Von der Ad-hoc-Mitteilung der HSH Nordbank bis zur Rücktrittsforderung: die schwere Woche für den Hamburger Finanzsenator.

Eigentlich müsste diese Geschichte mit einem Warnhinweis beginnen: "Achtung! Dröges Thema. Nur für Insider." Denn im Kern geht es nur um einen einzigen Satz: "Im Einzelabschluss nach HGB geht der Vorstand davon aus, dass ein Bilanzgewinn entsteht, sodass Zinszahlungen für Genussscheine und Stille Einlagen, die vom Bilanzgewinn abhängen, geleistet werden." Staubtrocken, unverständlich - eigentlich. Doch die Geschichte dieses Satzes erzählt auch von der enormen Sprengkraft dürrer Worte, von einer ums Überleben kämpfenden Bank, von einem politisch angeschlagenen Senator und der Frage, ob er diesen Satz hätte auf Anhieb verstehen müssen. Sie erzählt von Missverständnissen und verheerenden Fehleinschätzungen. Kurzum: Es ist eine spannende Geschichte.

Alles beginnt am Freitag, dem 13. An diesem kalten Februartag liegt die Stadt unter einer dünnen Neuschneeschicht. Immerhin 400 Beschäftigte der HSH Nordbank hält das nicht davon ab, mittags um 12 Uhr für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze zu demonstrieren. Als der Schnee in Matsch übergeht, kommen am Nachmittag die Hauptbesitzer der Bank zum Krisentreffen in der HSH-Zentrale am Gerhart-Hauptmann-Platz zusammen: Hamburg, vertreten durch Bürgermeister Ole von Beust und Finanzsenator Michael Freytag, Schleswig-Holsteins Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen und Finanzminister Rainer Wiegard (alle CDU) und etliche weitere Politiker der Regierungsparteien CDU, GAL und SPD. Während sie sich im Raum "Elbe 1" im achten Stock von HSH-Vorstandschef Dirk Jens Nonnenmacher ins Bild setzen lassen und von dort beobachten können, wie sich der Schleier der Dunkelheit langsam über die Stadt legt, stellt die Bank eine düstere Prognose auf ihre Homepage: "Ad hoc: HSH Nordbank weist Jahresfehlbetrag aus." Die Summe von 2,8 Milliarden Euro war im Abendblatt schon genannt worden, nicht jedoch der betreffende Satz: "Im Einzelabschluss ..." Der ist neu. Im Kern bedeutet er: Die Bank, die schon im Dezember für Wirbel gesorgt hatte, weil sie trotz Milliardenverlustes 64 Millionen an Zinsen auf stille Einlagen zahlte, will erneut Geld ausschütten. Zinsen, die an einen Bilanzgewinn gekoppelt sind, den es nicht gibt, den man aber nun "entstehen" lässt. Der Bank muss bewusst sein: Wenn das herauskommt, gibt es Krach. Vielleicht schreibt sie deswegen nicht mehr, vielleicht lässt sie deswegen die Ausschüttungssumme unerwähnt. Vielleicht.

Fakt ist: Gegen 16 Uhr wird die Mitteilung allen Aufsichtsräten per E-Mail zugestellt. Freytag und Wiegard sitzen zu dem Zeitpunkt noch in der Krisenrunde, wann genau sie die Meldung lesen, ist nicht bekannt, aber noch am Freitag. Zeit genug, um nachzuhaken. Am Wochenende sitzen die Beteiligten erneut zusammen, auch am Montag und am Dienstag. Die Frage, wie der Satz mit den Zinsen und dem Bilanzgewinn zu verstehen ist, stellt niemand - trotz des Krachs im Dezember und obwohl bekannt ist, dass der Umgang mit weiteren stillen Einlagen noch zu klären ist.

Zur Ehrenrettung der Aufsichtsräte muss erwähnt werden, dass offensichtlich auch sonst niemand nachhakt: kein Finanzpolitiker, kein Bankenexperte, kein Wirtschaftsjournalist, auch in der Abendblatt-Redaktion löst der Satz zunächst Stirnrunzeln aus. "Geht es wirklich um eine zweite Ausschüttung?" Nachfrage bei der HSH Nordbank am Montagabend: "Ja, geht es." Näheres wisse man noch nicht. Am Dienstag hat das Abendblatt die Details recherchiert: Es geht um 2,5 Milliarden Euro Einlagen, auf die 200 Millionen Euro Zinsen gezahlt werden. In einer gemeinsamen Fachausschusssitzung von Bürgerschaft und Kieler Landtag am selben Tag erwähnen aber weder Nonnenmacher noch Freytag noch Wiegard das Thema - vier Tage nach der Ad-hoc-Mitteilung.

Als das Abendblatt am Mittwoch titelt: "Nordbank zahlt 200 Millionen an Anleger - und streicht 1100 Jobs", ist die Aufregung groß, auch bei Freytag. Noch am Morgen lässt er Nonnenmacher wissen, was er von der Geschichte hält. Die schriftliche Anfrage des Abendblatts von 13.29 Uhr, ob er als Mitglied des HSH-Aufsichtsrats über die Ausschüttung informiert war, lässt er um 19.10 Uhr umständlich beantworten: "Die interne und öffentliche Kommunikation der Bank ist Optimierungen zugänglich." Die zwingend erforderliche Abstimmung sei leider verpasst worden. Merkwürdig daran: Ein CDU-Abgeordneter sagt auf Anfrage, er habe von der Ausschüttung gewusst - von Freytag. Auch auf Nachfrage bestätigt er das. Erst später ruft er in der Redaktion zurück und korrigiert seine Erinnerung: Er habe doch aus der Zeitung davon gehört.

Als das Abendblatt am Donnerstag um 14.10 Uhr schriftlich anfragt, ob Freytag die Ad-hoc-Mitteilung gekannt habe, spricht die SPD schon von einer "Staatskrise". Das ist zwar dezent übertrieben, aber wie brisant die Lage ist, zeigt die Antwort aus der Finanzbehörde. Sie kommt nach fast fünf Stunden, um 18.51 Uhr, und ist fast eine DIN-A4-Seite lang. Kernsatz: "Die bloße Existenz einer abstrakten Ad-hoc-Mitteilung ... reicht für die gebotene, ausführliche Information ... nicht aus." Sollte heißen: Ja, wir kannten den Satz, haben ihn aber falsch bewertet. Freytags Ruf eines kühlen Politprofis zum Trotz scheint fast ein Hauch Verzweiflung durch die Zeilen: "Wir kämpfen buchstäblich Tag und Nacht um das Überleben der HSH Nordbank." Und dann so ein Lapsus.

Das ausdrückliche Bedauern des Ressortchefs kann die Rücktrittsforderung der Opposition aber nicht mehr stoppen: "Wer als Finanzsenator und als Aufsichtsrat eine Ad-hoc-Meldung der Bank zu weiteren Ausschüttungen nicht versteht oder ignoriert, ist der falsche Mann für solche Aufgaben", urteilt SPD-Fraktionschef Michael Neumann am Freitag. Dass auch die Linkspartei meint, Freytag, habe "den Bogen überspannt", kann dieser verschmerzen. Dass aber die CDU-Fraktion noch am Donnerstag für ihren Senator und Parteivorsitzenden nur Sprachlosigkeit übrig hat, ist schwerlich als Unterstützung zu werten. Auch die klare Aussage aus dem Rathaus, der Bürgermeister sei über die Ausschüttung nicht informiert worden, macht die Sache nicht besser.

Die HSH-Krise ist für Freytag die schwerste seiner Amtszeit. Und das vor allem wegen eines Satzes, gefallen am Freitag, dem 13. Es ist eine merkwürdige Ironie der Geschichte, dass es an genau dem Tag in deutschen Kinos eine Premiere gab: "Freitag, der 13". Ein Horrorfilm.