Essen. Was Eltern tun können, um Kinder vor gefährlichen Influencern zu schützen? Und warum kaum einer der Netz-Stars genügend Geld zum Leben verdient.
Längst stammen die Helden der Kinder nicht mehr aus Fernsehen oder Radio, sondern von YouTube, Instagram, Twitch und TikTok. Die erfolgreichen Streamerinnen und Streamer lassen sich hunderte Stunden beim Videospielen, Schminken, Trainieren oder Unsinn machen zuschauen. Eines der Probleme: Eltern wissen oft nur grob oder gar nicht, wer das ist, mit dem ihre Kinder mehr Zeit verbringen als mit ihren realen Freunden. Und schon gar nicht, welche Absichten die Influencer verfolgen. Denn oft steckt nichts als Werbung hinter den Videos, die als Unterhaltung und Info-Angebote herübergebracht werden. Und wenn das Kind nicht weiß, was es da konsumiert, wird es vieles für die reine Wahrheit halten. Wir sprachen mit dem Bochumer Sozialpsychologen Phillip Ozimek (32) vom Forschungs- und Behandlungszentrum für psychische Gesundheit der Ruhr-Universität darüber, was Eltern tun können, um ihre Kinder zu schützen.
Herr Ozimek, wie groß ist der Einfluss, den Influencer heute auf unsere Kinder und Jugendlichen ausüben?
Ozimek: Ich kann schon vorwegnehmen: Der Einfluss der Influencer ist riesig und er ist schlecht.
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Wieso das?
Wenn wir mal die Uhr ein bisschen zurückdrehen, in eine Zeit vor den Sozialen Medien: Was hatten wir in unserer Kindheit? Oder was hatten unsere Eltern? Da gab es das Fernsehen. Da gab es natürlich auch Stars, die waren unsere Idole, daran hat man sich ein bisschen orientiert. Man wusste, dass jemand wie Madonna ein Superstar ist, aber man wusste auch, dass sie einiges dafür tun musste, um dahin zu kommen. Ebenso bei Fußballern, die haben sportlich auch etwas geleistet. Und was uns ein bisschen geprägt hat, das war natürlich auch die Werbung. Aber da hat man schon von Kindheitstagen gesagt bekommen: Was in der Werbung ist, das ist nicht echt. Die wollen nur dein Geld, und dass du die Produkte kaufst. Das war den Kinder relativ schnell klar, denn es wurde von den Eltern auch so weitergegeben.
Wieso ist das bei den Influencern anders?
Bei Influencern ist die Gefahr: Sie sind keine Popstars oder Superstars. Sie stellen sich ja wie Durchschnittsmenschen dar, so als wären das ganz normale Menschen, die auf Instagram, TikTok & Co. unterwegs sind und einfach von ihrem Leben berichten. Kinder und Jugendliche verstehen oft noch nicht, dass die Influencer oft nur Werbepartner sind von Unternehmen. So ein Influencer erzählt natürlich wirklich viel von seinem Alltag – und wenn er dann zwischendurch einwirft: Neuerdings benutze ich dieses und jenes Produkt – und mit diesem Code bekommt Ihr zehn Prozent auf das ganze Sortiment, dann ist das nichts anderes als Werbung. Da bringt es auch nichts, dass das als Branded Content markiert werden muss, denn damit können Jugendliche nicht viel anfangen. Ehrlich gesagt: Auch als erwachsener Mensch stört mich nicht, wenn das da unten irgendwo klein steht.
Welche Konsequenzen hat das für das Verhalten der Jugendlichen?
Ich selber sehe häufig sehr junge Mädchen im Drogeriemarkt, die vor den Produkten etwa von „Bibis Beauty Palace“ stehen und die sie alle kaufen wollen, obwohl sie alle super teuer sind. Eine noch größere Gefahr ist: In der Werbung darf man nicht einfach erzählen, was einem passt. Schon vor 20 Jahren durfte man in der Werbung nicht sagen: Rauchen ist gut für deine Gesundheit. In den Sozialen Medien gibt es eine solche Kontrolle nicht. Das sieht man am Bereich der Nahrungsergänzungsmittel.
Geworben wird auch für Produkte mit Werbeverbot
Was passiert da?
Auch wenn es gesetzlich nicht erlaubt ist, zu sagen: Nahrungsergänzungsmittel XY macht gesund oder hilft gegen Krebs, wird es trotzdem gemacht. Dagegen vorzugehen ist langwierig: Erstmal muss das jemand finden; dann muss man das anschwärzen. Und da fängt in Deutschland die Frage an: Wer ist dafür zuständig? Bis das dann bei den Gerichten landet, vergehen Jahre. Das Produkt wird derweil weiter vertrieben. Und die Firmen werden in der Zwischenzeit steinreich.
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Was müssen Eltern heute darüber wissen, was ihre Kinder im Netz konsumieren? Können sie das so einfach erfassen?
Man kann Eltern gerade von Jugendlichen nicht dazu raten: Verbietet euren Kindern die Sozialen Medien – wobei das wahrscheinlich das Gesündeste wäre. Es funktioniert aber nicht. Deswegen ist es besser, dass man mit dem Kind regelmäßig darüber spricht. Kinder können auch gefährlichen Influencern folgen. Es gab zum Beispiel verschiedene Fitness Challenges, bei denen sollte man so sehr abnehmen, dass man verschiedene Knochen durch die Haut sehen konnte. Eltern sollten ein bisschen den Überblick haben: Wofür interessiert sich mein Kind? Und dann kann man im Prinzip das machen, was die Eltern vor 30 Jahren beim Fernsehen gemacht haben, dass man das Kind dafür sensibilisiert, dass das Werbung ist. Es reicht, dass man sieht: Welchen Seiten und Kanälen folgt mein Kind. Und die Eltern bekommen ein Gefühl dafür: Fällt mein Kind auf alles rein, was es da so sieht? Will es jedes Produkt haben? Oder hat es das nötige Verständnis dafür, das als Werbung zu erkennen und zu beurteilen?
Millionen nennen sich Influencer, aber verdienen damit keinen Cent
Für viele Jugendliche ist Influencer ja heute auch ein Berufswunsch. Aber kann man davon leben?
Um vielleicht ein Star zu werden oder ein Sport-Idol, das wusste man früher, muss man ja viel dafür tun. Das ist nicht leicht, deswegen suchten sich viele noch einen vernünftigen Beruf. Heute kann man sagen: Na ja, die Influencer machen ja nichts, außer den ganzen Tag Filme und Storys zu posten. Also versuche ich das auch. Ich muss mir dann auch gar keine Mühe in der Schule geben, weil ich viel mehr Geld dadurch verdiene, dass ich den ganzen Tag auf Instagram & Co. bin. Es gibt auch so genannte Social Media Akademien, wo man sich für viel Geld beibringen lassen kann, wie man erfolgreicher Influencer wird. Oft müssen die Leute tausende Euro vorschießen, bis sie überhaupt Input bekommen. Und wirklich Geld verdienen die Teilnehmer alle nicht.
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Den Lebensunterhalt damit zu bestreiten, ist also eine pure Illusion?
Die Klicks alleine machen das nicht, man muss schon Dinge verkaufen. Selbst von den Profi-Influencern verdienen nur 20 bis 25 Prozent mehr als 75.000 Dollar pro Jahr damit, so dass sie davon selbst gut leben können. Die Influencer verdienen ja auch einerseits durch Klicks, aber andererseits durch ihre Codes. Sobald mehrere 10.000 Menschen den richtigen Rabattcode eingeben, lohnt sich das für sie richtig. Ich weiß nicht, wie viele Millionen von Jugendlichen sich heute Influencer nennen, aber gar keinen Cent damit verdienen.
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