Ole von Beust hatte schon manche Eskapade von Schill hingenommen. Diesmal aber war er persönlich getroffen.

Es gibt Entscheidungen, die einen Menschen von einer Zentnerlast befreien können. Solch eine Situation hat Bürgermeister Ole von Beust gestern erlebt. "Ich fühle mich befreit", sagte er gestern Mittag - und über sein Gesicht huschte sogar so etwas wie ein Lächeln. Da lag die Entlassung seines Stellvertreters, des Zweiten Bürgermeisters Ronald Schill, noch keine drei Stunden zurück. Die fast heitere Gelassenheit musste erstaunen, schließlich war die Zukunft des Mitte-Rechts-Senats zu diesem Zeitpunkt völlig offen. Schills Rauswurf war ein Entschluss des Augenblicks, aber es war keinesfalls ein spontaner, unüberlegter Schritt aus einer emotionalen Verletzung heraus. Ole von Beust verfügt über ein festes Koordinatensystem, was Fragen der politischen Moral angeht. Womit Schill ihm in seinem Arbeitszimmer gestern drohte - vermeintlichen Enthüllungen aus seinem Privatleben -, ließ von Beust keine andere Wahl. "Das ist eine Frage der Ehre", sagte der Bürgermeister hinterher. Warum gestern, warum gerade an dieser Stelle? Ist nicht von Beust mehrfach schon zurückgezuckt, wenn sein Innensenator über die Stränge schlug? Der Eindruck, Schill habe in gewisser Hinsicht Narrenfreiheit, konnte sich durchaus aufdrängen. Die Standfestigkeit, die Ole von Beust gestern bewies, haben ihm viele deswegen nicht zugetraut. Zum Beispiel Schills unsägliche Bundestagsrede im vergangenen Jahr: Ohne sich mit Beust abzustimmen, schürte Schill als Vertreter Hamburgs im Bundesrat Vorurteile gegen Ausländer und stellte die EU-Osterweiterung in Frage. Auch hier ging es um eine Frage der politischen Moral. Beust beließ es bei einer scharfen Verwarnung und dem Hinweis, dass es ein zweites Mal nicht geben werde. Beispiel Narkosegaseinsatz zur Terrorismusbekämpfung: Schill hatte in interner Runde unter Ministerkollegen angedeutet, sich solch ein Vorgehen nach dem Vorbild der Moskauer Polizei vorstellen zu können. Auch hier ging es um eine Frage der Ethik in der Politik. Von Beusts Reaktion fiel eher gemäßigt aus. Gestern war alles anders. Das liegt vor allem an einem Punkt: Schill hat von Beust zum ersten Mal persönlich angegriffen und versucht, seine politische Integrität zu untergraben. Genau das beinhaltet der Vorwurf Schills, von Beust habe Politisches und Privates vermischt, indem er seinen angeblichen Lebensgefährten Roger Kusch zum Justizsenator gemacht habe. Nach der Drohung Schills, mit seinem angeblichen Wissen an die Öffentlichkeit zu gehen, "schmutzige Wäsche zu waschen", war der Rubikon überschritten. Danach konnte von Beust den Inhalt des Vier-Augen-Gesprächs nicht für sich behalten und die Sache auf sich beruhen lassen. Er wäre in Zukunft in der Tat erpressbar gewesen. Mehr noch: Um nicht in die Defensive zu geraten, musste er selbst den Vorwurf öffentlich machen und entkräften. Der Preis ist für Beust hoch: Dadurch, dass er die Erpressungsversuche Schills öffentlich machte, löst er eine Debatte über seine sexuelle Orientierung aus. Privates von Politikern war in Hamburg bislang tabu. Es sei denn, Politiker suchten von sich aus die Öffentlichkeit wie Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), der sich zur Homosexualität bekannte. Ole von Beust wusste, dass der Tag kommen könnte, an dem das Tabu gebrochen wird. Dass er quasi aus den eigenen Reihen - von einem Koalitionspartner - derart attackiert würde, hat er wohl nicht erwartet. "Ich bin menschlich zutiefst enttäuscht", sagte er. Politik kann Menschen deformieren. Sie kann aus Menschen Karrieristen machen, die sich wegen des Machterhalts selbst verbiegen. Von Beust hat ein Gegenbeispiel geliefert. Wer ihn kennt, weiß, dass er sich eine Unabhängigkeit bewahrt hat, die manchmal ein wenig fatalistisch wirkt. "Es kann jeden Tag zu Ende sein. Ich klebe nicht an meinem Stuhl", hat er schon vor Monaten einmal im persönlichen Gespräch gesagt. Das war durchaus mit Blick auf die besonderen Risiken gerade dieses Bündnisses gesprochen. Soweit ist es, was Ole von Beust selbst angeht, nicht. Er wird nach allem, was sich derzeit absehen lässt, Bürgermeister bleiben. Aber für die Entscheidung, den Mann hinauszuwerfen, ohne den er gar nicht Bürgermeister geworden wäre, brauchte er jene Unabhängigkeit. Sie hat ihm gestern geholfen, die wohl schwerste Stunde seiner Amtszeit als Bürgermeister zu überstehen - und in dieser Krise sogar zu reifen.