“Innensenator hat mir gedroht“ Schills ungeheuerliche Unterstellung: Lebenspartner zum Senator gemacht Historischer Eklat im Rathaus Koalition will weiter regieren Bausenator Mettbach Zweiter Bürgermeister? Generalbundesanwalt prüft wegen Nötigung

Hamburg. Nach einem in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellosen Eklat hat Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust (CDU) Innensenator Ronald Schill sowie dessen Staatsrat Walter Wellinghausen entlassen. Die Koalition zwischen CDU, Schill-Partei und FDP soll dennoch fortgesetzt werden. Darauf verständigten sich die Spitzen der drei Fraktionen am Nachmittag. Die CDU-Bundesvorsitzende Angela Merkel betonte, voll hinter von Beusts Entscheidung zu stehen. Als neuer Zweiter Bürgermeister ist Bausenator Mario Mettbach im Gespräch. SPD und GAL haben unterdessen sofortige Neuwahlen gefordert. Es war an Dramatik kaum zu überbieten, was sich gestern Morgen im Rathaus abspielte. Um 9.40 Uhr war Innensenator Schill im Rathaus zum Gespräch mit von Beust eingetroffen. Dort hat sich, so von Beust danach, Folgendes abgespielt: "In einem Vier-Augen-Gespräch heute Morgen um 9.40 Uhr in meinem Büro, um das Herr Schill gebeten hatte, drohte er mir für den Fall der Entlassung des Staatsrates Wellinghausen, öffentlich publik zu machen, dass ich meinen angeblichen Lebenspartner, Justizsenator Dr. Kusch, zum Senator gemacht habe und damit Privates und Politisches verquickt habe."

Der Erste Bürgermeister verwies Schill daraufhin seines Büros und ließ sofort die Entlassungsurkunden für Schill und Wellinghausen fertigen. Um 11.01 Uhr erklärte von Beust auf einer eilends einberufenen Pressekonferenz der Öffentlichkeit, dass er Wellinghausen und Schill entlassen habe. Schill hatte in dem Raum bereits Platz genommen. Kusch kenne er seit 25 Jahren, sie hätten gemeinsam studiert, sagte der Erste Bürgermeister. Schills Behauptungen träfen nicht zu (siehe Wortlaut-Erklärung rechts). Kusch sei "seit fast einem Jahr Mieter einer von mir im Frühjahr 2001 gekauften Wohnung, für die er ordnungsgemäß Miete und Nebenkosten zahlt. Das ist alles", sagte von Beust. Anschließend äußerte er seine Hoffnung, dass die Koalition fortgesetzt werde, und verließ den Saal, ohne Schill eines Blickes zu würdigen. Dieser ließ drei Minuten schweigend vergehen, um dann seine Version zu erzählen. "Ich habe Ole von Beust nicht erpresst. Ich wollte seine Homosexualität auch nicht publik machen", sagte Schill. Dann erklärte er, dass er gelitten habe, weil sein Gerechtigkeitsempfinden verletzt worden sei. "Bausenator Mario Mettbach wurde Anfang 2002 vorgeworfen, seine Lebensgefährtin zur persönlichen Referentin gemacht zu haben. Da wiegt es ungleich schwerer, wenn man seinen Lebensgefährten zum Justizsenator macht", sagte Schill. Von Beust und Kusch "hatten und haben" ein homosexuelles Verhältnis. Dies sei ihm von Zeugen bestätigt worden. Bausenator Mario Mettbach, Bundesvorsitzender der Schill-Partei, distanzierte sich später davon: "Ich möchte mich im Namen aller Parteimitglieder für die Ausfälle Ronald Schills entschuldigen." Er und die Partei stünden "unter Schock". Die Schill-Fraktion traf sich kurz nach 13 Uhr zur Krisensitzung. Einstimmiges Ergebnis: Die Koalition soll fortgesetzt werden.

Darauf verständigte sich auch der Koalitionsausschuss, der ab 15 Uhr eineinhalb Stunden im Elysee-Hotel tagte. "Wir wollen die erfolgreiche Sacharbeit auf der Basis des Koalitionsvertrages fortsetzen", sagte Reinhard Soltau, Landesvorsitzender der FDP. Unklar ist aber weiter, wer neuer Innensenator werden soll. Zunächst wird Mettbach die Aufgabe kommissarisch übernehmen. Er habe aber kein Interesse, das Amt dauerhaft auszuüben. Kommissarischer Staatsrat wird Volkmar Schön, Chef der Senatskanzlei und enger Vertrauter des Bürgermeisters. Das Vorschlagsrecht für einen neuen Innensenator bleibt bei der Schill-Partei. "Es gibt aber noch keine Personalvorschläge. Bis Freitag werden wir parteiintern diese Frage klären", kündigte Mettbach an. Er selbst werde Zweiter Bürgermeister werden. Der Koalitionsvertrag sei "mit der Partei, nicht mit einer Person" gemacht worden, so Mettbach. CDU-Landeschef Dirk Fischer zeigte sich entsetzt über die Vorfälle: "Es ist unfassbar für die CDU, was in den vergangenen 24 Stunden vorgefallen ist." Dies könne und werde die Union nicht akzeptieren. Fischer: "Ich bin dankbar, dass alle Beteiligten weitermachen wollen."

Schill, der nun Mitglied der Bürgerschaft werden will, forderte am Nachmittag seinerseits von Beust zum Rücktritt auf. "Er ist charakterlich nicht für das Amt geeignet", sagte er der "BZ" in Berlin. Von Beust habe Staatsrat Wellinghausen geopfert, um sein Gesicht zu wahren. Der Bürgermeister treffe "einsame Entscheidungen ohne Sachkenntnis". Der SPD-Landesvorsitzende Olaf Scholz bezeichnete die Vorfälle als "Tiefpunkt der politischen Kultur in unserer Stadt und weit darüber hinaus". Er forderte Neuwahlen. GAL-Fraktionschefin Christa Goetsch bezeichnete die Entlassung Schills als "notwendigen Schritt". Inzwischen hat sich auch Generalbundesanwalt Kay Nehm eingeschaltet: Sollte sich der Verdacht erhärten, dass Schill den Ersten Bürgermeister mit dessen angeblicher Homosexualität erpressen wollte, muss Schill mit einem Ermittlungsverfahren wegen "Nötigung eines Verfassungsorgans" rechnen.