Ronald B. Schill: Mit Härte, Populismus und Maßlosigkeit kämpfte er sich an die Macht. Doch schließlich stolperte er über seinen eigenen Charakter.

Am Anfang stand eine psychisch kranke Frau. In Eimsbüttel zerkratzte sie den Lack parkender Autos - nahe der Straße, in der Ronald B. Schill, Besitzer eines roten Matra-Simca-Sportwagens, wohnte. Schill, damals noch Strafrichter, verurteilte die Frau 1996 zu zweieinhalb Jahren Haft. Mit diesem harten Strafmaß war der Grundstein für eine politische Blitzkarriere gelegt. Die Medien berichteten erstmals umfangreich über Schill, der Spitzname "Richter Gnadenlos" wurde geboren. Schill wehrte sich dagegen nicht. Ganz im Gegenteil. In der Folgezeit fällte er in regelmäßigen Abständen extrem harte Urteile. Schon bald wurde Schill in den Gerichtsfluren als "Quartals-Irrer" bezeichnet. Allerdings urteilte er nicht nur aus Überzeugung so hart - sondern mit Berechnung. Seine spektakulären Richtersprüche fällte er in Drei-Monats-Abständen. Stets lud er ausgewählte Medienvertreter zum Prozess: Es sei etwas Interessantes zu erwarten. In Hamburg stießen die harten Urteile Schills nicht nur auf Ablehnung. Der regierende SPD-Senat vernachlässigte nach Ansicht vieler die Innere Sicherheit - und die Justiz sei zu lasch. Schill wurde so zum Inbegriff des Law-and-Order-Manns - obwohl seine drakonischen Urteile der juristischen Überprüfung durch übergeordnete Gerichte in der Regel nicht standhielten. Schill genoss die Popularität - und legte nach: Mal kokettierte er mit der Todesstrafe, mal kritisierte er Richterkollegen pauschal als "zu lasch, zu lau, zu langsam". Als er in der TV-Sendung "Guten Abend RTL" begann, in mächtiger Pose Urteile seiner Kollegen zu verreißen, wurde er ins Zivilgericht versetzt. Schmollend bearbeitete er fortan Mietsachen. Sein letzter Coup als Strafrichter sollte allerdings nachhallen: In einem Prozess gegen einen Flora-Aktivisten hatte er zwei Zuschauer inhaftieren lassen. Weil Schill die Männer drei Tage im Gefängnis schmoren ließ, ohne deren Antrag auf Aufhebung der Haft zu bearbeiten, klagte die Staatsanwaltschaft ihn wegen Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung an. Das Amtsgericht verurteilte ihn, als er noch Richter war, die nächsthöhere Instanz sprach ihn jedoch frei. Da war er schon Senator. Der Anwalt, der ihn vor Gericht rausgepaukt hatte, hieß Walter Wellinghausen. Er wurde kurz darauf Staatsrat bei Schill - aus Dank? Schills Partei hatte bei der Bürgerschaftswahl 2001 einen triumphalen Erfolg gefeiert: 19,4 Prozent. Auch als Zweiter Bürgermeister blieb Schill der regelmäßigen Grenzverletzung treu. Statt im Bundestag über die Flutopfer zu sprechen, schwadronierte er über zu viele Ausländer. Dann regte er den Einsatz des "Russen-Gases" in Deutschland an - nachdem in Moskau Dutzende Geiseln gestorben waren. Und er legte sich mit der Kirche an. Mit den Worten "Ein Hamburger kniet nicht vor der Kirche" lehnte er einen Staatsvertrag ab. CDU und FDP grollten. Mehr nicht. Seinen Aufstieg verdankte Schill nicht nur seinen Provokationen, mit denen er Vorurteile bediente. Auch seine Schlagfertigkeit, sein Humor und sein für viele souverän wirkendes Auftreten trugen zum Aufstieg bei. Er war Talkshow-tauglicher als viele erfahrene Berufspolitiker. Während Schill gelegentlich mit der Todesstrafe kokettierte, war er privat wie verwandelt. Unter der Woche vergnügte er sich in Discos, ließ sich mit einer Pornokönigin ablichten. Und manchmal suchte er die Stille, genoss einsame Segelferien, lebte das einfache Leben im Urlaub - und genoss den Zuspruch der Frauen. Kaum zu glauben, dass dieser Mann auch ganz anders konnte. Bei Wutausbrüchen wurde seine Stimme schneidend, der Blick seltsam. "Vorsicht, wenn er den Tunnelblick bekommt", hieß es von Vertrauten. Da griff er unvermittelt Abgeordnete auf eine Art und Weise an, wie es das zuvor nicht gegeben hatte, ließ die Opposition wissen, sie zeige mal wieder ihre "polizeifeindliche Fratze". Und immer wieder fühlte sich Schill bedroht - zeigte fast paranoide Züge. Schon als Richter glaubte er sich verfolgt, von Kollegen, von Vorgesetzten. Er machte ein Geheimnis daraus, ob er eine Waffe bei sich trage - möglicherweise gar in der Bürgerschaft. Schon bevor die Kokain-Vorwürfe laut wurden, ließ Schill durchsickern, er habe Angst, die SPD könne ihm Kokain in die Tasche stecken, um ihn der Drogensucht zu bezichtigen. Am Ende hat Schill wohl jener Charakterzug die Macht gekostet, der auch zu seinem Aufstieg beigetragen hatte: seine Maßlosigkeit.