Mit jungen Patienten, die nicht hinreichend oder völlig unausgewogen ernährt sind, habe er leider häufig zu tun, sagt der Wilhelmsburger Kinderarzt...

Mit jungen Patienten, die nicht hinreichend oder völlig unausgewogen ernährt sind, habe er leider häufig zu tun, sagt der Wilhelmsburger Kinderarzt Dr. Jürgen Stieh: "Viele Kinder sind entweder deutlich zu dick oder ungewöhnlich dünn." Darauf weise er die Eltern hin, gebe Rat zu gesunder Ernährung. "Ob sie den befolgen, kann ich jedoch nicht kontrollieren." Zwischen 100 und 150 Gramm nehme ein gesunder Säugling bis zum fünften Monat jede Woche zu, im Alter von sechs Monaten sollte er sein Geburtsgewicht verdoppelt haben. Dass die kleine Lara mit sieben Monaten gerade einmal 4,5 Kilogramm auf die Waage gebracht haben soll, sei nicht zwangsläufig ein Hinweis auf Mangelernährung: "Manche Babys wiegen bei der Geburt sehr wenig. Vor allem dann, wenn die Mutter eine starke Raucherin ist", sagt Dr. Jürgen Stieh.

Untersuchungen haben ergeben, dass die neun Monate alte Lara zuletzt fast gar kein Körperfett mehr gehabt haben soll. "Dann muss das Kind komplett ausgemergelt gewesen sein", sagt der Kinderarzt. Doch wie kann es sein, dass bei der Kinderfrüherkennungs-Untersuchung U 5 (5. bis 6. Lebensmonat) keine Auffälligkeiten festgestellt worden sein sollen? "Das ist leider durchaus möglich. Man kann ein kleines Kind binnen weniger Tage verwahrlosen lassen", sagt Dr. Jürgen Stieh.

Die U 5, die von der Sozialbehörde - genau wie die anderen Früherkennungs-Untersuchungen - empfohlen wird, aber nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, sei "mehrschichtig": Im ersten Teil würden die Eltern befragt, im zweiten Teil werde der kleine Patient "von der Haarspitze bis zur Fußsohle" untersucht, im dritten Teil werde die Motorik des Kindes überprüft. Etwa 20 Minuten empfehle der Gesetzgeber pro Untersuchung. "Utopisch", sagt Stieh. "Ich brauche das Doppelte." Zu viel Aufklärung sei in einem Stadtteil wie Wilhelmsburg nötig. "Hier sind viele Eltern schlicht überfordert. Ihnen muss oft vermeintlich Selbstverständliches erklärt werden. Zum Beispiel, dass regelmäßiges Essen wichtig ist." 22 Euro bekomme er pro Untersuchung - egal, wie viel Zeit er sich nehme. "Ich schaue nie auf die Uhr. Es ist meine Pflicht, die Bausteine für die Entwicklung richtig anzuordnen."

Wenn Eltern zum Termin nicht erscheinen, frage er telefonisch nach. "Und ich schlage einen neuen Termin vor", sagt Stieh. "Mehr kann ich nicht tun."