, dass damit nie ernsthaft zu rechnen war. Um klarzustellen: Schuld an den Krawallen vom 1. Mai tragen allein die Randalierer aus beiden Lagern. Doch der Beschluss des OVG hat einer solchen Eskalation den Weg geebnet.