Tornado: Augenzeugen berichten, wie Sie von dem Wirbelsturm überrascht wurden. 35 Yachten unter Trümmern begraben. Dächer von Einfamilienhäusern zerstört. Genaue Schadenshöhe kann noch niemand beziffern.

Rotes Absperrband flattert im lauen Wind an der Harburger Blohmstraße. Kaum hörbar surrt ein Kran auf der Baustelle - er ist wie durch ein Wunder stehengeblieben, als am Montag abend der Tornado hier seine volle Kraft entwickelte und anschließend quer durch den Harburger Binnenhafen fegte. Dicke Balken wurden dabei Hunderte Meter durch die Luft geschleudert, eine Hochspannungsleitung zerrissen, Häuser und eine große Bootshalle zerstört. Drei der vier gelben Kräne auf der Großbaustelle wehte der Wirbelsturm sofort um, der vierte wackelte nur heftig, berichten Feuerwehrleute. Wie ein mehrfach geknickter Gartenschlauch liegt ein Kran jetzt auf dem Asphalt, zwei sind auf Hallendächer gestürzt. Zwei Kranführer wurden dabei getötet. "Die beiden hatten keine Chance, mehr kann ich nicht sagen, ich muß das erst mal verarbeiten", sagt ein Mitarbeiter der Harburger Baufirma H.C. Hagemann. Er muß jetzt trotz seiner Trauer prüfen, ob der stehengebliebene Kran technisch noch funktioniert.

Wenige Meter entfernt im "Channel Tower" hatte die Rechtsanwältin Angela Krützfeld (50) mit ihrem Kollegen die Szenerie aus dem Büro im 10. Stockwerk beobachtet: "Wir sahen waagerechte Blitze, ein gewaltiges Unwetter, plötzlich kippten die Kräne um und irgend etwas flog in die Stromleitung, und dann war der Strom weg." Aus dem Dunkel heraus beobachtete sie nach dem Knall eine "gigantische Wasserhose", die über Süderelbe und Binnenhafen fegte. Was Angela Krützfeld da noch nicht ahnte: Zwei Kilometer weiter fegte der Tornado Minuten später mit voller Wucht über die Bootshalle der Vereinigung Harburger Segler an der Süderelbe. Hier lagert ihre eigene Yacht im Winter. Am kommenden Wochenende sollten die ersten der etwa 35 Schiffe des Vereins wieder ins Wasser. Nun haben die meisten nur noch Schrottwert. "So ein Bild kenne ich nur aus der Karibik nach Hurrikans", sagt Yachtversicherer Holger Flindt, als er sich die Halle ansieht. Der Sturm hatte die dicken Doppel-T-Träger des Hallendachs eingeknickt, als seien sie aus Gummi. Ein einziges Gewirr aus umgestürzten Yachten, Masten und Stahl. Reinhold Kaufert (46) ist hier lebend herausgekommen.

Als der Tornado auf die Halle traf, arbeitete er gerade an seiner neuen Alu-Yacht. Nach vier Jahren Bauzeit sollte sie in diesem Sommer zur ersten Probefahrt ins Wasser. "Das hat mich um Jahre zurückgeworfen", sagt er. Doch sein demoliertes Schiff hat ihm auch das Leben gerettet. Als der Wind kam, kroch er unter das Boot. Die Träger und Teile des Aluminiumdaches stürzten herunter, der Sog des Sturms bewegte die tonnenschwere Yacht samt Stützen um mehrere Zentimeter. Aber sie kippte nicht um. Reinhold Kaufert: "Es war wahnsinnig laut, wie ein gigantischer Industrie-Saubsauger."

An dieses Geräusch erinnert sich auch Gerd Backhaus (62), der im Hafen der Bootswerft Knief nebenan in der Kajüte seiner Stahlyacht saß. "Mein Beiboot wirbelte in die Luft, vielleicht 30 Meter hoch", berichtet er. Die Yacht wurde auf die Seite gedrückt - dann war Ruhe. "Wir haben hier wohl etwas weniger abbekommen", sagt Gerd Backhaus.

Tatsächlich sind bei der Werft einige Scheiben und Teile des Daches zu Bruch gegangen - zwei Meter neben der völlig zerstörten Vereins-Halle. Die zerstörerische Kraft des Tornados wirkte offenbar nur auf einer Breite von 40,50 Metern, bevor sie sich auf der Süderelbe wieder abschwächte. Von der Blohmstraße war der Tornado über die Bau- und Gewerbehöfe der Schloßinsel gezogen, wirbelte Hallendächer und gut 20 Zentimeter dicke Dachbalken auf. Teile eines Blechdachs schleuderten in die Hochspannungsleitung, verursachten den Kurzschluß. Den ganzen Tag über versuchten Arbeiter den Schaden zu beheben. Zwei dicke Kabel hingen herunter, bis ins Wasser. Ein Polizeiboot mit Blaulicht sicherte den Hafenbereich.

Gegenüber räumt Jan Horn (38) seine Steganlage auf, er repariert hier Oldtimer-Schiffe. Am Abend hatte er von seinem Hausboot aus die "Wolke aus Dreck, Holz und Planen" direkt auf sein Boot zurasen sehen. "Ich hastete schnell zum Eingang, dann dröhnte es schon irre laut."

Fassungslos steht er auf seiner Steganlage, viele Boote und Schiffe hier sind demoliert, Masten abgeknickt. Dicke Hallenbalken liegen am Ufer - aus einer Enfernung von mehr als hundert Metern herangewirbelt. Wuchtige Brombeerbüsche an der Böschung zur Schleuse liegen platt gedrückt am Boden, daneben steht ein verbogener Lichtmast.

Dahinter liegt das Doppelhaus der Familie Marquardt. "Ich hörte gegen 19 Uhr diesen jaulenden, pfeifenden Lärm", erinnert sich Heinz Marquardt (43) . Der frühere Bundeswehr-Taucher sah aus dem Wohnzimmerfenster heraus einen Baum auf sein Haus zuwirbeln. "Wir sind alle zum Keller gerannt, dann hat es auch schon gekracht." Was da gekracht hat, ist hinter seinem Haus zu sehen: Der Garten ist mit Dachziegel-Schutt übersät, der Schornstein liegt auf der Terrasse. Bettdecken und Pullover hängen in den Bäumen. Ein kleines Ruderboot liegt im Blumenbeet des Nachbarn. "Das ist vom Yachthafen dort drüben herangeflogen", sagt Marquardt.

In der Nacht noch hatten Feuerwehrleute sein Dach und das von fünf anderen Häusern in der Straße Hafenbezirk mit dicken schwarzen Planen abgedichtet. Sie flattern jetzt in einem lauen Wind. So als hätte es hier nie einen Tornado gegeben.