Sozialsenator Wersich (CDU) und Bezirkschef Schreiber (SPD) kündigen lückenlose Aufklärung an. Sondersitzung des Jugendausschusses der Bürgerschaft. Mitarbeiter des Rauhen Hauses nehmen bei einem Gottesdienst Abschied. Bilder zum Artikel.

Kurz vor 17 Uhr im Rauhen Haus. Der Trauergottesdienst endet. Die Tür geht auf. Langsam treten mehr als 30 Mitarbeiter der Diakonie-Stiftung aus dem Wichern-Saal. Einige haben Tränen in den Augen. Oder sind in sich gekehrt, gehen nur langsam durch die Tür. Bleiben stehen, umarmen sich zum Abschied. Es scheint, als wollten sie den Gottesdienst nicht enden lassen. Das Baby, das von der Stiftung betreut wurde, ist tot. Es war unterernährt. Gegen die Mutter ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Tötung durch Unterlassen. Ein Schock, der hier besonders heftig ist. "Wir stehen mit großer Betroffenheit vor einem Rätsel", sagt Pastor Friedemann Green.

Karl Heinz R. ist nicht nur betroffen - er ist wütend. Der Großvater von Lara und Vater von Jessica R. erhebt schwere Vorwürfe gegen die Behörden. Das Jugendamt und die Betreuerin des Rauhen Hauses hätten sich nur unzureichend um seine Tochter gekümmert: "Jessica wurde seit der Entbindung von Lara nicht ein einziges Mal über ihre Mutterpflichten oder Erziehungsmethoden aufgeklärt", sagt der 65-Jährige. Mehrfach seien er und Jessicas ältere Schwestern Nicole (32) und Jenny (25) an das Jugendamt herangetreten, um auf Probleme hinzuweisen. "Jessica hat erst auf Aufforderung ihrer Schwestern die Ernährung von Lara von der Flasche auf Breinahrung umgestellt." Lara habe im Alter von sechs Monaten nur 4,5 Kilogramm gewogen. Auch die für Jessica zuständige Betreuerin des Rauhen Hauses kritisiert er scharf: "Sie hat sich von meiner Tochter mit dem Hinweis 'Lara schlafe' davon abhalten lassen, nach Lara zu sehen."

Rückblick: Mittwoch, 11. März, 12 Uhr: Rettungssanitäter finden Lara leblos auf dem Fußboden des Schlafzimmers. Das neun Monate alte Mädchen ist stark unterernährt und so stark ausgetrocknet, dass die Haut schon faltig ist. Der Leichnam hat Leichenflecke. Die Wohnung sei verdreckt gewesen, berichten Feuerwehrleute. Der Körperfettanteil lag bei fast null Prozent. So hat es die Untersuchung in der Rechtsmedizin ergeben. Gab es schwere Versäumnisse der Behörden, wie der Großvater Karl Heinz R. behauptet?

Fakt ist: Die zuständige Betreuerin war zuletzt am 3. März in der Wohnung von Jessica, um nach Lara zu schauen: Das Mädchen sei lebendig und wohlauf gewesen, hatte sie berichtet. Danach war sie im Urlaub. Es gab eine Vertretung. Doch die, so sagt es das Rauhe Haus, wollte erst am 11. März Kontakt zur Mutter aufnehmen - dem Todestag. Die zuständige Betreuerin wird nach Angaben des Bezirks Mitte heute befragt.

Die CDU im Bezirk Mitte hat für den 19. März eine Sondersitzung des Ausschusses für Soziales, Integration und Gesundheit beantragt, in der die Leiterin des Sozialdezernats, Dr. Christa-Maria Ruf, und die Leiterin der Jugend- und Familienhilfe, Pia Wolters, Rede und Antwort stehen sollen. Vor allem Wolters steht im Kreuzfeuer der Kritik, die CDU fordert ihre Abberufung. Markus Schreiber, Bezirksamtsleiter Mitte, verteidigt seine Amtsleiterin: "Ein politischer Schnellschuss ohne die genaue Prüfung aller Fakten ist armselig und der Situation nicht angemessen." Es bleibe zu klären, was den Tod des Kindes verursacht habe. "Ich möchte eine brutalstmögliche Aufklärung, um eventuell Schlussfolgerungen für die Zukunft ziehen zu können. Dabei wird niemand geschont, aber auch niemand vorverurteilt", erklärte der Bezirksamtschef.

Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU) zeigte sich angesichts des Todes von Lara betroffen: "Ich bin alarmiert und bestürzt über den Tod des kleinen Mädchens." Er habe beim Bezirk Mitte einen Bericht angefordert. "Diesen Bericht werde ich dann von den Experten meiner Behörde auswerten lassen und gegebenenfalls Konsequenzen veranlassen", so Wersich.

Der Jugendausschuss der Bürgerschaft wird am kommenden Donnerstag auf Antrag der SPD zu einer Sondersitzung zusammenkommen. "Ohne irgendjemanden vorverurteilen zu wollen. Wir müssen den Fall restlos aufklären. Auch um gegebenenfalls in den Hilfemaßnahmen korrigieren zu können", sagte die Ausschussvorsitzende Carola Veith (SPD). Sie nannte es "überraschend", dass es bei der Familie eine wöchentliche Betreuung gegeben hat, dennoch aber acht Tage lang niemand vor Ort gewesen ist. Auch darüber werde im Ausschuss zu reden sein.

Die GAL-Bürgerschaftsfraktion begrüßt diese Sondersitzung. Wie Fraktionssprecher Matthias Schröter dem Abendblatt sagte, erhofft sich die Fraktion weitere Details und Aufklärung. Zum Vorfall in Wilhelmsburg sagte er: "Es ist ein sehr tragischer Fall, der uns sehr betrübt." Der kinder- und jugendpolitische Sprecher der Linksfraktion in der Bürgerschaft, Mehmet Yildiz, sagte: "Es ist sehr traurig, dass sich wieder so ein tragischer Todesfall in Hamburg ereignet hat. Es scheint erneut ein Versäumnis der zuständigen Behörde vorzuliegen." Obwohl die Mutter bereits vom Amt betreut wurde, habe sich acht Tage lang niemand dort sehen lassen. Yildiz forderte, die Umstände "schnell und gründlich" aufzuklären.

Stephan Müller, jugendpolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, sagte: "Der Tod der kleinen Lara ist entsetzlich. Dieses Ereignis macht uns in höchstem Maße betroffen." Es bestehe noch "erheblicher Ermittlungsbedarf". Er begrüßte daher ausdrücklich die Sondersitzung des Fachausschusses, die sich mit dem Tod des Kindes befassen wird. "Ich hoffe, dass bis dahin auch Hintergründe bekannt sind, die dann Rückschlüsse zulassen auf die Gründe, warum in Hamburg wieder ein Kind auf so tragische Weise sterben musste."