Essen. Wenn Mutter, Vater, Oma oder Opa stirbt: Wie bringt man es dem Kind bei? Die Unsicherheit in Familien ist groß, dabei gibt es Trauerbegleitung.
Der Tod von Mutter oder Vater wirft Familien meist komplett aus der Bahn und stellt das Leben der Verbliebenen auf den Kopf. Eltern und Bezugspersonen wollen Kinder oft vor der traurigen Situation beschützen. Sie ersparen dem Nachwuchs die Erfahrung mit dem Tod und begehen aus Liebe einen großen Fehler. „Trauer gehört wie Freude zu den Basisemotionen“, betont Martina Hosse-Dolega (55). Die Trauerbegleiterin aus Castrop-Rauxel unterstützt Familien, die mit Abschied, Tod und Trauer sowie schweren Krankheiten konfrontiert werden. Sie arbeitet unter anderem für das Palliativnetz Bochum sowie für das Palliativ-Netzwerk Herne, Wanne-Eickel, Castrop-Rauxel. Asgard Dierichs sprach mit ihr.
Wie sagt man einem Kind, dass Mama, Papa, Oma oder Opa bald sterben oder gar tot sind?
Hosse-Dolega:Kindern erklärt man Krankheit und Tod liebevoll, zugewandt, ehrlich, zeitnah, transparent und altersgerecht. Die meisten Menschen sind überfordert, wenn ein geliebter Mensch dem Tod nahe ist. Sterben hat in der modernen Gesellschaft wenig Raum. Dabei gehört der Tod zu einem natürlichen Kreislauf: wachsen, werden, vergehen. Erfahren Kinder dies früh genug, in der Familie, im Kindergarten oder in der Schule, können sie besser mit dem Ereignis umgehen. Eltern sollten sie einbeziehen.
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Ist das nicht schwierig, wenn man selbst gerade trauert?
Auf jeden Fall. Aber es geht nicht darum, möglichst perfekt zu handeln in solchen Ausnahmesituationen. Wichtig: Wir können Kindern das Trauern zutrauen. Dazu benötigt es informierte Eltern oder Bezugspersonen. Dinge zu beschönigen oder zu verschweigen, ebnet keinen guten, heilsamen Weg. Die Vorstellung, dass der Papa „eingeschlafen ist“, um ein Beispiel zu nennen, kann Ängste begünstigen, wenn Mama schläft oder ins Bett geht.
Wann ist der richtige Zeitpunkt, mit Kindern über den Tod zu sprechen?
Ist der Ehepartner schwer erkrankt, sollte man ab dem Zeitpunkt der Diagnose über Sterben und Tod sprechen. Denn schon dann ändert sich vieles im Familienalltag. Kinder beobachten ihr Umfeld sehr genau und spüren Veränderungen. Sind sie älter, kennen sie den Tod aus den Medien, wo er in Filmen oder manchen Videospielen allgegenwärtig ist. Kleinere hingegen verstehen die Bedeutung von Wörtern wie „ewig“, „immer“ oder „nie“, also diese Begriffe, die Endlichkeit ausdrücken, noch gar nicht. Erst Mitte bis Ende der Grundschulzeit können sie den Sinn begreifen.
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Trauern Kinder anders als Erwachsene?
Auf jeden Fall. Sie trauern in einer Minute und sind in der nächsten wieder fröhlich. Ihre Gefühle liegen sehr nah beieinander. Sie lassen die Trauer soweit zu, wie sie für sie auszuhalten ist. Erwachsene befinden sich langanhaltender in ihren Stimmungen. Anders als Kinder leben wir nicht ausschließlich im Hier und Jetzt. Dabei weiß jeder von uns, wie Trost spendend ein Kinderlachen wirken kann. Kinder leben ihre Gefühle offener aus. Erwachsene fallen in ihrer Trauer seelentief. Sie funktionieren, aber das Leben verliert an Farbe. Bei beiden ist Trauern ein aktiver Prozess und kein passiver Zustand – der Begriff Trauerarbeit verdeutlicht das.
Wie findet man professionelle Trauerbegleiter?
Bestenfalls bekommen Familien eine Liste mit Kontaktadressen in der Klinik oder über die jeweiligen Palliativnetzwerke, die lokal verschiedene Angebote und Einrichtungen der Sterbebegleitung koordinieren. Doch außerhalb palliativer Begleitung werden sie nach meiner Erfahrung oft allein gelassen. Da braucht es dringend mehr Aufklärung. Und eine Bildungsarbeit, die Trauer und Tod zum Thema macht. Im Internet finden sich Verzeichnisse für Trauerbegleitung, zum Beispiel beim Bundesverband für Trauerbegleitung (bv-trauerbegleitung.de) oder bei der Familientrauerbegleitung Lavia (lavia-ggmbh.de). In der professionellen Trauerbegleitung finden Betroffene einen sicheren, geschützten Raum, ein wertschätzendes Gegenüber. Trauerbegleitung findet zum größten Teil in Einzelbegegnungen, in der Familie oder in Gruppen statt.
Kinder können Abschied nehmen am Sarg des Vewandten, der gestorben ist
Sollen Kinder mit auf die Intensivstation oder zum Abschied am Sarg?
Ja. Gut vorbereitet ist das von unschätzbarem Wert. Sie mitnehmen, begleiten, sich in ihrem Tempo annähern, an der Hand zum Bett oder zum Sarg führen, das bietet ihnen Sicherheit. Man sollte sie nicht außen vorlassen oder vor Erfahrungen mit dem Sterben oder dem Tod bewahren wollen. Kinder sind durch ihren eigenen Verlust und den ihrer Bezugspersonen betroffen. Sie lernen mit allen Sinnen. Daher sollten sie ihre Liebsten besuchen und mit ihnen kuscheln dürfen und sie auch nach dem Tod berühren können. Ein Junge, der sich von seiner Mutter nicht verabschieden durfte, hatte die Vorstellung, seine Mama wäre sofort nach dem Sterben zum Skelett geworden.
Wie läuft eine Trauerbegleitung für Kinder ab?
Das sind oft Akuteinsätze, die auch am Abend oder am Wochenende stattfinden. Grundlage der Trauerbegleitung ist es zudem, die Bezugspersonen zu befähigen, ihren Kindern das Trauern zuzutrauen. Ein Bild zu malen, dem man dem toten Papa oder der Mama in den Sarg legt und auch die Urne oder den Sarg zu bemalen, kann sehr hilfreich sein, um das Abschiednehmen oder die Trauerfeier kindgerecht zu gestalten. Wichtige Elemente der familiären Trauerbegleitung sind kreative, spielerische, entspannungspädagogische und tiergestützte Angebote.
Tiertherapie in der Trauerbegleitung kann Kindern bei Bewältigung der Trauer helfen
Das Palliativwerk Bochum setzt auch auf die Besuche von Tieren. Warum ist das hilfreich?
Um soziale und emotionale Bedürfnisse zu befriedigen, sind Menschen und Tiere bestrebt, Beziehungen einzugehen. Der ausgeprägten Beziehung zwischen Kindern und Tieren kommt eine besondere Bedeutung zu. Mit trauernden Familien oder Kindern besuche ich gern eine Alpakafarm in Castrop-Rauxel. Dort sammeln die Abschied nehmenden Kinder und deren Familien beim Kontakt mit den flauschigen Tieren positive Erinnerungen, die sie mit in ihre Zukunft nehmen.
>>>Palliativnetzwerke an Rhein und Ruhr vermitteln Begleitung
Über die kostenlose Hotline unter Telefon 0800 900 91 91 koordiniert der Verein Palliativ-Netzwerk Herne, Wanne-Eickel und Castrop-Rauxel auch die Trauerbegleitung (tägl. 9- 17 Uhr), info@palliativ-netzwerk.de. Wird ein Angehöriger, bei dem keine Aussicht auf Heilung mehr besteht, palliativ über das Netzwerk betreut, ist die Trauerbegleitung kostenlos. Der Verein finanziert sich durch Spenden. Im Palliativnetz Bochum haben sich Ärzte, Pflegedienste, ambulante und stationäre Hospizdienste und stationäre Einrichtungen zusammengeschlossen. Kontakt: 0234 - 53 05 77 44, mo.-fr. 9-16, info@palliativnetz-bochum.de. Beide Netzwerke vermitteln Begleitung für Familien und Kinder. In Essen ist das Kinderpalliativnetzwerk CSE Ruhr (Caritas-SkF-Essen) zuständig für Trauerbegleitung von Kindern: 0201-319375-386, kinderpalliativnetzwerk@cse.ruhr.
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