Kommentar

Der Blick kann so weit in die Vergangenheit des hamburgischen Senats zurückgehen, wie es möglich ist - und doch bleibt festzustellen: Was gestern Morgen um 9.40 Uhr im Büro des Ersten Bürgermeisters geschah, hat keine historischen Parallelen. Mit wutverzerrtem Gesicht stand der Zweite Bürgermeister vor dem Ersten und versuchte, ihn mit angeblichen Details aus dessen Privatleben zu nötigen. Schill wollte mit seinen persönlichen Drohungen einen Getreuen retten, der unter der Last der Vorwürfe und Belege längst unhaltbar war: seinen Staatsrat, an dem zu diesem Zeitpunkt nur einer wie Schill noch festhalten konnte - einer, der persönliche Verbindungen, Interessengeflechte und Gefolgstreue über das Recht stellt. Schill hatte in diesem Augenblick die Maske vom Gesicht genommen. Er hat seine wahren Züge, die sich in anderen Zusammenhängen schon mehrfach andeuteten, unverfälscht gezeigt. Es war das Gesicht eines Mannes, der überzogen und maßlos reagiert. Dieser Mann ist unberechenbar, wenn er ausflippt, flippt er aus. Sollte noch ein Beweis nötig gewesen sein, dann hat er ihn selbst geliefert. Als Nichtdemokrat ist Schill als Politiker unbrauchbar, als Hüter von Recht und Ordnung unvorstellbar. Seine Rolle im politischen Prozess der Hansestadt sollte sich auf null reduzieren. Während Schill seine politische Zukunft hinter sich hat, hat der Bürgermeister alle Optionen. Auch dieser Mann, der in den letzten zwei Jahren an Beliebtheit gewann, hat gestern sein anderes Gesicht gezeigt: Hinter dem Sonnyboy steckt jemand, der Tatkraft bewiesen hat, Entschlussfreude, Durchsetzungsfähigkeit - und Mut. Das geschah nicht erst unter dem Eindruck der Erpressung, sondern gleich nach der Rückkehr aus seinem Urlaub, als er nach Sichtung der Unterlagen über Schills angeschlagenen Staatsrat sich entschloss, diesen zu entlassen. Dieses Vorhaben spricht nicht nur für sein strategisches Verständnis, sondern auch dafür, dass er als Maxime für sein politisches Handeln einen klaren ethischen Kompass hat. Das hat der Senat unter seiner Führung sowohl in den Fällen des Bezirksamtsleiters Hornauer (SPD) als auch des Staatsrates Schlegel (FDP) bewiesen. Und nun hat von Beust diesen Kurs trotz Gefährdung seiner Stadtregierung auch im Fall Wellinghausen durchgehalten. So schwer es ihm auch gefallen sein mag, Schills Staatsrat zu entlassen, denn der war auch ein anerkannt fähiger und fleißiger Spitzenbeamter - die Last der Beweise war einfach zu erdrückend. Wie geht es weiter? Die bürgerliche Koalition kann nur fortbestehen, wenn die vernünftige Mehrheit in der ehemaligen Schill-Fraktion erkennt, dass die politischen Aufräumarbeiten nach vielen Jahren anderer Regierungen weitergehen müssen. Mitgestalten können sie nur, wenn sie mitregieren. Obendrein stünde einer von ihnen - Mario Mettbach, der seine Baubehörde in der praktischen Arbeit erfolgreich leitet - durchaus als Zweiter Bürgermeister zur Verfügung. In Hamburg wird Regieren so oder so schwierig, denn Schill hat schon angekündigt, sein Abgeordnetenmandat zu behalten. Er wird mit Hilfe von Getreuen alles tun, um eine Stör-Fraktion aufzubauen. Sollte ein Weiterregieren deswegen nicht möglich sein, wären Neuwahlen der einzige Ausweg. Diese Möglichkeit kann der Bürgermeister getrost ins Auge fassen, denn er geht aus dem Kampf mit Schill gestärkt hervor. Er hätte alle Chancen, aus Neuwahlen als Sieger hervorzugehen - angesichts einer Schill-Partei, die durch ihren Anführer nachhaltig diskreditiert ist, angesichts einer etwas müden GAL, angesichts einer seit zwei Jahren orientierungslos dahinwerkelnden Hamburger SPD-Opposition, die zusätzlich durch Berliner Murksereien geschwächt ist. Jeder Gedanke, sich ohne Neuwahlen mit anderen Parteien zu verbinden, würde Beusts politisches Projekt in Frage stellen. Eine große Koalition zum Beispiel wäre für ihn ein Danaer-Geschenk, denn angesichts der Machtverhältnisse im Landesparlament wäre von Beust in diesem Bündnis nur der Junior-Partner. Eine solche Kombination haben auch die Hamburger nicht gewollt, als sie vor zwei Jahren Rot-Grün abwählten. Die Diskussion um seine persönliche Veranlagung, die nach Schills Erpressungsversuch jetzt aufbrechen wird, kann Ole von Beust im Ernst nicht schaden. Das Privatleben von Politikern ist bislang nicht nur in Hamburg kein Gegenstand öffentlicher Erörterung - aber insbesondere nicht in der Hansestadt, die stets stolz auf ihre aufgeklärte Tradition verweist.